Das Armband vibriert an meinem Handgelenk und flackert blau auf. Ich sehe die Meldung geradezu vor mir, die zig Meter über dem Meeresspiegel auf einem Monitor im Kontrollzentrum aufpoppt und sowohl meine Beobachter als auch mich darüber informiert, dass ich den überwachten Bereich verlasse. Als macht es hier unten einen Unterschied, ob die Überwachungskameras jeden meiner Schritte aufzeichnen oder nicht.
Deck 1 ist der letzte Ort auf diesem Planeten, an dem ich mich an einem Donnerstagabend freiwillig aufhalten würde. Aber von «freiwillig» war nie die Rede und in den Challenges geht es nicht darum, ob man gerade Lust hat, irgendwelche Spielchen mit sich treiben zu lassen. Im heutigen Fall ist es nur wichtig, ungesehen durch diese Kriminellenhochburg zu kommen und die nächste Treppe vor Ablauf der Zeit zu erreichen.
Das ist absolute Zeitverschwendung!
Trotzdem beruhigt sich mein Puls etwas, in Anbetracht der Tatsache, dass ich die Kameras vorerst los bin. Bleiben noch die neidischen Trottel und die Gewissheit, dass hier unten nichts sicher ist. Ich bin nicht sicher.
Ich spähe um die Ecke in einen Korridor, der für die hiesigen Verhältnisse hellerleuchtet ist. Er ist vollgestellt mit Gerümpel. Alte Schränke, Rollwägen, Berge nach Moor muffender Wäsche. Verdammt! Das sind zu viele Versteckmöglichkeiten, hinter denen irgendwer auf mich lauern könnte. In der weißen Uniform würden sie mich sofort sehen und das Vilex-Symbol auf meiner Brust wird sie nicht freundlich stimmen.
Meine Hand ballt sich zur Faust. Ich darf diese Challenge nicht verlieren. Mein Punktestand ist zu niedrig, als dass ich mir einen weiteren Fehler erlauben kann. Mason wird mich aus dem Programm schmeißen. Und dann sortiere ich für den Rest meines Lebens belanglose Daten für das Concilium. Auf keinen Fall!
Komm schon, Jetta! Die anderen haben gesagt, dass es nicht schwer war. Einfach unter dem Radar bleiben. Alles meiden, was gefährlich aussieht.
Für mich sieht hier alles gefährlich aus.
Ich kehre um. Auf dem Monitor des Armbandes leuchtet sofort eine Karte des Decks auf. Den nächsten Korridor nach links und dann zwei mal rechts. Damit kann ich den Müll-Korridor umgehen, ohne zurück in den überwachten Bereich zu müssen. Vorausgesetzt die anderen Gänge sehen gut aus.
«Stell dir einfach vor, du bist Nickolas Sullivan», hat Conrad gesagt und mir dabei über den Kopf gestreichelt.
Ich habe gelacht. Damals. Vor zwei Stunden, die mir vorkommen, als wären sie eine Ewigkeit her. Und jetzt dreht sich mir der Magen um, wenn ich an Nick denke, der nach seinem Downgrade verschwunden ist. Niemand hat ihn wieder gesehen. Angeblich nicht einmal das Concilium, was erstaunlich ist, wenn man die begrenzten Ausmaße dieses Schiffes bedenkt. Wir machen uns darüber lustig, aber Nick hätte diese Challenge schon lange hinter sich. In Bestzeit und vermutlich, ohne sich vor Angst in die Hose zu machen.
An der nächsten Kreuzung biege ich in den linken Korridor ab. Er ist aufgeräumt, aber dafür dunkler als jeder Gang zuvor. Mit ein bisschen Fantasie sieht er aus wie mein Korridor auf Deck 12, wenn die Nachtbeleuchtung nur wenig Licht abgibt. Er scheint genauso endlos und die roten Wohnungstüren folgen auch hier in einer leichten Biegung dem Flur.
Ich sehe nochmal auf die Karte. Ein grüner Pfeil symbolisiert das Treppenhaus, das ich erreichen muss. Darunter steht eine Zeitangabe. Elf Minuten. Wenn ich das Ziel nicht rechtzeitig erreiche, wechselt es seine Position. Und da ich das jetzt schon drei Mal über mich ergehen lassen musste, bin ich hochmotiviert, es dies Mal rechtzeitig zu schaffen.
Ich hole tief Luft und tauche in den Korridor ab. Es ist ruhig in diesem Teil von Deck 1. Ich weiß nicht viel über die Leute, die hier unten wohnen. Nur dass sie uns nicht besonders mögen, was ich verstehen kann. Und dass sie bis tief in die Nacht arbeiten müssen. Mein Vorteil. Zumindest wenn ich es vor Feierabend hier raus schaffe.
Komm schon, Henrietta, reiß dich zusammen! Es ist die letzte Challenge. Nur zehn Minuten!
Angespannt schleiche ich vorwärts, lausche an der ersten Tür. Nichts. Ich spurte zur nächsten. Nichts. Ich hechte an zwei weiteren vorbei und presse mich gegen die Wand.
Ein dumpfes Scheppern dringt durch das Metall an mein Ohr. Klingt wie Töpfe, die gegeneinander schlagen. Kochen die hier etwa selbst?
Ich beeile mich, weiterzukommen. Nach fünf Türen bleibe ich stehen und sehe auf die Uhr, die noch neun Minuten zeigt. Das kann nicht sein!
Ich unterdrücke den Fluch und laufe weiter. Alle zwei Schritte spähe ich über meine Schulter. Außer Metallwänden, verschlossenen Türen und alles verschluckender Dunkelheit ist da absolut nichts. Nicht mal eine Bewegung. Nur meine Nervosität, die jeder Idiot gegen den Wind riechen könnte.
Sie werden mich kriegen. Irgendjemand wird mich sehen und mich verpfeifen. Ich verliere die Challenge.
Wieder bleibe ich stehen. Mein Atem geht schnell und viel zu laut. Sie werden mich hören. Ich wende mich zurück und erkenne im selben Moment einen Schatten, der am anderen Ende des Flures die Wand emporkriecht.
Meine Füße setzen sich in Bewegung, bevor mein Gehirn es versteht. Ich renne an den Türen vorbei und schlittere rechts um die Ecke. Im Laufen sehe ich auf die Uhr. Sieben Minuten. Dann pralle ich gegen etwas Hartes und taumle zwei Schritte zurück. Ich halte mir die Stirn, um dem Schmerz dahinter etwas entgegenzusetzen, trotzdem steigen mir Tränen in die Augen.
Keine fünf Meter von mir entfernt, lässt eine dunkle Gestalt die Hand von der Stirn sinken und verschränkt die Arme.
Ich mache mich stocksteif in der Hoffnung, dass ich dann wenigstens nicht so leicht umzurennen bin. Ja, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ganz besonders wenn es um Nahkämpfe geht.
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Only Water - Kenne deinen Feind
Science FictionDie Flut. Eine Katastrophe. Die Lotterie. Der Gewinn eines Privilegs. Die Wahrheit. Manipuliert. Henrietta ist eine Privilegierte. Sie darf zur Schule gehen, kann sich einen Beruf aussuchen und wohnt allein in einem großen Apartment. Da ist es fast...