Folge 1.2

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Mein Gegenüber verzieht seine Lippen zu einem Schmunzeln, das seine Wangen in Falten wirft.

«Du bist ein bisschen schneller draufgekommen, als ich erwartet habe.»

Der Boden unter meinen Füßen wird schwammig. Wir nennen es die Nickolas-Sullivan-Challenge. Aber doch nicht, weil er wirklich etwas damit zutun hat. Was hat das zu bedeuten?

«Ich brauche deine Hilfe, Jetta.» Er streift die Kapuze zurück und hält sich die Haare einen Moment aus der Stirn, wodurch er tatsächlich aussieht wie Nick. Nur irgendwie älter und finsterer und mit dunklen Haaren statt blonden. Seine kantigen Kieferknochen unterstreichen die Ernsthaftigkeit seiner Augen. Unter seinem Blick jagt mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper.

«Ich muss ...», stammle ich und deute mit zitternder Hand den Korridor hinunter.

Nick verdreht die Augen.

«Im übernächsten Gang ist ein Lüftungsschacht. Wenn du da durchgehst, sparst du drei Minuten bis zur Treppe.»

Ich starre ihn an.

«Hast du den anderen auch geholfen?»

«Wieso sollte ich? Außerdem ist Deck 3 nicht meine Baustelle.»

«Deck 3?» Irgendwie ist mir die Fähigkeit abhandengekommen, vollständige Sätze zu bilden.

Judith und Conrad hatten ihre Prüfungen vor zwei Tagen. Beide auf Deck 1. Sie sind meine Freunde. Wieso sollten sie mich anlügen? Das ist keine geheime Information.

«Deck 3. Und wir wissen beide, dass sie meine Hilfe nie annehmen würden.» Er kommt näher und mein Atem gerät ins Stocken, als er mich mit zusammengekniffenen Augen ansieht. «Wenn du mir hilfst, sorge ich dafür, dass du das Stipendium bekommst. Wenn nicht, vergisst du, dass diese Unterhaltung jemals stattgefunden hat oder ich werde dir das Leben zur Hölle machen, verstanden?»

Sein Blick zuckt über mein Gesicht. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche zu ignorieren, dass seine Augen zu lang auf meinen Mund gerichtet sind.

Verdammt nochmal, das ist Nick! Derselbe Junge, der nie etwas mit uns anderen zu tun haben wollte, der nichts als Ignoranz und blöde Sprüche für uns übrig hatte. Und der nie wieder von irgendeinem Vilex gesehen wurde.

«Wie kommst du darauf, dass ich dir helfen will?», frage ich und hebe den Kopf.

Er schnaubt. Sein Blick wandert von meinem Gesicht aus abwärts über meine Uniform. Mir wir schwindelig davon. Als er mir wieder in die Augen sieht, bin ich machtlos gegen das Gefühl, ertappt worden zu sein.

«Weil kein Tag vergeht, an dem du dich nicht fragst, was mit mir passiert ist», wispert er herausfordernd.

Ich verschränke die Arme und ziehe die Augenbrauen in die Höhe.

«Wirklich?»

Er lächelt müde, während ich versuche, die Wahrheit hinter einer Fassade aus kaltem Stein zu verbergen. Keine Ahnung, ob es mir gelingt.

Das Zischen einer Türverriegelung zerschneidet die Luft und reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Die Challenge! Ich muss hier weg!

Ich will schon loslaufen, als ich die Stille des Decks bemerke. Nichts. Keine Schritte. Keine Stimmen. Mein Blick fällt auf Nick, der erst zum Ende des Korridors schaut und dann zu mir.

«Sekretäre!», zischt er. «Geh!» Er dreht mich um und schubst mich vorwärts.

«Was ist mit dir?»

«Verschwinde!»

Im selbem Moment kullert eine silberne Metallkugel um die Ecke.

Scheiße!

Ich renne los. Ich laufe und laufe und laufe. Der Lüftungsschacht. Ich stoße das Gitter auf und zwänge mich in das Rohr. Die Uhr vibriert zu den letzten zwei Minuten. Ich setze das Gitter wieder ein, als die ersten Rauchschwaden durch den Korridor wabern.

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt