Scott
Ein Schrei lässt mich schlagartig aus meinem Schlaf aufwachen und erschrocken sehe ich mich um. Scheinbar bin ich während des Wartens eingenickt. Zum Glück ist der Schrei nur Teil meines Traumes gewesen und ich lehne mich entspannt auf der Couch zurück. Doch augenblicklich spüre ich meinen Nacken, der sich darüber beschwert, dass ich im Sitzen eingeschlafen bin. Ich lasse meinen Kopf ein bisschen kreisen und verziehe dabei ein bisschen das Gesicht. Mein Blick wandert durch den Raum und fällt auf Kilian und Niklas. Beide sind neben mir auf der Couch eingeschlafen und geben ein wirklich herzhaftes Bild von sich, wie sie so aneinander lehnen. Doch bevor ich mich weiter über das Ganze amüsieren kann, ertönt ein Ruf von draußen und ich bin mir nicht mehr so sicher, ob der Schrei wirklich nur Produkt meines Traumes gewesen ist. Eilig stehe ich auf und haste aus dem Haus.
Mein Blick fällt sofort auf eine kleine Gruppe von Reitern, die aus dem Wald heraustreten. Eine der Person scheint große Schmerzen zu haben, so wie sie auf ihrem Pferd hängt. Ich brauche noch eine weitere Sekunde, um zu erkennen, dass es Ben ist. Mittlerweile haben sich hier schon einige Menschen angesammelt, die den fremden misstrauische Blicke zu werfen.
„Ben!" Ich laufe zu dem Jungen hinüber, der ganz offensichtlich die Zähne zusammenbeißt. Schnell helfe ich ihm dabei, vom Pferd hinunterzukommen. Zwar bleibt er kurz auf den Beinen stehen, was bedeutet, dass die Verletzungen geheilt sind, aber auch nur kurz. Schon im nächsten Moment knickt er in sich zusammen und seine Hände krallen sich um meine Arme.
„Wir müssen ihn reinbringen", höre ich Damara's Stimme und nicke einfach nur. Ich traue mich nicht, meinen Blick von Ben abzuwenden, aus Angst, es könnte noch schlimmer werden. Nach einigen Sekunden spüre ich, wie ein Teil von Ben's Gewicht mir abgenommen wird und werfe Alissa ein kurzes Lächeln zu. Gemeinsam schaffen wir es, ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Gestützt von uns überwindet er die letzten paar Meter zum Haus, wobei ich mir gar nicht vorstellen kann, was er für Schmerzen haben muss.
Gerade, als ich die Tür mit einer Hand öffnen will, geht sie von selbst auf und uns gegenüber steht ein recht erstaunter Kilian. Er braucht einige Sekunden, um das Geschehene zu realisieren. Doch dann nimmt er Alissa schnellsten ihre Last ab und nach einigen Minuten lässt Ben sich auf der Couch nieder. Erschöpft setze ich mich einfach auf den Boden und wende meinen Blick von Ben aber nicht ab. Seine Schmerzen scheinen immer noch die Hölle zu sein und mit einem Mal fällt mir etwas ein.
Ich springe auf und hole dabei etwas aus meiner Jackentasche. Die kleine Phiole ist zum Glück unbeschadet geblieben. Schließlich träufel ich Ben etwas von der durchsichtigen Flüssigkeit in den Mund und ich merke, wie er sich allmählich entspannt, bis er eingeschlafen ist. Danach lasse ich mich wieder neben Alissa auf dem Boden nieder, die mich mit großen Augen beobachtet.
„Wir gucken mal nach Damara und bereiten schon mal alles für den Aufbruch vor." Niklas, der mittlerweile auch wachgeworden ist, wird von Kilian förmlich hinausgezerrt und ich kann über die beiden nur lachen.
„Was hast du ihm da gegeben?" Alissa wirft mir einen fragenden Blick zu und ich brauche eine Sekunde, um zu verstehen, was sie meint.
„Das ist ein Trank, der sowohl einschläfernd wirkt, als auch schmerzlindernd. Das Rezept stammt von der Frau, die mich damals alles gelehrt hat, was ich heute weiß. Sie ist mein größtes Vorbild." Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als ich an Thea, eine ehemalige Heilerin des Kanada-Rudels denke. „Ich trage immer eine Phiole für den Notfall bei mir." Danach verfallen wir wieder ins Schweigen.
„Scott, wir müssen reden. Ich habe gemerkt, wie du dich mir gegenüber seltsam verhalten hast und mich würde gerne interessieren, ob ich etwas falsch gemacht habe." Ich spüre, wie sie den Blick zu mir wendet. Ich hingegen verbiete es mir, ihren Blick zu erwidern und starre einfach weiter auf den friedlichen schlafenden Ben. „Rede mit mir Scott!" An ihrer Stimme höre ich, wie wichtig ihr das Ganze scheint. Am liebsten würde ich ihr nun wirklich alles erzählen. Die ganze Wahrheit.
Doch gleichzeitig weiß ich, dass ich es nicht kann. Was würde sie bloß von mir denken? Also halte ich meine Augen weiter auf Ben gerichtet und versuche, Alissa neben mir zu ignorieren. Aber als ich nicht reagiere, setzt sie sich einfach genau in mein Blickfeld. „Rede mit mir!" Mittlerweile betont sie jedes einzelne Wort, als wäre ich taub, und ich seufze auf.
„Alissa, lass es einfach. Du hast keinen Fehler gemacht. Das Ganze ist meine Schuld." Leider scheint ihr diese Antwort einfach nicht zu reichen, denn sie bewegt sich keinen Zentimeter. Mit einem letzten Atemzug treffe ich eine Entscheidung. Selbst, wenn die nächsten Worte sowohl ihr, als auch mir wehtun, habe ich keine Wahl. „Wir sollten uns vielleicht nicht zu sehr aneinander gewöhnen, Alissa." Zum ersten Mal in diesem Gespräch richte ich meinen Blick wirklich auf sie und sehe sie eindringlich an. „Sobald wir die schwarzen Werwölfe besiegt haben, wird Adriana wieder erwarten, dass ich mit ihr zurück auf die Erde komme. Dort werden wir auch das Materitual, dass wir eigentlich vollziehen wollten, zu ende bringen." Ich stecke in meine Worte so viel Glaubwürdigkeit wie nur möglich, da eigentlich alles gelogen ist.
Ich weiß, dass Adriana nicht von mir erwarten würde, wieder mit auf die Erde zu kommen. Was das Verbindungsritual zwischen uns beiden angeht, so hoffe ich einfach nur, dass sie wieder zu Vernunft kommt und mit Kilian doch noch ihr Glück findet. Denn wenn es einer verdient hat, dann sie. Alissa sieht mich fassungslos an und ich kann den Schmerz in ihren Augen erkennen. Sie braucht ein paar Minuten, um wieder im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte zu sein, ehe sie aufspringt und erstaunlich schnell das Haus verlässt. Aber was habe ich auch anderes erwartet, nachdem ich so gemein zu ihr gewesen bin? Mit entfährt ein Seufzen. Wie viel würde ich jetzt für einen Rat von Terence oder Thea geben. Ich bleibe noch ein bisschen so sitzen und genieße die Stille. Diese wird aber nach einigen Sekunden von dem Öffnen der Haustür unterbrochen und ein wütender Niklas betritt den Raum.
„Du bist ein verdammter Idiot, Scott. Das weißt du, oder?" Nur langsam wende ich meinen Blick Niklas zu, der mich anstarrt, als hätte ich gerade den Fehler meines Lebens begangen. Was ich wahrscheinlich auch gerade getan habe. „Alissa ist gerade zu uns gekommen und wollte ganz dringend mit Damara sprechen. Selbst ein Blinder hätte bemerkt, dass es ihr nicht gut ging. Was hast du ihr gesagt?" Während er spricht, zieht er mich auf die Beine hoch, sodass wir auf einer Augenhöhe sind.
„Ich habe gesagt, was ich sagen musste. Mehr ist nicht wichtig." Mittlerweile auch aufgebracht reiße ich mich von ihm los. Obwohl er mein bester Freund ist, ist es immer wieder anstrengend, wenn er meint, die Welt verbessern zu müssen. Doch noch bevor er etwas sagen kann, wird die Tür wieder geöffnet und Kilian tritt zwischen uns. Er scheint sofort die Spannungen zwischen uns zu fühlen und weicht ein paar Schritte zurück.
„Ich weiß zwar nicht, was hier los ist, aber ich soll euch von Damara Bescheid sagen, dass wir jetzt wieder aufbrechen wollen. Die anderen sind schon beim Treffpunkt." Wahrscheinlich ist er genau im richtigen Moment gekommen, bevor Niklas und ich uns gegenseitig zerfleischt hätten. Ohne ein weiteres Wort dreht Niklas sich von mir weg und verlässt die Hütte. Kilian wirft mir einen fragenden Blick zu, wahrscheinlich will er wissen, was zwischen mir und Niklas los ist. Doch ich habe jetzt grade keinen Kopf dafür, mir noch weitere Anschuldigungen anzuhören, deswegen zucke ich einfach mit den Schultern und folge Niklas hinaus.
„Du willst sicher nicht mit uns kommen?", fragt Damara Cheryl in dem Moment, wo ich zu ihnen stoße.
„Nein, du kennst mich. Aber hier ist die Phiole Blut, um die schwarzen Wölfe zu vernichten." Mit diesen Worten überreicht Cheryl ihr ein kleines Glasfläschen mit ein paar Tropfen Blut. Damara nickt ihr einfach nur dankend zu, ehe sie auf eins der wartenden Pferde steigt. Ich gehe auch zu dem, das ich eben schon geritten habe und steige auf, ohne Alissa oder Niklas einen weiteren Blick zu zuwerfen. Dafür spüre ich die Blicke von Alissa und Damara umso deutlicher auf mir. Als schließlich jeder auf einem Pferd sitzt, treten wir den letzten Part unserer Reise an, bereit den schwarzen Wölfen entgegen zu treten.
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Der schwarze Beta
Werewolf2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...