60. Kapitel

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Adriana

Als ich die Augen wieder öffne, fällt mein Blick auf eine Gestalt nur wenige Meter von mir entfernt. Der schwarze Wolf starrt mich an und auf gewisse Weise kommt er mir unglaublich bekannt vor. Doch ich kann ihm keinen Namen zu ordnen. Selbst mir kann ich keinen Namen zu ordnen. Verwirrt versuche ich, mich zu erinnern, doch mein Kopf scheint wie leergefegt.

Mit einem Mal steigt ein mir vertrauter Geruch in die Nase. Blut. In diesem Moment löst dieser Geruch irgendwas in mir aus. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Als würde jemand anderen meinen Körper beherrschen, springe ich auf den anderen Wolf zu. Nur ein Gedanken bildet sich in meinem Kopf. Tod. Ich will töten.

Gerade noch rechtzeitig weicht er einen Schritt zurück und ich lande auf dem Boden. Der Raum kommt mir bekannt vor, doch mehr auch nicht. Aufmerksam beobachte ich meine Umgebung, als mein Blick an einer Blume hängen bleibt. Konzentration, ermahne ich mich. Du musst töten. Er darf nicht überleben, besinne ich mich wieder auf meine Aufgabe. Meine Aufgabe.

Wieder halte ich inne und stelle mir die Frage, woher ich das weiß. Woher weiß ich, dass das meine Aufgabe ist? Hat mir das jemand gesagt? Doch wieder drängt mein Instinkt mich dazu, nicht zu lange nachzudenken. Ich richte meinen Blick wieder auf den schwarzen Wolf. Seine roten Augen scheinen förmlich durch mich durchzusehen und ein Schauer läuft mir über den Rücken.

„Adriana, bleib ganz ruhig", höre ich auf einmal eine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Verwirrt drehe ich mich um, doch abgesehen von dem schwarzen Wolf und mir ist niemand hier. Doch noch mehr verwirrt mich, dass mir der Name etwas sagt.

Wer ist Adriana? Ist sie eine Freundin von mir? Oder eine einfache Bekannte? So viele Fragen und ich finde keine Antwort. Töte, ertönt erneut die Stimme in meinem Kopf. In diesem Moment scheint sie meine einzige Verbündete.

Die Einzige, die klar mit mir redet. An sie habe ich keine Fragen. Sie ist meine Vertraute, meine Freundin, meine Ratgeberin. Aus diesem Grund muss ich tun, was sie sagt. Ich konzentriere mich wieder auf den Wolf vor mir und mache einen Schritt auf ihn zu.

Ein Knurren entweicht meiner Kehle, welches erwidert. Während ich einen weiteren Schritt vormache, bleibt er wie angewurzelt stehen. Zwar weicht er nicht zurück, doch kommt mir auch nicht entgegen. Aber ich habe keine Wahl, ich muss töten, ihn töten. Einzig und allein dieser Gedanke schwebt in meinem Kopf herum, sonst ist alles weg.

Als nur noch wenige Zentimeter Platz zwischen uns ist, zögere ich einen Moment, ehe ich nach ihm schnappen. Genau rechtzeitig weicht er aus, doch diesmal habe ich es scheinbar zu weit getrieben. Das Knurren, das nun seiner Kehle entweicht, ist anders, als das letzte. Dieses ist von Hass und Wut getränkt. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück. Töte ihn, spricht die Stimme in meinem Kopf mir weiter Mut zu und ich mache mich bereit.

„Adriana, hör auf", ertönt wieder die andere Stimme aus dem Nichts. Doch es ist zu spät. In diesem Moment kann mich nichts mehr zurückhalten und mit einem Heulen stürme ich auf den anderen Wolf zu. Nur wenige Sekunden später befinden wir uns in einem einzigen Knäuel, jederzeit bereit, den anderen zu töten.

Meine Reflexe übernehmen und es fühlt sich so an, als würde ich von außen mir selber zu schauen. Schon nach einigen Minuten bin ich erstaunlich erschöpft, da er ungefähr genauso stark ist wie ich. Sein Hecheln, das hingegen noch lauter ist, als mein eigenes, gibt mir immer noch Kraft.

Töte ihn, feuert die Stimme in meinem Kopf mich weiter an und ich nehme noch einmal all meine Kraft zusammen. Ich konzentriere mich darauf, eine Stelle anzugreifen, die er in diesem Moment nicht schützt. Doch plötzlich wird all das übertönt von dem Schmerz, denn ich mit einem Mal spüre. Als ich meinen Blick wieder auf den gegnerischen Wolf richte, erkenne ich sofort, dass sein Maul blutverschmiert ist.

Doch der Geruch ist mir bekannt und schlagartig wird mir bewusst, dass es mein Blut ist. Auf einmal scheint es, als hätte man meinem Körper jegliche Kraft geraubt und langsam sinke ich zu Boden. Als gäbe es nichts Spannenderes beobachte ich, wie das Blut weiter aus meiner Wunde austritt und über den Steinboden fließt.

Immer weiter bahnt es sich seinen Weg zu der Blume, die nur ein kleines Stück von mir im Boden wächst. Noch immer schreit die Stimme in meinem Kopf, dass ich ihn töten soll. Dass ich aufstehen soll und zu ende bringen soll, was ich begonnen habe. 

Doch ich kann nicht. Mittlerweile atme ich auch nur noch schleppend und am liebsten würde ich jetzt nur noch schlafen. Die Augen schließen und nicht mehr öffnen. Immer wieder fallen meine Augenlider zu, doch ich versuche, sie weiter offen zu halten. Ich beobachte, wie mein Blut die Blume erreicht und langsam zerfällt sie zu Staub.

In diesem Moment verstummt die Stimme in meinem Kopf und ich atme beruhigt auf. Endlich Ruhe, endlich kann ich schlafen. Doch mit dem Verstummen der Stimme kommen plötzlich ganz andere Gedanken zurück. 

Nicht nur Gedanken, sondern auch Erinnerungen. Adriana. Vor allem dieser Name schwebt die ganze Zeit umher und mit einem Mal wird mir bewusst, wer Adriana ist. Ich bin Adriana.

Als mein Blick langsam zu meinen Pfoten schweift, beobachte ich, wie das Schwarz langsam heller wird, bis es ein Grau ist. Allerdings endet dieser Vorgang erst, als mein Fell in dem hellsten Weiß erstrahlt, dass ich je gesehen habe. Doch all das ist nebensächlich. In diesem Moment zählt nur noch eine Sache, die Augen schließen und schlafen.

„Adriana", höre ich auf einmal, jemanden schreien, und dieses Mal erkenne ich die Stimme. Kilian. Mein Mate. Bei dem Gedanken an ihn taucht ein Lächeln auf meinen Lippen auf. Er wird es verstehen, wenn ich mich kurz ausruhen will. Mit diesem Gedanken fallen meine Augen zu und jegliche Geräusche verstummen.

Ich schätze, nun ist klar, dass die Blume zwar zerstört ist, aber mit einem sehr hohen Preis.

Der schwarze BetaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt