Folge 13.1

12 1 0
                                    

«Setz dich!» Hailey schaut mir starr in die Augen.

Ich bleibe stehen. Wenn ich mich mit ihr an einen Tisch setze, ist das ein halbes Geständnis. Sie wollen Aiden, rufe ich mir ins Gedächtnis. Sie werden mich ausnutzen, um an jede Information zu gelangen, die sie kriegen können. Günstig für meinen Komplizen, dass ich nicht einmal weiß, ob er lebend den Medical Service verlassen konnte. Mein Herz setzt einen Schlag aus.

«Setze dich, Henrietta», sagt mein Vater nachdrücklich.

Stumm starre ich Hailey an und warte auf ein Flackern der Wut in ihren Augen. Aber sie ist dafür ausgebildet, Leute zu verhören. Was mache ich mir vor?

«Conrad», stöhnt sie dann auf und verdreht die Augen, «Würdest du bitte?»

Conrad stapft zielstrebig auf mich zu. Lass dich nicht einschüchtern! Er wird dir nichts tun, Jetta. In einem anderen Winkel meines Hirns kichert eine hämische Stimme über meine eigene Dummheit. Conrad zieht energisch den Stuhl zurück und bleibt hinter der Lehne stehen. Mit dem Blick eines Sekretärs registriert er jede Bewegung meines Körpers. Ich hoffe, dass er auch mein Herz sehen kann, das wild pochen würde, wenn er es nicht zerrissen hätte. Als könnte er meine Gedanken lesen, werden seine Augen düster. Ich rede mir ein, irgendeine Form von Schmerz oder Reue darin zu erkennen. Aber vielleicht ist das nur Wunschdenken.

«Ich würde gern anfangen», betont Hailey.

Conrad gehorcht aufs Wort. Er lässt den Stuhl los und schnappt nach meinem Arm. Bevor er ihn auch nur berührt, reiße ich ihn weg und hole gleichzeitig aus. Meine Hand klatscht in sein Gesicht. Ich ärgere mich über das Geräusch, weil es genauso schwach klingt, wie der Schlag war. Selbst mit einem intakten Arm hätte ich nicht mehr ausrichten können. Ich bin eben kein Nahkampftyp.

Ich stolziere an Conrad vorbei zu dem Stuhl hinüber und setze mich auf die Metalloberfläche, deren Kälte sich schon durch meine Hose frisst, bevor ich sie richtig berühre.

«Was das angeht, sind wir dann wohl quitt», knirscht Conrad. Er postiert sich schräg hinter Hailey, faltet die Hände vor seinem Körper und starrt durch mich hindurch. Ich widerstehe dem Drang, ihm ins Gesicht zu schreien, wie sehr ich seine Professionalität hasse.

«Fabelhaft», sagt seine Mentorin trocken. «Du wurdest festgenommen wegen des Verstoßes gegen Artikel 58a der Verordnung von Modul 7, Nichtmeldung eines gesuchten Straftäters, Artikel 126, Mittäterschaft in einem Komplott, und Artikel 345, Verschulden des Todes eines Sekretärs in zwei Fällen», rattert sie mechanisch.

So viel zum Thema: Sie können mir nicht viel vorwerfen. Wäre ich doch bloß bei Aiden geblieben. Vielleicht hätten wir es zusammen geschafft. Vielleicht hätten wir uns verstecken können. Er hätte uns gerettet.

«Im Austausch gegen wichtige Informationen zum Aufenthaltsort von Aiden Callahan beziehungsweise Nickolas Sullivan ist das Concilium bereit deine Anklage fallen zu lassen. In jedem Fall verlierst du die Chance auf das Stipendium und wirst innerhalb des Vilex-Systems neu eingestuft.»

«Ich kenne seinen Aufenthaltsort nicht», konstatiere ich scharf. Von mir aus können sie mir die höchste Sekretärsposition dieser Kolonie versprechen. Ich werde ihn nicht verraten.

«Artikel 23 der Gefangenschaftsverordnung von Modul 7: Jede Lüge in einem Verhör kommt einem Meineid gleich und wird mit einer Gefängnisstrafe von drei Monaten und einer anschließenden Neueinstufung bestraft», droht Hailey. Ihr Blick lässt mein Innerstes gefrieren. Aber das Feuer in meinem kaputten Herz brennt hell. Ihre Stimme lässt eine Sicherung in meinem Kopf durchbrennen.

«Artikel 12 der Ausbildungsverordnung von Modul 7: Jeder Versuch des Betruges in Form von Manipulation der Punktzahl des Schülers wird durch Strafversetzung des Schülers und Downgrade des Mentors geahndet.» Meine Stimme klingt ruhig, obwohl in meinem Inneren ein Sturm tobt. Ich habe keine Angst vor einem Downgrade. Ich habe nicht einmal mehr Angst vor einer Neueinstufung auf Deck 1. Sie können mir nichts anbieten, das attraktiv genug ist, ihnen irgendetwas zu sagen.

Betretenes Schweigen. Haileys Augen funkeln mich an. Conrad muss ihr verschwiegen haben, dass ihre kleine Affäre nicht mehr geheim ist. Dad steht derweil in der Ecke herum und beobachtet das Schauspiel ungerührt. Es überrascht mich nicht, dass er wusste, dass Conrad mich ausspioniert. Wie konnte ich diesen Menschen nur vertrauen? Wie hatte ich glauben können, dass sie mich lieben?

Hailey erhebt sich von ihrem Stuhl. Sie stützt die Hände auf den Fingerspitzen neben den aufgeschlagenen Notizen auf und beugt sich zu mir.

«Du bist nur ein dummes Kind», zischt sie.

Ich lehne mich ihr entgegen und lege den Kopf schräg.

«Und du nur eine verlogene ...»

Ein schrilles Pfeifen hindert mich daran, die Worte auszusprechen. Vielleicht ist es auch besser so. Conrad und Hailey holen diese schwarzen Dinger aus ihren Uniformen hervor. Solche wie Judith mir gezeigt hat am Tag der Punkteverkündung. Beide starren auf den kleinen Bildschirm. Nachdem sie die Mitteilung gelesen haben, wechseln sie einen Blick. Conrad nickt meinem Vater zu, während Hailey aufsteht, ihre Akten zusammenrafft und zur Tür geht.

Was passiert hier? Wo wollen sie hin? Sie können noch nicht fertig sein. Ich habe ihnen nichts gesagt.

Ich springe von meinem Stuhl auf, als Conrad die Hand auf die Klinke legt und als Letzter den Raum verlassen will.

«Danke für deine Hilfe», knurrt er mit vor Ironie triefender Stimme. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Dann noch einen. «Sie haben ihn.» Conrad wirft die Tür hinter sich ins Schloss.

Ich vergesse zu atmen. Mein kleiner Finger beginnt wieder zu zucken und eine gierige Kälte umfängt meinen ganzen Körper. Wie hohl kann ein Mensch sich fühlen? Ein gieriger Sog verschlingt mich von innen heraus. Ich lasse mich rückwärts gegen die Wand sinken, gleite daran hinab und schließe die Augen. Tränen rinnen meine Wangen hinab, während ich in schwarzen Augen ertrinke.

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt