Phileas
Während wir auf Sherine warten, bin ich damit beschäftigt, meine Gedanken ein bisschen zu sortieren. Laut den anderen, bin ich wohl irgendwann zusammenklappt, doch ich kann in keiner Weise sagen, wann es genau passiert ist. Irgendwie verschwimmt alles, wenn ich daran zurückdenke. Stattdessen scheine ich auch noch unter Erinnerungslücken zu leiden, da ich mich in keiner Weise an das Geschehene erinnern kann, nachdem wir auf Noah getroffen sind. Doch leider will mir auch keiner der anderen sagen, was passiert ist.
Als Sherine wiederkehrt und wir uns für den Aufbruch vorbereiten, mache ich alles ein bisschen langsamer, da ich immer noch ein bisschen unsicher auf den Beinen bin. Ace versichert mir hingegen die ganze Zeit, dass das alles am Nervenzusammenbruch liegt und es in den nächsten Tagen wieder besser wird. Gerade als ich dabei bin, meine Rucksack zu Ende zu packen, merke ich, wie meine Hand anfängt, unkontrolliert zu zittern und eilig halte ich sie mit der anderen fest, damit es keiner mitbekommt.
Ich bin ein Jäger, ich muss meinen Körper unter Kontrolle haben. Schließlich sind wir alle soweit fertig, dass wir unsere Reise fortsetzen können und ich steige wieder auf dasselbe Pferd wie eben schon. Doch während wir reiten, lasse ich mich extra ein bisschen zurückfallen, damit ich bloß meine Ruhe habe. Insbesondere vor Delfina, wobei ich das Gespräch mit ihr immer noch fürchte.
Nach einigen Minuten lenkt Adriana ihr Pferd jedoch auf eine Höhe mit mir. Ich brauche sie gar nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie mich ansieht.
„Was ist?" Meine Stimme klingt erstaunlich kalt und erschöpft.
„Geht es dir gut? Wenn es dir zu viel wird, musst du nur Bescheid geben." Die Besorgtheit ist leicht aus ihrer Stimme herauszuhören und auf meinen Lippen erscheint für einen kurzen Moment ein Lächeln. Aus irgendeinem Grund freut es mich, dass sie sich so um mich sorgt, während von den anderen keiner nachgefragt hat.
„Mir geht es gut, danke der Nachfrage." Trotzdem reitet sie weiter neben mir und wirft mir immer mal wieder ein paar Blicke zu.
„Adriana, kann ich dir eine Frage stellen?" Ich weiß nicht, wieso, doch auf einmal interessiert mich dieses Thema brennend.
„Natürlich, worum geht es denn?" Ihre Stimme klingt leicht verwirrt.
„Wie ist Newt damals gewesen? Ich meine, als er damals bei dir im Rudel gelebt hat."
„Ich habe keine Ahnung, wie er vorher gewesen ist, deswegen kann ich es recht wenig vergleichen. Aber er ist eigentlich schon immer sehr ruhig gewesen, sehr nachdenklich. Vollkommen anders, als der Newt, den ich jetzt wiedergetroffen habe. Aber ich glaube, das lag an dir. Schon damals hat man gemerkt, dass ihm immer etwas gefehlt hat." Während sie erzählt, stiehlt sich ein Lächeln auf meine Lippen. Nie hätte ich gedacht, dass ich Newt wirklich so wichtig bin.
„Danke." Meine Stimme ist nicht sonderlich laut, während ich mir vornehme, mein Verhältnis zu Newt zu verbessern.
„Wie ist er denn damals gewesen?" Adriana wirft mir einen fragenden Blick zu und ich denke an meine Kindheit zurück.
„Er hat nie das getan, was man von ihm wollte. Er musste ständig Ärger machen oder irgendwelche Streiche spielen. Nicht selten kam es vor, dass ich ihm helfen musste, aus seinem Zimmer zu entkommen, weil er mal wieder Hausarrest hatte. Es gab nur wenige Tage, wo unser Vater sich mal nicht über ihn aufgeregt hat." Bei dem Gedanken an meinen Vater halte ich inne. Zwar habe ich ihn letzter Zeit recht oft an ihn gedacht, doch mir nie wirklich die Frage gestellt, wie es ihm geht. Ob er immer noch derselbe ist, wie vor Jahren oder sich mittlerweile geändert hat? Zwar bezweifel ich Letzteres, aber einen kleinen Funken Hoffnung kann man ja trotzdem haben. Ich schweige noch eine weitere Sekunde, ehe ich den Mund öffne und wieder schließe.
„Du brauchst mir nicht mehr zu erzählen. Ich habe von eurem Vater gehört." Erleichtert atme ich aus, dass ich das Thema von ihm nun weglenken kann. Danach kehrt wieder erstmal Schweigen ein, doch es dauert nicht lange, bis mir auffällt, wie Adriana sich die ganze Zeit umsieht.
„Alles in Ordnung?" Diesmal bin ich derjenige, aus dessen Stimme die Besorgtheit herauszuhören sind. Es dauert einige Sekunden, bis sie mir antwortet.
„Ja, ja." Doch auch dann klingt ihre Stimme seltsam abwesend. Aber genauso gut könnte es auch sein, dass ich anfange, Geister zu hören. Trotzdem blickt sie sich immer wieder um, als würden wir verfolgt werden. Selbst Ace, der einige Meter vor uns reitet, ist es aufgefallen. Als er mich fragend ansieht, zucke ich einfach mit den Schultern, da ich mir Adriana's Verhalten auch nicht erklären kann. Mein Blick fällt auf ihre Hände und ich bemerke, dass sie die Zügel krampfhaft umklammert, sodass ihre Fingerknöchel langsam weiß anlaufen. Auch sonst sitzt sie alles andere als entspannt im Sattel.
„Adriana", spreche ich sie nochmal an. Vor Schreck entfährt ihr ein kurzer Schrei, der auch die Aufmerksamkeit der anderen auf uns zieht.
„Tschuldigung. Es ist alles in Ordnung." Peinlich berührt senkt sie den Blick und ich meine zu erkennen, dass ihre Wangen leicht rot anlaufen. Erst nach einigen Sekunden fällt ihr wieder ein, warum sie eigentlich erschreckt ist und sie wendet sich an mich.
„Was ist los?"
„Ich wollte dich nur nochmal fragen, ob bei dir wirklich alles in Ordnung ist. Du wirkst so angespannt."
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung, glaube ich zumindest. Ich habe ein seltsames Gefühl bei dem Ganzen, aber das kann ich mir natürlich auch einbilden." Sie klingt noch nicht mal selber von sich überzeugt, was es mir nur noch schwerer macht, ihr diese Lüge abzukaufen. Aber ich nicke einfach nur, doch behalte sie weiter im Auge. Doch scheinbar merkt sie es, denn nach einigen Sekunden lässt sie sich ein bisschen weiter nach hinten fallen, sodass ich mich komplett umdrehen muss, um sie anblicken zu können. Aber bevor ich mich auch zurückfallen lassen kann, fängt schon jemand Neues an, auf meiner Höhe zu reiten.
„Geht es dir gut? Weißt du, was mit Adriana los ist?" Er wirft mir einen besorgten Blick zu und es schmerzt ein kleines Bisschen, dass diese Besorgtheit wahrscheinlich nur Adriana allein gewidmet ist.
„Mir geht es gut, aber ich habe keine Ahnung, was mit ihr los ist. Sie benimmt sich irgendwie seltsam und meinte eben, dass sie ein komisches Gefühl bei dem Ganzen hier hätte." Ace nickt einfach nur und scheint schon gedanklich zu überlegen, was mit ihr los sein könnte.
„Hat eigentlich einer der anderen die erzählt, was vor deinem Zusammenbruch passiert ist?" An sich wäre die Frage nichts untypisches, doch diese Neugier in seinem Blick lässt mich stutzig werden.
„Wieso interessiert dich das so sehr?" Ich sehe ihn fragend an, während in mir langsam eine Vermutung aufkeimt. „Bist du derjenige, der ihnen gesagt hat, sie sollen mir nichts erzählen?" Bei diesen Worten lacht Ace kurz auf, ehe er sich durch die Haare fährt, eine Angewohnheit, die er sich schon eigentlich vor Jahren abgewöhnt hat. Außer er lügt. Ich werfe ihm einen eindringlichen Blick zu und nach einigen Sekunden gibt er auf.
„Okay, na gut, ja, dass bin ich gewesen. Aber, bevor du jetzt irgendwas sagst, musst du wissen, dass das alles nur zu deinem eigenen Schutz ist. Ich habe Angst, dass, wenn sie dich wieder auf das ansprechen, du nochmal zusammenklappst." Auf der einen Seite verstehe ich ihn ja und das er es gut gemeint hat, doch auf der anderen Seite möchte ich selber bestimmen, was mir gesagt wird und was nicht.
„Ich möchte wissen, was zuvor passiert ist. Glaubst du nicht, ich weiß das am besten?"
„Nein, ich glaube, bei diesem Thema weißt du es nicht. Aber ich erzähle dir alles, sobald wir die schwarzen Wölfe besiegt haben und hier fertig sind, in Ordnung?" Er wirft mir einen bittenden Blick zu, den ich nur zu gut kenne und nach einigen Sekunden gebe ich auf.
„Okay, aber dann möchte ich es sofort wissen." Ace nickt hastig, ehe er kurz Tempo aufnimmt, um wieder neben Isabella zu reiten. Ich bleibe hingegen allein zurück, so wie ich es am Anfang gewollt habe, nur das jetzt noch ein paar Fragen dazugekommen sind, am deutlichsten, was ist vor meinem Zusammenbruch passiert.
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Der schwarze Beta
Kurt Adam2. Teil von "Die weiße Alpha" (direkte Fortsetzung) Adriana wollte eigentlich allem, was passiert war, den Rücken zukehren. Aber dann bekommt sie unerwarteten Besuch und mit ihren Freunden begibt sie sich auf eine Reise, um die schwarzen Wölfe zu be...