Adriana
Ein Schrei entfährt mir und ich zögere nur einen kurzen Augenblick, ehe ich einen Schritt vor den anderen setze. Mit jeder Sekunde werde ich schneller und schneller, bis ich ihn schließlich außer Atem erreiche. Keuchend lasse ich mich neben ihn ins Gras fallen. Vorsichtig bette ich seinen Kopf auf meinen Oberschenkel und automatisch wandert mein Blick zu der Wunde an seinem Oberarm. Die Stelle um die Wunde herum ist blutverschmiert und doch ich kann sie nur gelähmt anstarren.„Adriana, presse das auf die Wunde." Jemand drückt mir ein Stück Stoff in die Hand und ich tue einfach das, was man mir sagt. Zu mehr bin ich diesem sowieso nicht imstande. Stattdessen starre ich einfach nur Kilian an. Erst jetzt fällt mir auf, dass er unglaublich blass ist und ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wenn er so schwer verletzt ist, wieso habe ich es dann nicht früher bemerkt? Wir hätten ihm früher helfen können. Wenn er jetzt stirbt, ist es alles meine Schuld. Wie hat er sich diese Wunde überhaupt zu ziehen können? Ich spüre, wie mir jemand das Stück Stoff aus der Hand nimmt und mich jemand anderes von Kilian wegziehen will. Doch ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden und versuche, mich mit aller Macht gegen die Person zu wehren.
„Lasst mich! Ich muss bei ihm bleiben."
„Jetzt wehre dich nicht. Scott und Alissa werden sich um ihn kümmern, aber du bist in diesem Fall nur ihm Weg", erklingt eine Stimme in der Nähe meines Ohres, doch ich kann sie in diesem Moment nicht wirklich einordnen. Genauso wenig wie die Namen. In diesem Moment gibt es nur eins, was für sie Bedeutung hat. Kilian. Doch als auch noch ein zweites Paar Hände damit beginnt, mich von ihm wegzuzerren, ergebe ich mich. Zwar lasse ich mich von ihnen wegziehen, doch gleichzeitig bleibt mein Blick auf ihm gerichtet. Zumindest solange, bis sich eine Person zwischen ihn und mich stellt. So kann ich ihn zwar nur noch erahnen, trotzdem kann ich an nichts anderes mehr denken. Doch mit jedem Meter, denn sie zwischen mich und Kilian bringen, beruhigen sich meine Gedanken ein bisschen mehr. Mittlerweile nehme ich nun auch schon wieder meine Umgebung wahr, doch kann immer noch an nichts anderes als Kilian denken.
„Adriana? Hörst du mich?" Ein Gesicht schiebt sich vor meins und ich brauche einige Sekunden, um Niklas zu erkennen. Dieser mustert mich besorgt.
"Was ist mit Kilian?" Meine Stimme klingt unglaublich ausgetrocknet und schwach, doch darüber mache ich mir in diesem Moment nicht sonderlich viele Gedanken. Nur Kilian ist wichtig.
„Ihm geht es gut. Scott meint, er würde schon wieder werden. In diesem Moment ist es wohl aber ein bisschen zu viel Anstrengung gewesen", zieht Niklas meine Aufmerksamkeit nach einigen Sekunden wieder auf sich. Zumindest glaube ich, dass es einige Sekunden gewesen sind, es hätten wahrscheinlich auch einige Minuten sein können.
„Sicher?" Die Erleichterung ist meiner Stimme mehr als deutlich anzuhören und mit einem Lächeln auf den Lippen bestätigt er seine Aussage nochmal. Ein berauschendes Gefühl von Freude, Erleichterung und unendlicher Dankbarkeit durchströmt mich, wobei ich es noch nicht mal in Worte fassen kann. Scheinbar bin ich in diesem Moment wie ein offenes Buch, was meine Gefühle angeht, denn das Grinsen von Niklas wird nur noch breiter. Langsam kann ich meine Gedanken auch noch auf andere Dinge als Kilian richten und werde wieder Herr meiner Sinne. Vollkommen glücklich falle ich Niklas in die Arme und er erwidert diese Umarmung nach kurzem Zögern.
„Du scheinst wieder ganz du selbst zu sein. Jetzt kannst du auch wieder zu ihm gehen, sofern du nicht wieder zu einem kreischenden, heulenden Zombie wirst." Verwirrt betaste ich meine Wangen, doch die Nässe bestätigt seine Aussage nur. „Das hast du nicht mitbekommen?" Er sieht mich leicht lächeln, leicht misstrauisch an. Aber ich kann ihm das auch nicht sonderlich übel nehmen, da ich nur selten so die Beherrschung verliere, wie gerade eben. „Du hast die ganze Zeit seinen Namen geschrien, ich dachte schon, mein Trommelfell würde gleich platzen und gleichzeitig hast du auch noch geheult, als würdest du hier das achte Weltmeer erschaffen wollen." Obwohl ich den spitzen Unterton nicht überhören kann und weiß, dass er wahrscheinlich mal wieder maßlos übertreibt, kann ich ihm nicht sonderlich lange böse sein.

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Der schwarze Beta
Lobisomem2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...