Adriana
Die kühle Luft umschmeichelt meine Haut, dabei ist es alles andere als ein gutes Gefühl. Die ganze Zeit fühlt es sich hingegen an, als würde irgendjemand uns beobachten und mittlerweile habe ich das Gefühl, verrückt zu sein. Hinzu kommt noch, dass ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ihr schon mal gewesen zu sein. Doch auf der anderen Seite weiß ich, dass es auf keinen Fall stimmen kann.
Wieder drehe ich mich um und lasse meinen Blick über die Umgebung schweifen. Eine Bewegung, die ich bei dem letzten Teil unserer Reise tausendmal wiederholt habe. Immer wieder spüre ich den Blick von Phileas oder Ace auf mir, doch ich sehe sie nicht einmal an. Sie würden mich wahrscheinlich fragen, was mit mir los ist. Wie kann ich aber auf diese Frage antworten, wenn ich nicht mal selbst weiß, was los ist?
Auf einmal tauchen am Horizont mehrere kleine Punkte auf, die immer größer werden. Schließlich kann ich sie sogar als Gebäude erkennen und mit jedem Moment, denn wir näher reiten, wird mir klar, dass wir unser Ziel immer näher kommen. Auf unserer rechten Seite befindet sich immer noch eine hoche Bergkette, hinter der sich das Schloss verbirgt.
„Wir kommen dem Treffpunkt immer näher. Aber passt auf, ab jetzt sollten wir immer nahe beieinander bleiben. Es gibt Leute, die behaupten, die Stadt sei verflucht", wiederholt Sherine noch mal für uns alle und sie bekommt von allen Seiten Zustimmung. Schon von weitem fällt mir auf, dass dieses Dorf um einiges größer ist, als das Dorf von Lavea oder Sherine. Mit jedem Schritt, denn wir näher kommen, wird es immer stiller. Von uns hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach und selbst die Tiere scheinen diesen Ort zu fürchten.
Doch aus irgendeinem Grund schmerzt mir diese Stille in den Ohren. Hier sollten die Vögel zwitschern, der Fuchs sollte den Hasen über die Wiese jagen und die Käfer sollten durch das Gras krabbeln. Hier sollte Leben herrschen. Schließlich erreichen wir das Dorf und ich kann meinen Blick nicht von den leeren Häusern abwenden. Alles sieht so neu und wunderschön aus, man könnte sogar fast denken, dass jeden Moment die Bewohner aus ihren Häusern gestürmt kommen und die Stille vertreiben. Doch egal, wie lange man wartet, es wird nicht geschehen.
„Adriana, kommst du?", reißt Ace mich aus meinen Gedanken und erschrocken blicke ich auf. Ich habe gar nicht bemerkt, wie ich stehen geblieben bin. Die anderen sehen mich erwartend an und ich nicke einfach nur.
„Ja, wir können wir weiter." Mit diesen Worten setzen wir uns wieder in Bewegung und ich lasse meine Gedanken weiter schweifen. Auf einmal erregt eine Gestalt am Rande meines Sichtfeldes meine Aufmerksamkeit. Verwirrt richte ich meinen Blick auf die kleine Gestalt, die dort im Schatten des Hauses hockt. Ich werfe einen kurzen Blick zu den anderen, doch da ich sowieso schon ein paar Metern hinter ihnen reiten, haben sie nicht mitbekommen, dass ich angehalten haben.
Vorsichtig schwinge ich mich von meinem Pferd und gehe langsam auf das kleine Mädchen zu, die mich mit großen Augen mustert. Ihre weißblonden Haare hängen ihr in Zöpfen den Rücken hinunter. Ihre rundliche Gesichtsform und die weichen Gesichtszüge lassen sie nur noch jünger wirken, als sie wahrscheinlich ist.
„Was machst du denn hier, Kleine?" Mit sanfter Stimme spreche ich sie so leise an, dass die anderen uns nicht hören können.
„Ich spiele hier." Sie spricht hingegen mit einer lauten, kräftigen Stimme und für einen kurzen Moment fürchte ich, dass die anderen mein Verschwinden bemerkt hätten. Doch als nach einigen Sekunden nichts passiert, entspanne ich mich wieder. Aus irgendeinem Grund will ich nämlich nicht, dass sie das hier mitbekommen.
„Aber wieso spielst du denn hier ganz alleine?", richte ich mich wieder an das Mädchen und spreche diesmal auch ein bisschen lauter.
„Ich wohne hier. Und was machst du hier?" Irritiert mustere ich die Kleine. Wie kann sie hier bitte schön wohnen, so ganz alleine?
„Wo sind denn deine Eltern?"
„Die sind im Schloss, dort wird momentan eine Besprechung abgehalten. Mama sagt immer, ich bin noch zu klein dafür. Aber irgendwann werde ich auch mitgehen." Das Selbstbewusstsein, was die Kleine in diesem Moment ausstrahlt, zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.
„Wie lange werden sie denn noch dortbleiben?" Innerlich widerstrebt es mir, das Mädchen hier jetzt einfach so alleine zu lassen. Doch auf der anderen Seite befürchte ich, dass die anderen sich mittlerweile Sorgen machen. Vielleicht hätte ich doch einfach bei der Gruppe bleiben sollen. Aber ein Blick auf das Mädchen genügt, um zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
„Ein paar Tage meistens. Aber damit ich nicht so alleine bin, passt Mama's Freundin auf mich auf. Deswegen muss ich jetzt nach Hause. Du kannst mich gerne begleiten, wenn du möchtest." Ich schmunzel über die Offenheit des Mädchens. Nichtsdestotrotz stellt sich mir wieder die Frage, ob die Kleine vielleicht lügt. Diese Stadt ist alles andere als ein schöner Ort und laut Ceadda wird er auch nicht sonderlich oft besucht. Also wieso lebt die Kleine hier und wer sind ihre Eltern? Leider gibt es nur einen Weg das herauszufinden.
„Ich begleite dich gerne. Mein Name ist übrigens Adriana und wie heißt du?", stelle ich mich der Kleinen vor.
„Das ist ein schöner Name. Alle meine Freunde nennen mich Bella. Du darfst das auch, wenn du möchtest." Bei der Art, wie sie es sagt, lächel ich. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg, wobei ich mein Pferd an den Zügeln führe.
„Bist du eigentlich neu hier?" Interessiert mustert sie mich.
„Du kommst mir nämlich in keiner Weise bekannt vor und ich kenne jeden Menschen hier." „Du kennst jeden Menschen in dieser Welt?" Ich ziehe die Augenbrauen hoch und langsam verstärkt sich das Gefühl, dass sie mir nur Lügen erzählt.
„Nein, doch nicht in der Welt, das wären viel zu viele Menschen. Ich rede von den Menschen, die hier im Rudel leben." Von den Menschen, die hier im Rudel leben? Soll ich ihr vielleicht sagen, dass hier außer uns niemand ist?
„Hier sind wir. Komm, ich stelle dich der Freundin meiner Mutter vor. Vielleicht kannst du sogar mit uns essen." Freudig öffnet sie die Tür des Hauses, vor dem wir stehen geblieben sind. Es wirkt ein bisschen größer auf mich, als die anderen, aber es könnte natürlich auch eine Einbildung sein. Ich lasse meinen Blick nochmal über die Umgebung schweifen und mit einem Mal kommt sie mir unglaublich bekannt. Aber im nächsten Moment zieht Bella wieder meine Aufmerksamkeit auf sich, in dem sie mich hineinbittet. In dem Moment, als die Tür sich hinter mir schließt, dreht Bella sich zu mir um.
„Ich weiß jetzt, wer du bist." Auf ihren Lippen taucht ein Lächeln auf und ich mustere sie nur verwirrt.
„Was meinst du damit?"
„Hör mir zu, du darfst die Hoffnung nie aufgeben. Nichts ist unmöglich, vor allem, wenn man seine Freunde beschützen will." Sie blickt mich eindringlich an und diesem Moment wirkt sie so viel reifer und älter. Langsam fängt sie an zu verschwinden und ich blinzel mehrmals schnell hintereinander. Wie ist das möglich? Erstaunt blicke ich an den leeren Fleck, wo sie eben noch stand. Auf einmal segelt ein Bild auf den Boden und überrascht starre ich es an.
Auf dem Foto sind zwei Kinder erkennbar. Das eine ist unverkennbar Bella, so wie sie gerade vor mir stand. Der Junge hingegen kommt mir nur bekannt vor und ich brauche ein bisschen, bis ich auch ihn erkenne. Doch auf der anderen Seite ist es doch gar nicht möglich, dass er derjenige ist, für denn ich ihn halte. Langsam lasse ich mich auf dem Boden nieder und lehne mich an die Wand. Was ist gerade genau geschehen? Was meinte Bella mit ihren Worten? Wieso hat sie sich in Luft aufgelöst? Immer mehr Fragen fallen mir ein und ich kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen.

DU LIEST GERADE
Der schwarze Beta
Werewolf2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...