Phileas
Ratlos starrt Adriana auf die drei Gänge und ich kann mir ungefähr vorstellen, was in diesem Moment in ihr vorgeht. Ich lasse meinen Blick über die anderen schweifen und natürlich bleibt er bei Delfina hängen. Ich starre sie einen kurzen Moment an und genau in diesem Moment blickt sie in meine Richtung. Schnell wende ich den Blick wieder ab.
„Was überlegst du, Adriana?", fragt Scott sie interessiert.
„Du hast gerade schon richtig gesagt, dass jede Sekunde zählt. Aber diese Gänge werden endlos lang sein und wir haben keine Ahnung, welchen wir nehmen müssen. Deswegen würde ich vorschlagen, dass wir uns in drei Gruppen aufteilen." Mit einem Nicken stimme ich ihrem Vorschlag zu, genau wie alle anderen.
„Was haltet ihr von dieser Gruppenaufteilung: Adriana und ich, Scott, Niklas und Alissa und zuletzt Phileas, Newt und Delfina", macht Kilian einen Vorschlag und Adriana nickt zustimmend. An Scott's Gesicht hingegen kann ich ablesen, dass ich nicht der Einzige bin, der dieser Vorschlag missfällt. Selbst, wenn ich weiß, dass die beiden uns nur etwas Gutes tun wollen, in dem sie uns in eine Gruppe stecken, so ist das heute alles andere als produktiv. Doch genauso wenig wie Scott sage ich etwas.
„Gut, dann wäre das geklärt. Sucht ihr euch den Gang aus, denn ihr entlang gehen wollt. Newt und Scott, ihr solltet meine Handynummer haben, wenn ihr die Blume gefunden habt, ruft ihr mich an und erklärt mir, wie ich zu euch komme", gibt Adriana uns die restlichen Anweisungen und die Angesprochenen nicken. Danach wende ich mich Newt und Delfina zu.
„Welchen Gang wollen wir nehmen?"
„Links", antwortet Newt wie aus der Pistole Geschossen und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Schon als kleines Kind mochte er links immer lieber, einfach aus dem banalen Grund, dass er selber Linkshänder ist. Er hat immer seiner Meinung nach, gegen die Unterdrückung der Seite Links gekämpft. Delfina nickt einfach nur zustimmend, wobei ich mir nicht sonderlich sicher bin, ob sie dazu eine genau Meinung hat.
„Wir nehmen den linken Gang. Viel Glück euch", meine ich an die anderen gerichtet, ehe wir auf den linken Gang zugehen. Dieser ist genau wie die anderen eher spärlich beleuchtet und in den Ecken kann ich Spinnenweben entdecken.
„Phileas, ich muss nun endlich mal mit dir reden", durchbricht Delfina die Stille, nachdem wir einige Minuten dem Gang gefolgt.
„In Ordnung", murmel ich einfach nur vor mich hin. Selbst, wenn ich dieses Gespräch am liebsten vermeiden würde, ist mir doch klar, dass ich es irgendwann führen muss.
„In Ordnung? Du hast nichts irgendwas dagegen? Schließlich bist du beim letzten Mal zusammengebrochen." Ich kann ihren erstaunten Blick förmlich in meinem Rücken spüren und Newt neben mir reißt die Augen auf.
„Zusammengebrochen?"
„Ja, nicht der Rede wert. Aber jetzt weiß ich wenigstens, was zuvor passiert ist." Zwar klingt meine Stimme mehr als desinteressiert, doch es wühlt mich mehr auf, als es eigentlich sollte. Aber vielleicht schaffe ich es nun endlich, dieses Gespräch hinter mir zu bringen. Gleichzeitig bekommt Newt alles mit, so muss ich es ihm nicht nochmal erzählen. Also wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt. „Ich weiß nicht, ob ich es dir damals gesagt habe, aber ich habe dich bei unserem ersten Gespräch mit Eliana verwechselt. Erst durch Thore habe ich erfahren, dass du nicht sie bist. Sie hat dich nie erwähnt", erkläre ich ihr.
„Eliana?" Newt sieht verwirrt zwischen uns beiden hin und her.
„Kennst du sie denn nicht? Ihr seid doch Brüder? Eliana ist meine Zwillingsschwester und seine Mate." Bei Delfina's Worten bleibt Newt überrascht stehen, doch ich gehe einfach weiter. Schnell macht er sich daran, wieder aufzuholen.
„Wieso kenne ich deine Mate nicht?" Entrüstet sieht er mich an, doch ich blende ihn einfach aus. Bin ich wirklich schon so weit, ihnen beiden die Wahrheit zu sagen?
Doch bevor ich ihnen in irgendeiner Weise antworten muss, biegt der Gang um eine Ecke und keine Sekunde später stehen wir in einer riesigen Halle. Die Kronleuchter hängen verstaubt von der Decke und das Parkett hat schon lange seinen Glanz verloren. Doch würde man diese Halle einmal saubermachen, wäre sie wahrscheinlich mehr als atemberaubend. Staunend gehe ich in die Mitte der Fläche, die bei Festen wahrscheinlich auch als Tanzfläche dienen würde. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und kann nicht fassen, dass ich wirklich hier stehe. Doch viel zu schnell landet mein Blick wieder bei Delfina und Newt. Diese scheinen zwar nicht weniger fasziniert von der Halle, aber gleichzeitig warten sie immer noch auf eine Antwort meinerseits. Mit einem Seufzen gehe ich wieder zu ihnen zurück und lege mir dabei schon mal meine Worte zurecht.
„Also, ich weiß jetzt nicht genau, wie ich es formulieren soll, aber ... Eliana ist ... ist tot." Hastig wende ich meinen Blick ab. Ich möchte ihnen nicht in die Augen sehen und ihnen erzählen, dass ich Schuld an ihrem Tod bin.
„Sie ist tot?" Der Schmerz in Delfina's Stimme ist nicht zu überhören. Augenblicklich wünsche ich mir, ich hätte diesen Moment noch ein bisschen hinauszögern können. Doch dann wäre sie genauso verletzt gewesen, also würde es sowieso keinen Unterschied machen. Ich drehe mich wieder zu den beiden um und nicke einfach nur stumm. „Was ist passiert?" Ihre Augen sind mittlerweile leicht glasig, trotzdem fragt sie weiter, wofür sie meinen größten Respekt hat. Am liebsten würde ich ihr nun eine großartige Geschichte erzählen. Eine, in der ihre Schwester stirbt, wie die Heldin, die sie immer gewesen ist. Ihr von einem Tod erzählen, der Eliana gerecht kommt. Doch das kann ich nicht.
„Es ist ein normaler Autounfall gewesen. Sie ist einen Moment unaufmerksam gewesen und im nächsten Moment ist sie von einem Auto angefahren worden. Aber sie musste nicht lange leiden." Delfina nickt einfach nur und ich kann eine Träne erkennen, die ihre Wange hinunterrollt. Wahrscheinlich würde ich nicht anders reagieren, hätte man mir gerade eben eröffnet, dass Newt tot ist. Dieser blickt Delfina mitfühlend an, ehe er sie in den Arm nimmt. „Deswegen hast du so auf mich reagiert und wolltest nicht mit mir reden", bringt sie unter den Tränen hervor.
„Es tut mir Leid, dass ich es dir nicht früher gesagt habe. Auch wenn ihr Tod nun etwas länger ist, macht es das Ganze nicht leichter." Ich lasse meinen Blick im Raum herumschweifen, aus Angst nun schon wieder zu viel gesagt zu haben. Beide würden mich hassen, wenn sie erfahren, wieso Eliana an diesem Autounfall gestorben ist.
„Phileas, was ist los? Du scheinst nervös." Mein Blick schweift zu Newt, der mich eindringlich ansieht. Manchmal hasse ich es, dass er mich trotz allem so gut kennt. Soll ich ihnen wirklich die Wahrheit erzählen oder sie verschweigen? „Es tut nicht gut, irgendwelche Sachen in sich hineinzufressen. Jetzt sag endlich, was los ist, wir werden dich schon nicht umbringen." Mit seinen Worten nimmt Newt mir die Entscheidung ab und ich hole tief Luft.
„Ich bin schuld. Wir haben einen Streit gehabt, ich habe sie verletzt und sie ist wütend weggerannt. Deswegen ist sie nicht aufmerksam gewesen und vor das Auto gerannt", presse ich hervor und atme erleichtert auf. Es tut erstaunlich gut, diese Worte endlich mal ausgesprochen zu haben, selbst, wenn ich Newt und Delfina nun nicht mehr in die Augen sehen kann.
„Es ist nicht deine Schuld. Es ist ein unglücklicher Zufall gewesen. Daran kannst du dir nicht die Schuld geben." „Aber du verstehst das nicht, Newt. Ich bin genauso wie Vater. Ich habe sie nicht auf die Art verletzt, wie du denkst. Ich habe sie geschlagen." Bei meinen Worten zieht Newt scharf die Luft ein. „Aber trotzdem ist es nicht deine Schuld. Und du bist nicht wie Vater. Vater hat es extra und mit voller Absicht gemacht. Du hingegen gibst dir für ein Mal nun schon wie lange die Schuld? Ich würde dir verzeihen." Ich schenke meinem Bruder ein kurzes Lächeln. Es tut wirklich gut, ihn auf meiner Seite zu wissen. „Ich auch. Selbst, wenn ich ein bisschen brauchen werde, kannst du dir nicht die Schuld dafür geben. Für manche Sachen kann man nichts, sie kommen einfach, ohne das man es will." Delfina hat sich wieder ein bisschen beruhigt, doch der Schmerz ist ihr immer noch anzusehen. Ich will sie gerade fragen, ob sie mit ihren Worten irgendwas Bestimmtes meint, als ein Knurren hinter uns ertönt. Langsam drehe ich mich um und starre ihn die roten Augen eines schwarzen Wolfes, der uns mehr als wütend mustert.

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Der schwarze Beta
Hombres Lobo2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...