Folge 8

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«Ich gratuliere», sagt Mason anerkennend und legt sein Ich-bin-der-beste-Lehrer-derWelt-Lächeln auf. «Du hast die volle Punktzahl erreicht.»

Ich spüre ein Zucken am Kinn und nicke. Diese Punkte waren meine neue Realität. Mein Leben. Streben nach dem Stipendium. Alles tun, um meine Mutter stolz zu machen. Und Conrad.

«Zum Glück.» Ich quäle mir ein halbwegs überzeugendes Lächeln ab. «Sind wir dann fertig?»

Aiden hat tatsächlich den ganzen Sonntag damit verbracht, mir alle Protokolle einzutrichtern, die es gibt. Er kennt sie alle. Auswendig.

Mason mustert mich mit zusammengekniffenen Augen.

«Belastet dich irgendetwas?»

Nur die Manipulation des Systems, die Verlogenheit der Menschheit und ein Aufstand auf Deck 1, den ich angezettelt habe. Wem mache ich etwas vor? Mason ist mein Mentor, psychologisches Genie. Er durchschaut mich in einem Wimpernschlag.

«Nein, wieso?»

«Hattest du Streit mit Conrad?»

Ach, stimmt ja.

«Nur ein bisschen», sage ich ausweichend und hoffe, dass er mir auf die falsche Fährte folgt.

Mason setzt sich auf die Ecke seines Tisches. Ich weiß nicht, wieso Mentoren das immer machen. Vor allem Männer. Es gibt nichts Unvorteilhafteres.

«Weißt du, die Ausbildung neigt sich langsam dem Ende. Da sind Spannungen ganz normal.»

Woher will er das wissen? Wir sind der erste Jahrgang. Wir sind die ersten, die ihren beschissenen Schulabschluss an Bord einer verdammten schwimmenden Stadt machen. Normal ist hier gar nichts.

«Aber du wirst sehen, wenn Conrad erst zum Sekretär berufen wurde und du vielleicht das Stipendium bekommst, entspannt sich alles wieder. Dann bekommt ihr ein schönes Appartment und dank Conrads Stellung kannst du all die Annehmlichkeiten des Vilex-Systems genießen.»

Ich betrachte die verschmitzten Grübchen in Masons Wangen. Mich überkommt der unbekannte Drang, sie ihm aus dem Gesicht zu prügeln. Deck 1 tut mir nicht gut.

«Ich genieße die Vorzüge, weil ich das Stipendium bekomme», korrigiere ich ihn.

Sein mildes Lächeln vertieft sich. Die Faust in meinem Magen wird hart wie Beton.

«Ich rechne dir zwar gute Chancen aus, aber natürlich kann ich nicht garantieren, dass du das Stipendium bekommst.» Macht er Witze? «Dein Vorsprung ist nicht gerade riesig. Aber wenn du willst, wüsste ich einen Weg, um noch ein paar Extrapunkte zu holen.»

«Wie?» Alte Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht ablegen und solange er mich dann nicht weiter ausfragt, sollte ich froh sein.

«Wie wäre es mit einer kleinen Spezialeinheit auf dem Vergnügungsdeck?»

Ich hebe den Kopf. Ein Funkeln huscht durch Masons Blick, bevor er an mir hinabgleitet.

«Du erpresst mich?» Meine Stimme klingt außerirdisch schrill. «Für ein Date?» Mason verzieht keine Miene. Mir läuft es heiß und kalt den Rücken runter. Ich gebe mir Mühe, meinen Atem ruhig zu halten und nicht zurückzuweichen. «Wie viele Punkte gibst du mir dafür? Zehn für's Ausgehen? Zwanzig mit Knutschen? Dreißig, wenn ich ...» Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke weiter zu.

Mason lacht.

«Für dreißig Punkte müsstest du schon ein bisschen besser aussehen.»

«Ich gehe dann jetzt», sage ich und versuche nicht an ihm vorbeizurennen.

«Gib mir bescheid, wenn du deine Meinung änderst», ruft er mir nach, als ich den Raum verlasse.

Ich knalle die Tür hinter mir zu. Das sollte als Antwort genügen. Ich tapse zur Kantine. Nein. Ich stürme dorthin, weil ich die Wut in mir durch irgendeine Art von Bewegung loswerden muss, bevor meine Freunde mich so sehen. Die Glastüren schieben sich auseinander und das Gemurmel der Schüler schlägt wie eine erfrischende Welle über mir zusammen.

«Wo hast du denn diese super stylische Jacke her?» Judith fängt mich ab und betrachtet mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Als mein Blick auf Ryan fällt, der direkt neben uns sitzt, wird mir klar, warum sie hier ist. «Ich dachte, Conrad trägt bald nur noch weiß?»

«Die ist nicht von Conrad», sage ich und senke den Blick auf den dunkelroten Stoff, der erschreckend angenehm nach Sommerregen riecht. Die Jacke ist mir ungefähr zwei Nummern zu groß. Die Ärmel bedecken komplett meine Hände, aber dafür ist sie auch lang genug, um zu verbergen, dass ich keine Schuluniform trage, sondern irgendwelche Klamotten von Cassy. Ich habe, ganz trotziger Teenager, heute Morgen eine neue Schuluniform beantragt. Prüfungsstress. Gewichtsprobleme. Bla bla. Also sehe ich heute aus wie ein Tropfen Blut auf einem weißen Laken.

«Soll ich weiter nachfragen?»

«Nein», lächle ich dankbar.

«Auch gut», zuckt sie die Schultern. «Wie war dein Test?» Sie schiebt mich von Ryans Tisch weg und geradewegs auf unseren zu.

«Ich hasse Simulationen», stöhne ich und beim Gedanken an Mason wird mir schlecht. «Aber das Ergebnis war okay.» Dass ich es mal okay nennen würde, wenn ich die volle Punktzahl in einer Simulation erhalten würde. Wieso habe ich gedacht, diese Tests wären wichtig?

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt