Adriana
Weder Ben noch ich machen Anstalten es ihm zu sagen, obwohl es uns neben Ace am meisten betrifft.„Gut, dann mache ich es. Irgendwann solltest du es wissen", meint Kilian mit einem Seufzen. „Tiras ist damals derjenige gewesen, wegen dem Mirabella verschwunden ist. Er hat damals gedacht, sie könnte dich deinen Rang als Alpha kosten und hat deswegen versucht, sie umzubringen. Aber er hat nicht damit gerechnet, dass sie überlebt. Wo er sie als Adriana wiedererkannt hat, hat er sie, vermute ich zumindest mal, bedroht, wieder zu Verschwinden. Er ist auch derjenige, der an Ben's Verletzungen schuld ist." Bei Kilian's Worten reißt Ace die Augen auf und blickt erst zu den Ben und dann zu mir.
„Er lügt, oder? Bitte, sagt, mir, dass er lügt." In seiner Stimme kann ich in keiner Weise den starken Ace wiedererkennen, denn ich sonst kenne. Stattdessen klingt er wie ein kleiner Junge, dem man gerade erzählt hat, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Betrübt senke ich den Blick, da ich Ace bei so einer Lüge nicht in die Augen schauen könnte. Es schmerzt, zu wissen, dass mit diesen Worten Ace's Welt zusammengebrochen ist und man indirekt daran Schuld ist. Schuld, dass er sein letztes richtiges Familienmitglied von nun an hassen wird. „Adriana, sag mir die Wahrheit, stimmt es, was Kilian erzählt hat?" Ace's Stimme ist nun nicht mehr leise, sondern laut, nicht mehr zerbrechlich, sondern verzweifelt. Langsam hebe ich den Kopf und sehe in seine glasigen Augen.
„Es stimmt." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Es stimmt, was er gesagt hat. Als ich meine Erinnerungen zurückbekommen habe, habe ich mich auch daran erinnert. Tiras muss es irgendwie mitbekommen haben, denn schon nach kurzer Zeit stand er bei mir auf der Matte und hat mir gedroht, dass ich verschwinden soll und schon gar nichts dir erzählen soll. Sonst würde er mich umbringen." Bei diesem Satz lege ich eine kurze Pause ein, als ich mich an das Geschehene zurück erinnere und hole nochmal tief Luft. „Ich habe ihm aber nicht geglaubt, dass er wirklich nochmal versuchen würde, mich umzubringen. Um mich vom Gegenteil zu überzeugen hat er Ben verletzt und mir gesagt, dass er für dich, jeden auf dieser Welt umbringen würde." Danach bricht meine Stimme ab und ich kann in keiner Weise weitersprechen.
Auf der einen Seite tut es gut, es ihm erzählt zu haben und zu wissen, dass Tiras nun vielleicht nicht ganz gewinnen wird. Auf der anderen Seite tun die Tränen in Ace's Augen mehr weh, als der Gedanke, er würde für immer unter Tiras' Fittiche stehen. Hastig wende ich meinen Blick ab. Ich kann ihn nicht weiter ansehen und dabei wissen, dass ich für diesen Schmerz verantwortlich bin.
„Wieso habt ihr es mir nicht damals gesagt? Wir hätten irgendeine Lösung gefunden." Die Hoffnung in seiner Stimme ist leicht erkennbar. Die Hoffnung, dass das alles vielleicht nur ein Missverständnis ist, dass sie alles wieder grade biegen lässt. Doch tief in seinem Inneren weiß er, weiß ich, weiß jeder von uns vieren, dass es das nie wieder wird. Diese Worte, die hier gerade ausgesprochen sind, wird keiner von uns mehr vergessen. Man wird auch nicht so tun, als hätten wir sie nicht ausgesprochen, denn das ist unmöglich.
„Wie hätten wir es dir erzählen sollen?", mischt sich nun auch Ben in das Gespräch ein, schließlich betrifft es ihn genauso sehr. „Uns allen ist klar gewesen, wie sehr dich die Wahrheit verletzen wird. Jeder von uns will nur das Beste für dich und dazu gehört garantiert nicht, dir zu erzählen, dass dein Vater versucht hat, deine zwei besten Freunde umzubringen." Ben gehen diese Worte erstaunlich leicht über die Lippen, wahrscheinlich, weil sie vorher schon mal jemand ausgesprochen hat.
Gespannt wartet jeder auf Ace's Reaktion. Mit einem Mal kann ich mir jede mögliche Reaktion bei ihm vorstellen. Das er herumschreit und uns als Lügner bezeichnet. Dass er in sich zusammenbricht und alles verdrängen will. Doch mit einem Mal verwandelt er sich, das Reißen seiner Kleidung durchbricht die Stille und bevor jemand von uns etwas machen kann, läuft er weg. Weg vor uns und der Wahrheit. Wir sehen ihm alle nach, doch keiner rührt sich von uns.
„Wir müssen ihm suchen. Er kann unmöglich nach alledem nun alleine bleiben", durchbricht Isabella als erste die Stille und die Sorge um Ace ist ihr mehr als anzuhören. Doch bevor jemand von uns etwas sagen kann, erregt etwas anderes unsere Aufmerksamkeit. Ein kleiner weißer Punkt schwebt vom Himmel herab, ehe er sich auf dem Boden niederlässt. Ein paar Meter von ihm entfernt kann man den nächsten entdecken.
„Es fängt an zu schneien", bemerkt Alissa, „Das ist in keiner Weise gut. Wenn es nun zu dolle schneit, könnte die Passage zwischen den Bergen versperrt werden für wer weiß wie lange. Und sonst gibt es keinen anderen Weg zum Schloss. Aber ich verstehe auch die Sorge um euren Freund und ich würde ihn auch eher suchen gehen." Nach ihrer Aussage kehrt Schweigen ein, während die meisten von uns mit sich selbst hadern. Ich will Ace in Sicherheit wissen, doch gleichzeitig habe ich die Aufgabe, die Blume zu zerstören. Wenn wir es jetzt nicht tun, könnte es zu spät werden.
„Ihr geht weiter. Ich suche nach Ace. Er ist mein bester Freund, außerdem ist es ja auch zum Teil meine Schuld, dass er nun weggelaufen ist." Ben klingt ziemlich sicher und ich weiß, dass, wenn er Ace nun sucht, ich ihn in Sicherheit wissen kann.
„Ich begleite dich, Ben. Er ist mein Mate. Ihr anderen solltet so schnell wie möglich zum Schloss", schließt Isabella sich Ben an.
„Seid ihr sicher?" Ich werfe den beiden fragende Blicke zu. Beide nicken einfach nur und ich bin mehr als erleichtert, dass ich mich nicht zwingend zwischen Ace und meiner Aufgabe entscheiden muss.
„Wenn ihr ihn findet, sagt ihm, es tut mir alles Leid, was ich gesagt habe. Und Isabella, ich werde von nun an nichts mehr gegen euch sagen. Ihr seid beide freie Menschen." Bei Kilian's Worten tritt ein strahlendes Lächeln auf Isabella's Gesicht.
„Wirklich?" Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und sie scheint vor Freude fast sprachlos. Kilian nickt einfach nur. Überschwänglich fällt Isabella ihm in die Arme und ich muss an unsere erste Begegnung denken. Damals haben die beiden sich auch umarmt. Ich habe dabei einen schmerzlichen Stich in meinem Herzen gefühlt, da er schließlich mein Mate ist. Doch nun macht es mir in keiner Weise etwas aus. Zum einen da ich weiß, dass die beiden nichts voneinander wollen und dass Isabella die Mate von Ace ist.
Schließlich verabschieden wir uns von den beiden und während sie in die Richtung gehen, in die auch Ace gelaufen ist, setzen wir unsere Reise in die entgegengesetzte Richtung fort. Mittlerweile ist der Schneefall immer mehr geworden und Alissa hat uns schon prophezeit, dass, wenn wir uns nicht beeilen, das Schloss nicht rechtzeitig erreichen werden. Das Knirschen der Schuhe im Schnee ist das einzige, was die Stille durchbricht, da hier weder Tiere leben, noch jemand bei dieser Eiseskälte wirklich sich unterhalten will. Also laufen wir schweigend hintereinander her, da die Schlucht mittlerweile nicht mehr breit genug ist. Doch langsam bemerke ich, wie der Weg immer breiter wird und Hoffnung macht sich in mir breit, dass wir das Schloss bald erreichen werden.
Angestrengt lasse ich meinen Blick über die Umgebung schweifen, kann aber aufgrund des Schnees recht wenig erkennen. Erst als der Weg wieder breit genug für fünf Männer nebeneinander ist, kann ich das Tor ein paar Meter vor uns entfernt ausmachen. Es scheint fünf Meter hoch zu sein und wird von Schnörkeln verziert. Es wirkt mehr als eindrucksvoll und zeigt gleichzeitig, dass wir das Schloss so gut wie erreicht haben.
Als ich den anderen einen Blick zu werfe, kann ich auf den meisten halb erfrorenen Gesichtern ein Lächeln ausmachen. Wir nähren uns dem Tor immer weiter und als wir nur noch einen Meter entfernt sind, schwingt es mit einem quietschenden Geräusch wie von selber auf. Staunend beobachte ich, wie es sich immer weiter öffnet und schließlich zum Stehen kommt.
„Magie", höre ich Niklas hinter mir ehrfürchtig und kann das Grinsen auf meinen Lippen nicht verhindern.
„Dann lasst uns mal die Blume suchen", spreche ich ein bisschen lauter, damit alle mich verstehen und durchquere den Eingang zum Schloss.
DU LIEST GERADE
Der schwarze Beta
Manusia Serigala2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...