Folge 6

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«Hier.» Aiden hält mir eine Wasserflasche unter die Nase.

Ich greife zu und nehme einen riesigen Schluck, der sich in meinem brennenden Rachen wie ein Tropfen auf den heißen Stein anfühlt. Meine Hände zittern.

«Willst du was essen?», fragt er und sieht von oben auf mich herab.

Ich sitze auf einem halbvermoderten Doppelsofa, das mit orangem Cord bezogen ist. Aiden steht direkt vor meinen Knien. Ich sage gar nichts. Er seufzt leise. Dann geht er genau drei Schritte, um die kleine Küchenzeile zu erreichen. Von dort nimmt er eine Schüssel mit Gulasch oder Eintopf oder sowas und fläzt sich damit neben mich. Entspannt schaufelt er das Zeug in seinen Mund. Es riecht nach Fertigsoße und kaltem Bratenfett.

«Wie kommt dieses Programm auf meinen Computer?», frage ich in den viel zu kleinen Raum hinein.

«Es war schon immer dort. Es heißt Helion», meint Aiden und schiebt sich einen weiteren Löffel in den Mund.

«Was soll das heißen, es war schon immer dort?» Ich mustere ihn von Kopf bis Fuß. Wie kann er nur so entspannt sein? Die haben uns gejagt! Die hätten fast auf uns geschossen! Aber vermutlich ist diese Situation für ihn nicht neu.

«Die Module wurden zu Testzwecken gebaut. Es gab geplante Missionen, durch die sie die menschliche Reaktion auf derartige Wohnverhältnisse testen wollten.» Er stellt die Schüssel beiseite und wendet sich mir zu. «Das ganze Modul ist so konstruiert, dass jeder überwacht werden kann, weil es in den ursprünglichen Plänen vorgesehen war.»

Ich schüttle den Kopf. Das Concilium überwacht uns nicht. Wozu auch? Wahrscheinlich leidet Aiden unter dem Verfolgungswahn, den man hier auf Deck 1 unwillkürlich aufgedrückt bekommt.

«Woher willst du das wissen?»

«Ganz am Anfang war ich einfach neugierig, weshalb diese Schiffe gebaut wurden. Da bin ich in der Datenbank auf einige sehr interessante Berichte gekommen, die sie dann gesperrt haben. Danach hat das Concilium Helion um die Kamerafunktion erweitert.»

«Also verdanke ich dir dieses Schlamassel in doppelter Hinsicht.» Meine Arme verschränken sich wie von selbst.

«Das war nicht meine Absicht.» Er stellt die Schüssel beiseite. «Ich wollte nicht, dass das passiert.»

«Wenn du über das Programm so gut bescheid weißt, hättest du mir davon erzählen müssen», fahre ich ihn an.

«Ich hab ja nicht damit gerechnet, dass du dich gleich in die Untiefen der Lotteriedatenbank stürzt. Ich dachte du fängst beim Notizbuch deiner Mutter an oder mit deinem Möchtegernsekretär.»

Ich überhöre die Beleidigung gekonnt. Der Gedanke mit dem Notizbuch ist mir allerdings tatsächlich nicht gekommen. Hatte meine Mutter überhaupt eins? Und wenn ja, wo könnte sie es versteckt haben? Dad hat nur wenige ihre Sachen behalten. Schwer vorstellbar, dass da irgendwas Nützliches übriggeblieben ist.

«Und was sollen wir jetzt machen?»

Aiden zuckt die Schultern. In mir löst sich ein winziges Teilchen, das ein weiteres anstößt. Und noch eins. Bis eine ganze Lawine in meinem Inneren den Halt zu verlieren droht.

«Du musst auf jeden Fall bis Montag hier bleiben.»

«Wie bitte?» Meine Stimme quietscht wie Turnschuhe auf Parkett.

«Alleine kriegen sie dich sofort und dort oben bin ich nicht dein bester Begleiter. In der Schule dagegen werden sie dir nichts anhaben können. Die Sache ist so brisant, dass sie es sich nicht leisten können, Aufsehen zu erregen.»

«Eine Verfolgungsjagd ist auch sehr unauffällig.»

Aiden schnaubt.

«Hier unten kann dir wenigstens nichts passieren», meint er. «Und in der Zwischenzeit kannst du mir das mit den Mitteilungen nochmal erklären.»

«In der Zwischezeit kannst du mir sagen, wie ich die Simulation bestehen soll, wenn ich nicht lernen kann», keife ich wütend. Mir wird ganz schlecht, wenn ich an Mason und den Test denke.

«Du bist Stipendiumsanwärterin. Die eine verpatzte Prüfung kann dir nichts anhaben.»

Ich presse ein knappes Lachen hervor.

«Nach einer katastrophalen Challenge, danke dafür Mister Sullivan, kann ich mir keine Fehler mehr leisten.»

«Callahan.»

«Was?»

«Mein Nachname ist Callahan.»

Ich schnaube geräuschvoll. Mir doch egal, wie er jetzt heißt.

«Pass auf, ich helfe dir mit den Protokollen und du erklärst mir das mit den Mitteilungen», schlägt er vor und macht ein hoffnungsvolles Gesicht.

Mir fallen die strahlenförmigen Fältchen um seine Augen auf. Obwohl er noch so jung ist, zeichnen sie sich deutlich ab. Ich habe sie schon früher beobachtet, als er noch Teil der Vilex war. Natürlich nur wenn er es nicht mitbekam.

«In der Liste standen zehn Mitteilungen. Nach den ersten Dreien habe ich aufgehört zu lesen und versucht eine davon zu Gesicht zu bekommen. Aber dann ist Helion passiert.»

Aiden ist mein einziger Verbündeter. Mein einziger Anhaltspunkt. Wenn nicht einmal Conrad mir glaubt, wer soll mir dann überhaupt glauben?

«Und du bist sicher, dass es ...»

«Es waren Ergebnismitteilungen, ja.» Mich überfällt eine bleierne Müdigkeit. Meine Beine schmerzen vom Laufen, das ich nicht mehr gewohnt bin. Es hat unbeschreiblich gutgetan mal wieder richtig schnell zu rennen. In echt, nicht auf dem Laufband. Aber eigentlich will ich nur zurück nach oben und mich in meinem Bett verkriechen.

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt