Phileas
Während die Hose schon vor dem Knöchel aufhört, muss ich die Ärmel des dünnen T-Shirts mehrmals umkrempeln, bis es passt und ich mustere mich argwöhnisch in dem Spiegel der kleinen Kabine.
Nach einigen Sekunden verlasse ich diese und werde auch schon von dem Besitzer des Ladens erwartet.
„Du bist endlich fertig, das ist sehr gut." Mit einem Lächeln kommt er auf mich zu, legt seinen Arm auf meine Schultern und zieht mich schon fast aus dem Laden, wobei er erstaunlich viel Kraft für sein Alter hat.
„Wo gehen wir genau hin?", erkundige ich mich bei ihm, während wir durch das Dorf gehen.
„Wir gehen jetzt kurz etwas essen, in der Zeit besorgt Thore schon einmal deine Waffen und wir treffen ihn bei der Grenze und dann beginnt deine Hasenjagd." Er spricht davon, als wäre es etwas, was alltäglich passiert, etwas völlig normales. Doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass es das Gegenteil ist.
Schließlich erreichen wir einen Pavillon unter dem mehrere Bänke und Tische aufgebaut sind und einige Personen am Essen sind. Während ich am Rand Platz nehme, lässt sich der alte Mann erst nach einigen Sekunden neben mir nieder und reicht mir einen Teller mit einem gut riechenden Eintopf.
Erst jetzt bemerke ich, wie hungrig bin, und als würde mein Leben davon abhängen, nehme ich mir einen Löffel und fange an zu essen.
„Vorsicht, es ist sehr heiß", warnt mich der Mann genau in dem Moment, als der Löffel meine Zunge berührt und ich mich verbrenne. Hastig lasse ich den Löffel wieder auf den Teller sinken und greife schnell nach einem Glas Wasser.
„Wie wird es gleich genau ablaufen, mit der Hasenjagd?" Phileas mustert den Mann interessiert und lässt sicherheitshalber seinen Eintopf noch ein bisschen abkühlen.
„Wir werden dich zu dem Ort führen, wo man recht viele Hasen findet und dich dort alleine lassen, damit du einen umbringen kannst. Danach kehrst du wieder hierher zurück. Sofern du nach 24 Stunden immer noch lebst und noch keinen erlegt hast, wird dich jemand holen kommen und der Rat wird entscheiden, ob sie dich nicht doch umbringen oder deinen Versuch wertschätzen und dich akzeptieren."
„Und so einen Aufstand macht ihr, nur weil ich einen Feind besiegen möchte, der auch euch gefährlich werden könnte?" Diesmal antwortet er mir nicht, sondern wendet sich einfach nur seinem Eintopf zu, was auch ich nach einigen Sekunden mache.
Ehrlich gesagt, finde ich das Ganze mehr als überzogen, aber scheinbar gehört es ihr zur Tradition. Schließlich sind unsere Teller leer und als der ältere Mann, dessen Namen ich noch immer nicht kenne, aufsteht, folge ich ihm.
Am Rande des Dorfes treffen wir schließlich auch auf Thore, der schon dort auf uns wartet, wobei er mehrere Waffen mit sich herum trägt.
„Du darfst drei Waffen nehmen, einen Bogen mit zwölf Pfeilen, ein Schwert und ein Dolch. Ich hoffe, diese Waffen entsprechen deiner Zufriedenheit." Danach reicht er mir als erstes einen Gürtel, an dem sowohl ein Dolch, als auch ein Degen befestigt ist. Langsam hole ich letzteren heraus und halte in einfach so in meiner Hand. Scheinbar hat Thore ein ziemlich gutes Gefühl, da sich der Griff sofort an meine Hand anschmiegt und es weder zu leicht, noch zu schwer ist.
Nachdem ich es wieder weggepackt habe, hole ich den Dolch heraus, in dessen Griff ein Rubin hineingelassen ist. Schließlich binde ich mir den Gürtel um und nehme von Thore den Köcher mit den Pfeilen entgegen. Als mir diesen auf dem Rücken befestigt habe, reicht er mir als letztes den Bogen, der zu meinem Glück nicht zu stark gespannt ist.
„Wir sollten uns jetzt auf den Weg zur Grenze machen, damit du ungefähr nachmittags bei den Hasen ankommst." Mit diesen Worten setzt sich unsere kleine Gruppe in Bewegung und nach einigen Minuten erreichen wir wieder die Grenze, diesmal aber an einer anderen Stelle und ich übertrete die Linie glücklicherweise ohne Übelkeit.
Danach setzen wir unseren Weg normal vor, bis wir bei einem einzelnen Baum stehen bleiben. Ich lasse meinen Blick über die weite Ebene schweifen, bis er auf eine hockende Gestalt fällt.
„Was ist das?" Ich mache einen Schritt nach vorne, um diese genauer zu erkennen.
„Bleib stehen. Das ist ein Hase." Der ältere Mann hält mich fest, während er den Hasen anstarrt.
„Okay, aber kann mir jemand jetzt endlich mal erklären, was es mit denen genau auf sich hat?"
„Laut einer Legende sind es mal ganz normale Hasen gewesen, bis einer von ihnen den Samen einer Mondblume aß und er und seine Nachkommen veränderten sich, sowie damals die Menschen zu Werwölfen wurden, als sie diese Blumen berührten.
Die Hasen wurden wendiger, schneller und ihre Sinne verstärkten sich. Gleichzeitig entwickelten sie ein Gift, das so tödlich ist, dass bei einem Biss ein normalgewichtiger Mensch innerhalb einer Stunde stirbt, sofern er nicht das Gegenmittel bekommt." Erschrocken sehe ich Thore an und bin mir jetzt gar nicht mehr so sicher, ob ich wirklich gegen diese Biester kämpfen möchte.
„Kann ich nicht einfach gegen einen Hasen von der Erde kämpfen?" Meine Stimme klingt mehr als verunsichert, was ich unter diesen Umständen noch nicht mal wirklich schlimm finde.
„Ich bin mir sicher, dass du es schaffen wirst." Der Versuch vom älteren Mann, mir Mut zu machen, bringt zwar nicht sonderlich viel, trotzdem werfe ich ihm ein dankbares Lächeln zu.
„In 24 Stunden kannst du wieder zu uns zurückkehren. Wir werden dann aber jemanden schicken. Ich wünsche dir viel Glück." Mit diesen Worten verabschiedet er sich von mir und er und der ältere Mann treten den Rückweg an, während sie mich bei diesen Biestern zurücklassen.
„Komm schon, Phileas. Du bist doch noch nie ein Angsthase gewesen." Ehrgeizig wende ich mich der Gestalt zu, die einige Meter von mir entfernt hockt und versuche, genaueres zu erkennen.
Erst mit meinem jetzt neugewonnen Wissen kann ich sofort den Hasen erkennen, der dem von der Erde fast schon eins zu eins ähnelt. Vorsichtig und so leise wie möglich nehme ich den Bogen, spanne einen Pfeil ein und richte die Spitze auf den Hasen, der ganz damit beschäftigt ist, zu essen.
Ich hole noch einmal tief Luft, ehe ich die Sehne und somit auch den Pfeil loslasse und dieser durch die Luft saust. Im gleichen Moment hebt mein Gegner den Kopf und eine Sekunde später steckt der Pfeil genau dort, wo der Hase saß, der stattdessen nun ein Meter weiter hockt und fast schon angestrengt in meine Richtung blickt.
Eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen und ich stelle mir augenblicklich die Frage, ob man dieses Wesen wirklich noch als Tier und nicht schon als Menschen bezeichnen kann. Die Augen wirken intelligent und es scheint fast so, als ob er überlegen würde, ob er weiteressen soll oder doch lieber fliehen.
Zu meinem Glück scheint es sich für Ersteres zu entscheiden, da es sich wieder dem Gras zu wendet, während der Pfeil neben ihm im Boden steckt. Den Rest des Tages verbringe ich an den Baum gelehnt, die Bestie nicht aus den Augen lassend und überlege, wie ich es genau besiegen kann, wenn es scheinbar alles mitbekommt, was um ihn herumpassiert.
Aber irgendwann müsste ja selbst so ein Monsterhase schlafen und genau das wäre meine Chance. Mittlerweile ist es schon etwas her, dass die Sonne untergegangen ist und auch ich merke selbst, wie mich die Müdigkeit übermannt, doch genauso viel Angst habe ich, dass dieses Tier mich im Schlaf töten könnte.
Mein Blick wandert zu dem Tier, dass sich schon seit einigen Minuten nicht mehr bewegt hat, zumindest glaube ich, dass es Minuten sind, da ich mein Zeitgefühl vollkommen verloren habe. Wahrscheinlich wäre genau jetzt meine Chance, den Hasen endlich umzubringen, doch gleichzeitig schaffe ich es kaum noch meine Augen aufzuhalten, sodass ich meinen Kopf gegen den Baum lehne und keine Sekunde später bin ich ins Reich der Träume entschwunden.

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Der schwarze Beta
مستذئب2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...