Prolog

3.3K 131 24
                                    

Cest la vie!

<MIA>

Nie hätte ich gedacht, dass ich an diesem Punkt stehen würde. Es fühlt sich noch immer völlig surreal an, als ob ich überhaupt nicht ich selbst wäre, sondern jemand komplett anderes. Nicht Ava oder Mia, sondern eine Frau die ich selbst erschaffen habe. Ein Mensch der aus der Asche auferstanden ist, sich durch Schutt und Geröll gekämpft und mit jeder Menge Abschaum abgeben musste, bis er dort angekommen ist, wo er hin wollte. 

Und auf diesen Tag habe ich mein ganzes, erbärmliches und von Fremden gesteuertes Leben gefreut. Der Regen durchnässt mich bis auf die Knochen, lässt meine Kleidung vor Nässe triefen. Sie fühlt sich klamm auf meiner Haut an, die vor Narben, sichtbar oder unsichtbar nur so übersäht ist. Das Gewicht der silbrigen Waffe liegt schwer in meiner Hand, doch ich geniesse dieses Gefühl der Macht. Denn das wurde mir niemals vergönnt, ich musste immer tun was die Anderen mir aufgetragen haben. Und damit meine ich meine eigene Familie, die mich wie eine Kuh auf dem Viehmarkt verkauft hat. Wieder und wieder. 

So oft es eben sein musste um ihren Geschäften zu dienen und davon haben sie einen Haufen gemacht. Deals mit Geschäftsleuten, Wirtschaftsbossen, Leuten die der Regierung dienten und sogar solchen denen man es nie zugetraut hätte. Priestern, Bischöfen, sogar Kardinälen. Alles Männer Gottes, doch die sind bekanntlich die schlimmsten. Ob sie für ihre Taten in der Hölle schmoren werden? Ich kann es nur hoffen. Denn solche Männer, die den Namen Gottes in den Schmutz ziehen, haben es nicht verdient im Paradies zu leben. Sie sollen für immer verdammt und im Fegefeuer brennen, bis sich ihre Haut mit den Knochen verbunden hat und sie nur noch ein Schatten ihres Selbst sind.

 Genau wie ich es war. Ich wurde benutzt und wenn man genug von mir hatte, weggeworfen. Wie Müll. Oder eine Puppe, mit der man nicht mehr spielen will, weil sie zu alt oder zu kaputt ist. Und das bin ich noch immer, innerlich so zerstört das man mich nicht mehr als menschliches Wesen bezeichnen kann. Und trotzdem stehe ich heute hier, werde vom Regen durchnässt und ziele mit der Waffe auf die Menschen, die ich seit jeher verachte und aus ganzer Seele hasse. Oh ja, ich bin ein hasserfüllter Mensch, der nur noch lebt um sich zu rächen. Ob ich danach noch weiterleben kann oder es überhaupt will, weiss ich nicht. Doch das macht nichts, denn ich lebe nur für diesen einen Tag. Des jüngsten Gerichts. 

Dem Tag, an dem alle Sünden gezählt und ein Urteil gefällt wird. Nur das ich kein von Gott gesandter Engel bin, sondern ein verzweifeltes, missbrauchtes Mädchen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat all die Sünden ihrer Familie zu rächen. Den Menschen Gerechtigkeit zu verschaffen die es nicht mehr können, oder die zu schwach sind, um es selbst auszuführen. Und ich geniesse jede einzelne Sekunde davon. Sauge es wie ein Schwamm auf und sonne mich darin. Als stünde ich auf einer Blumenwiese, das Gesicht zur Sonne gewandt, um jeden ihrer Kraft gebenden Strahlen aufzunehmen.

 In meinem Herzen zu speichern, denn in mir herrscht keine Sonne und auch kein Licht. Nur absolute Finsternis. Und das habe ich alles ihnen zu verdanken, meiner sogenannten Familie. Die de Lucas sind ein Haufen selbstsüchtiger, menschenverachtender und machtsüchtiger Leute, die es nur verdient haben was ich ihnen gleich antun werde. Sie haben den Tod mehr als nur einmal verdient und im Gegensatz zu ihnen, habe ich auch einen Grund zu töten. Denn diese Menschen die vor mir knien, vor Angst zittern und mich mit grossen, weit aufgerissenen Augen anstarren, haben getötet. Jeder einzelne von ihnen hat das Leben vieler Menschen auf dem Gewissen und leben damit, als hätten sie bloss ein paar Dominosteine umgestossen und zugesehen wie die Schlange umgestossen wird. 

Und am Ende...am Ende da haben sie weiter gemacht und das ohne mit der Wimper zu zucken. Wie können sie nur! 

Gedämpfte, flehende Laute dringen aus ihren Mündern, die mit einem Stück Stoff gestopft wurden. Die Hände auf dem Rücken gefesselt knien sie vor mir, ihrer Tochter, ihrer Schwester, ihrer Schachfigur, die sie nach belieben herumgeschupst haben, nur um das zu kriegen was sie tief im Herzen wollten. Macht. Geld. Sex. Gewalt. All diese sündhaften Laster. Galle steigt mir die Kehle hoch, der bittere, beinahe süssliche Geschmack erfüllt meinen Mund und führt dazu, dass ich die Augen schliesse und tief ein und aus atme. 

Ein und aus, ein und aus

Wieder dringen gedämpfte Laute in meine Ohren, erfüllen mein Herz mit Genugtuung und bringen mich dazu meine Augen zu öffnen und sie zu betrachten. Wie erbärmliche Würmer sehen sie aus, bangen um ihr Leben, flehen mich an es zu verschonen und wenn sie nicht geknebelt wären, würden sie mir das Blaue vom Himmel lügen. So wie es schon immer war. Nur noch dieses eine Mal, Mia. Versprochen. Dann bist du frei. Du musst nur noch dieses eine Mal durchhalten und die Pflicht deiner Familie gegenüber einhalten. Ich höre ihre Stimmen in meinem Kopf, leise, zischende Laute die sich in meinem Verstand eingebrannt haben. Doch damit ist jetzt Schluss, denn heute ist der Tag des jüngsten Gerichts gekommen. Und ich...ich werde es vollstrecken. 

Ich spanne den Hahn der Waffe und das Geräusch sticht sich in meinen Kopf. Lässt alle Anwesende zusammenzucken, was mich zum Lachen bringt. Ein kalter, hysterischer Ton, der von all den Qualen zeugt, die ich durch meine Familie erleiden musste. Der Finger um den Anzug gekrümmt, den Blick auf mein Ziel gerichtet und mit wild pochendem Herzen stehe ich da und ziele auf die drei Köpfe die mein Leben zerstört haben. Es ist soweit, der Moment ist endlich gekommen.

„Lebt wohl, meine Dämonen", flüstere ich und drücke ab. Ein Schuss löst sich, doch es stammt nicht von meiner Waffe und er trifft auch nicht die richtigen Leute. Sondern mich! Die Kugel trifft mich direkt in die Brust, Blut sickert aus der Wunde und breitet sich rasant aus. Mein Shirt wird in Sekundenschnelle rot verfärbt, meine Beine zittern und geben nach. Ich wanke, falle auf die Knie und weiss nicht was passiert ist. 

Wieso habe ich nicht getroffen? Wieso wurde ich getroffen? Und vor allem von wem? 

Ein Kugelhagel ergiesst sich über uns, doch ich nehme davon nur die Hälfte wahr. Mein Blick ist gen Himmel gerichtet, der trüb und grau vor meinen Augen schwebt und wie das Tor zum Paradies aussieht. Schreie sind zu hören, zuerst laut, dann immer leiser. Bis sie irgendwann gänzlich verstummen. Meine Hand fühlt sich schwer an, klebrig von meinem Blut das noch immer aus meiner Schusswunde fliesst. Was ist passiert? Diese Frage schwebt in meinem Kopf herum, beinahe so rastlos wie ein Karussell. 

Bilder aus meiner Kindheit ziehen an mir vorbei. Ich sitze auf einem Pferd, es dreht sich im Uhrzeigersinn, Musik spielt und ich lache. Die braunen Haar flatternd im Wind, lache ich aus voller Kehle während ich auf diesem braunen Karussellpferd sitze und mich vollkommen frei fühle. Und genau dieses Gefühl nimmt auch jetzt besitzt von mir, breitet sich wie das Blut auf meinem Shirt aus. Stück für Stück. Die Augen werden schwer, doch ich lasse sie offen, kämpfe gegen das Bedürfnis sie zu schliessen an. Immer und immer wieder. 

Und bevor ich sie für immer schliesse, sehe ich ein Gesicht über mir. Ein Gesicht das mir sehr bekannt ist und das mir Tränen in die Augen schiessen lässt. 


„Du hast dich als jemand anderes ausgegeben, kleine Mia. Und jetzt hast du dafür bezahlt. Schlaf gut, kleine Mia und träum was Schönes." Das ist das Letzte was ich höre, bevor ich die Augen schliesse und die Finsternis mich für immer einhüllt. Ich hatte recht, das Karussell hört nie auf sich zu drehen.

-----------------------------------------

Das ist der Auftakt zum zweiten Teil von Chicago Kings (der auf @ChicagoQueens) zu finden ist. Was sagt ihr dazu? Und wie wird es weiter gehen?

eure Amanda 

🔱Chicago Queen Du gehörst mir🔱Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt