Jedes der fünf U-Boote ist riesig. Selbst das kleinste ist in etwa so hoch wie ein fünfgeschossiger Häuserblock. Oberhalb der Wasseroberfläche wohlbemerkt.
«Er hat also nicht gelogen», sagt Aiden trocken und lässt seinen Blick über die Metallkolosse gleiten.
Ich nicke und gehe voran. Schweigend betreten wir das U-Boot über die Luke und folgen den Beschilderungen zur Operationszentrale. Ein Panoramafenster legt dort den Blick auf den geheimen Unterseehafen frei. Es ist mir ein Rätsel, wie das Concilium diese gigantischen Schiffe hier verstecken konnte. Was verstecken sie wohl noch alles? Wir werden es nicht erfahren.
«Sieht doch ganz gemütlich aus.» Aiden lässt sich auf einen der Kommandantensessel fallen und mustert die Schaltknöpfe.
«Weißt du wie man es steuert?», frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.
Aiden schüttelt nur den Kopf.
Ich grinse zurück und widme meine Aufmerksamkeit der Karte, die auf dem Pult neben ihm ausgebreitet ist. Viel ist darauf nicht eingezeichnet. Alles dominierendes Blau mit dunkelblauen Linien darauf, die in regelmäßigen Abständen die Beschaffenheit des Meeresgrunds beschreiben. Ein rotes Kreuz markiert die Position des Unterseelabors. Ein kleines schwarzes Dreieck hat jemand per Hand mit der Kennzeichnung «Modul 7» versehen.
«Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn wir uns mal länger als ein paar Stunden oberhalb des Meeresspiegels aufhalten dürften», murmle ich in mich hinein. Wenn ich daran denke, dass ich ab sofort sogar auf die Aussicht auf den Ozean verzichten muss, dreht sich mir der Magen um.
Aiden stößt einen Laut aus, der als verkorkstes Lachen durchgehen könnte. Ich drehe mich zu ihm um, lehne mich gegen das Pult und erkenne, dass er die Ellenbogen auf die Knie gestützt hat und auf seine verschränkten Hände starrt. Als ich Luft hole, um etwas zu sagen, reißt er den Kopf hoch. Sein Blick hält mich davon ab, auch nur einen Laut von mir zu geben. Stattdessen betrachte ich seine dunklen Augen. Ernsthaftigkeit hinterlässt ihre Trübe darin. Unter seinen Augen liegen Schatten und seine Haut ist blass. Die kleine Vertiefung oberhalb seiner Nasenwurzel verrät seine Anspannung und die wirren Gedanken, die hinter seiner Stirn Wellen schlagen.
«Ich wusste nicht, dass es Jackson war», beginnt er schließlich und sieht mir direkt in die Augen. Ich weiß, dass er vom Todestag meiner Mutter spricht, aber ich unterdrücke den Drang ihn zu unterbrechen. Immerhin ist es das erste Mal seit unserem Wiedersehen, dass er etwas sagt. «Ich war derjenige, den sie gejagt haben. Susan hat die anderen dazu überredet, sich aufzuteilen, damit sie mich warnen konnte. Ich habe in einem Versteck auf sie gewartet. Als sie mich gerade entdeckt hatte, ist dieser Sekretär aufgetaucht. Er hat einfach abgedrückt. Sie hat ihn nicht mal gesehen.» Aiden reibt sich mit der Hand übers Gesicht. «Ich wollte es dir viel früher erzählen.»
«Was ist dann passiert?» Aiden schüttelt den Kopf wild hin und her, als will er die schrecklichen Erinnerungen abschütteln, und senkt den Blick auf den Boden. Ich sehe, wie seine Hände zittern.
«Ich bin bei ihr geblieben. Ich habe sie gehalten, bis ...» Wieder schüttelt er den Kopf. Ich nicke. «Sie hat mir die Kette nie gegeben. Ich habe sie ihr weggenommen.» Die letzten Silben ersticken, während er sie ausspricht.
«Ich bin froh, dass du es getan hast», presse ich hervor und nicke noch immer. Sein Blick verkeilt sich in meinem und ich sehe die Anspannung darin, sehe, wie er auf die Wut wartete, die mich jeden Moment überfallen und ihn in Stücke reißen wird. Aber ich bin nicht wütend. «Es tut gut zu wissen, dass sie nicht allein war.» Meine Stimme klingt eigenartig entfernt. Als würde sie gar nicht richtig zu mir gehören. «Und mit allem, was du getan hast, würde sie dir trotzdem verzeihen.» Aiden schnaubt abfällig. «Sie hat gewusst, wie du bist, sonst hätte sie dich nie beschützt. Und sie hat gewusst, dass du keiner Fliege etwas zuleide tun kannst.»
«Ich hab auf Conrad geschossen», erinnert er mich, lehnt sich auf dem Sessel zurück und starrt auf seine Knie.
«Du hast absichtlich seine Schulter getroffen.»
«Woher willst du wissen, dass es Absicht war?» Sein Blick hebt sich ein Stück, zuckt kurz zu meinem Gesicht und wendet sich sofort wieder ab. Als hätte er mit der Offenbarung der Wahrheit das Recht verloren mich zusehen, dabei will ich nichts mehr. «Vielleicht kann ich einfach schlecht zielen.»
«Nein.» Ich rutsche ein Stück näher zu ihm, bis ich direkt vor seinen Knien stehe und er gezwungen ist, zumindest meine Beine anzusehen. «Deine Augen verraten, wenn du überlegst. Und du hast sehr gründlich nachgedacht, bevor du abgedrückt hast.»
Aiden sieht auf und legt den Kopf schräg. Noch immer zerfurchen Falten seine Stirn und seine Augen sind matt vor Trauer, Wut und Schuld. Aber er sieht mich an und mein Herz setzt zwei Schläge aus.
«Und was denke ich jetzt?» Seine Stimme klingt tonlos. Ein Muskel zuckt an seinem Kiefer und gleichzeitig legt sich auf seine Miene ein Ausdruck von Qual, der mir den Atem verschlägt.
«Es ist nicht deine Schuld. Nichts davon», sage ich mit Nachdruck. Trotzdem sieht er weg. «Perry hat ihre Entscheidungen getroffen, du deine und ich meine. Du kannst nichts daran ändern und du konntest es nie.» Er zieht die Luft ein, als will er etwas erwidern, aber ich lasse ihn nicht. «Wir sind kleine Fische in einem großen Schwarm. Wir schwimmen in eine Richtung, aber ob wir oben oder unten, links oder rechts schwimmen, bleibt jedem selbst überlassen.»
Aiden nickt, ohne mir wirklich zuzustimmen. Ich glaube, es ist einfach nur eine Bewegung, um irgendeine Art von Energie loszuwerden. Also nehme ich allen Mut zusammen und lege ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Jeder Muskel spannt sich unter meiner Berührung, die so leicht ist, dass er sie so gut wie gar nicht spüren dürfte.
Ohne Vorwarnung schließt Aiden seine Arme um meine Taille und vergräbt dann sein Gesicht an meinem Bauch. Es dauert einen Moment, doch dann streiche ich ihm das Haar aus der Stirn. Sommerregen umfängt mich von Kopf bis Fuß, während ich wieder und wieder meine Finger durch die Strähnen wandern lasse. Ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten und ihm damit genug Freiraum verschaffen, um mit dem Schmerz fertig zu werden. Aber wie sich gezeigt hat, bin ich nicht besonders gut in sowas.
DU LIEST GERADE
Only Water - Kenne deinen Feind
Science FictionDie Flut. Eine Katastrophe. Die Lotterie. Der Gewinn eines Privilegs. Die Wahrheit. Manipuliert. Henrietta ist eine Privilegierte. Sie darf zur Schule gehen, kann sich einen Beruf aussuchen und wohnt allein in einem großen Apartment. Da ist es fast...