Folge 19.1

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Ich halte seinem Blick stand und versuche, darin zu lesen, während ich meine Hand davon abhalte, ihn erneut zu schlagen. Irgendeine Information muss es in seinen Augen geben. Irgendeinen verräterischen Schimmer, der mir sagt, was hier vorgeht und was sie mit mir vorhaben. Aber Conrad ist gut. Er wurde dafür ausgebildet sich nichts anmerken zu lassen und vielleicht gibt es niemanden hier, der das so gut beherrscht.

Mit einem Seitenblick auf Perry lasse ich meine Zeit im Gefängnis Revue passieren. Er hat mich verhört. Er hat mir von Aidens Festnahme erzählt. Er hat mich verfolgt, um seine Werte aufzubessern. Er hat mich hintergangen und es wundert mich absolut nicht, ihn hier anzutreffen. Und Perry hat mich befreit. Im Auftrag ihres Bruders und jetzt verrät sie mich? An welchem Punkt kommen die beiden bloß zusammen?

«Ich gebe dir hiermit die letzte Gelegenheit, dich zu stellen. Ich nehme deine Straftaten zu Protokoll und dann werde ich dich abführen. Ganz ohne Gewalt.» Conrads Stimme ist ruhig. Professionell.

Ich muss tief Luft holen, um weder zu lachen noch in Tränen auszubrechen. Was wollen die von mir? Ich bin nur ein kleiner Fisch. Nur die Komplizin. Sie wollen Aiden oder nicht?

«Mach einfach, was er sagt, und die Sache ist vorbei», wirft Perry ein und zuckt dabei die Schultern, als wäre es ein ganz zwangloser Vorschlag nach dem Motto «Es gibt nur einen ganz kleinen Pieks».

Ich schaue von einem zum anderen und dann zu den Türen. Hinter diesen Türen sind Sekretäre. Da bin ich mir sicher. Wenn ich mich wehre, davonrenne, werden sie kommen und mich gefangen nehmen, wenn nicht Schlimmeres. Mit meinem Fuß habe ich keine Chance.

«Komm schon, Jetta», knirscht Conrad. Sein Blick wird flehend.

Zur Hölle! Ich will ihn anschreien. Das alles nur für ein paar Punkte? Im Ernst?

«Wenn du gestehst, verrate ich dir auch, wie Nick wirklich an die Kette deiner Mutter gekommen ist.» Perry verschränkt lächelnd die Arme.

Sie könnte so süß sein. Ein normales Mädchen. Schön, klug, witzig. Aber ihre reine Aura, die ich immer an ihr bewundert habe, wurde vergiftet. Vom System. Vom Concilium. Was springt für sie raus?

Dass Perry mit Aiden in Kontakt stand, ist nicht neu. Wie sonst hatte er meine Befreiung koordinieren können? Er vertraut ihr. Es gibt keinen Grund, wieso er ihr nicht von der Kette erzählt haben sollte. Ich kenne seine Version der Geschichte und diese Kette hat absolut nichts mit meiner aktuellen Situation zu tun.

«Ich weiß, wie er an die Kette gekommen ist.» Damit kriegt sie mich nicht. Aiden ist mein Verbündeter, mein Freund. Ganz egal, ob die Geschichte mit der Kette stimmt oder nicht, mit etwas Geduld hätte er mich früher oder später auch so zum Zuhören gebracht und ich hätte ihm geholfen.

Mein Blick zuckt erneut zu den Türen. Dieser Platz ist eine Sackgasse. Ich kenne mich hier oben nicht aus. Sie haben alles abgeriegelt. Ich sitze in der Falle. Alles, was mir zu tun bleibt, ist Zeit zu gewinnen. Zeit, welches Spiel Conrad und Perry mit mir treiben. Zeit, um einen Weg zu finden, diesem ganzen Schlamassel zu entkommen.

«Du hast davon gewusst, oder?», frage ich Conrad und zwinge mich, ihn anzusehen. Das Blau seiner Augen ist trüb. «Du hast gewusst, dass die Lotterie manipuliert war.»

«Ja.» Das ist alles, was er dazu sagen will?

«Und du hast auch gewusst, warum sie Nick nach seinem Downgrade verfolgt haben.»

Er nickt, ohne mich aus den Augen zu lassen. In meinem Magen ballt sich ein Klumpen Wut zusammen, der ein wildes Pochen durch meinen ganzen Körper jagt.

«Und Helion?»

«Ja.»

Ich würde ihn am liebsten an den Schultern packen und gegen die Wand schleudern. Aber wir beide wissen, dass ich dazu keine Kraft habe. Stattdessen gehe ich auf ihn zu, bis ich so nah vor ihm stehe, dass er Mühe hat seine steife Haltung beizubehalten. Er senkt den Kopf so weit, dass er mir noch in die Augen sehen kann. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn. Warum ist er nervös? Hat er Angst, dass ich ihm entwische und er Hailey ihm keine Punkte gutschreibt?

«Frag weiter!», murmelt Conrad so leise, dass nur ich es verstehen kann.

Perry räuspert sich. Ich lege die Stirn in Falten und mustere Conrads Gesicht, aber ich habe keine Chance darin irgendetwas zu entdecken. Gehört das auch zum Spiel?

«Du wusstest, dass ich die Wahrheit gesagt habe, als ich in meinem Appartment eingeschlossen war.» Das ist keine Frage. Er sagte, dass er seit dem Schwimmbad wusste, dass ich mit Aiden zusammenarbeite. Wieso hat er nicht ein einziges Mal mit mir zusammengearbeitet?

«Ja», sagt Conrad verspätet, der Blick immer noch hart.

«Und wo warst du, bevor wir uns auf dem Flur begegnet sind und du mir von den toten Sekretären erzählt hast?» Diese Fragen haben absolut keinen Zusammenhang. Ich sollte etwas Nützliches fragen, aber mir fallen zu viele Dinge gleichzeitig ein.

«Bei deinem Vater», antwortet Conrad.

«Was wolltest du von ihm?»

«Ich habe ihn etwas gefragt.»

«Und was?»

Conrad schluckt und weicht meinem Blick aus. Als er mich wieder ansieht, stockt das Blut in meinem Adern. Jeder Muskel seines Gesichts ist angespannt und verzerrt es zu einer gequälten Fratze.

«Ob er die Verlobungsfeier verschieben kann.»

Ich starre ihn an. Die Worte rasen durch mein Hirn. Die Verlobungsfeier verschieben?

«Du ...» Das ist nicht möglich. «Du wolltest mich ...»

«Ja», sagt Conrad. Seine gebrochene Miene treibt mir die Luft aus den Lungen. «Es sollte ... eine Überraschung werden», stottert er. «Der Termin war kommenden Samstag angesetzt, aber nächste Woche steht im Concilium einiges auf der Tagesordnung.»

«Wieso?» Wie konnte ich nicht bemerken, was er vorhat? Wie konnte ich nicht realisieren, dass er so viel für mich empfindet? Immer noch.

Conrad schaut mir tief in die Augen. Sein Blick gräbt sich in meinen, furcht ihn aus, wischt die Zweifel beiseite und presst seine Worte in mein Gehirn. Concilium. Nächste Woche. Tagesordnung.

«Du weißt von ...»

«Ja», unterbricht er mich, bevor ich mehr sagen kann.

Das darf nicht wahr sein! Wie hat er von der Evakuierung erfahren? Wie passt er in dieses ganze verworrene Bild?

«Was weiß er?», funkt Perry dazwischen. Es gelingt ihr schlecht, ihre Aufdringlichkeit durch Neugier zu kaschieren.

«Und woher weißt du, dass ich es weiß?»

«Ich habe dafür gesorgt, dass du es erfährst.»

Wellen von Informationen und Gefühlen überwerfen sich in meinem Kopf. Wieso sollte Conrad mir das Dokument zugespielt haben? Wieso über Judiths Computer? Wieso hat er mir nicht einfach davon erzählt?

Weil ich ihm nicht geglaubt hätte. Conrad handelt immer gemäß den Vorschriften, er hält sich mit jeder Faser seiner Uniform an die Gesetze des Conciliums. Woher hätte ich wissen können, dass ausgerechnet er etwas weiß?

Ich hätte ihm vertrauen sollen. Er hätte mir vertrauen sollen. Stattdessen haben wir uns verloren. Ich stoße die Luft aus, die sich in meinen Lungen gestaut hat. Ich lasse meinen Blick über Conrad gleiten, suche nach einen Hinweis, den ich hätte erkennen können, und finde keinen. Somit bleibt nur noch eine Frage übrig: Vertraue ich ihm jetzt?

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt