Folge 17

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Meine Hände sind taub, mein Kopf gleichzeitig voll und leer und jede Faser meines Körpers tut höllisch weh. Ich weiß nicht wohin. Ich bin allein und dieser Raum ist verhältnismäßig groß, aber ich habe einfach keinen Platz hier. Ich ersticke an meiner eigenen Atemluft.

Seit Stunden sitze ich hier fest. Von draußen ist nichts mehr zu hören. Aiden hat mich einfach alleingelassen. Eingesperrt. Es gibt Dinge, die ich nicht einmal ihm zugetraut hätte und das hier ist eines davon.

Ich sinke mit den Rücken gegen die Tür und entlaste meinen Fuß, der inzwischen so dick geschwollen ist, dass es aussieht, als hätte ich ihn aufgeblasen. Meine Haut im Gesicht spannt von getrockneten Tränen. Ich schließe die Augen, um das Brennen zu lindern, aber es hilft nicht viel.

«Fahr doch zur Hölle!», schreie ich in den kahlen Raum und schlage gleichzeitig gegen die Tür. Hoffentlich kann er mich hören.

Wäre ich doch bloß nie durch diesen verdammten Korridor gerannt. Hätte ich mich doch niemals auf seine Verschwörung eingelassen. Mir entfährt ein Schnauben. Mein Herz krampft sich stärker zusammen als damals, als Conrad zugegeben hat, dass er was mit Hailey hat. Dieses Gefühl ist mehr als Wut und weniger als Hass. Ich bin unendlich enttäuscht. Als wäre es nur ein Pakt unter Komplizen. Das war es schon lange nicht mehr. Es geht nicht darum, dass ich hier herumsitzen muss und meinen Plan nicht umsetzen kann. Mit jedem Wort, jedem Lächeln, jedem plötzlichen Auftauchen hat Aiden sich in mein Herz gestohlen. Er ist mein Freund, vielleicht mehr als das. Der Einzige, der mir geblieben ist. Und jetzt sperrt er mich ein, weil er mich für sich haben will.

«Du bist genau wie Conrad.» Ich reiße mich von der Tür los und marschiere zu dem zerfledderten Fluchtwegplan. Mit zusammengekniffenen Augen studiere ich die Linien und Wege dieses Decks, einfach um irgendwas zu tun. Als ich damit fertig bin, lasse ich meinen Blick erneut durch den Raum schweifen. In meinem Kopf rattern die Gedanken, weil es irgendeinen Weg hier raus geben muss. Es gibt immer einen Weg nach draußen. Ich werde Aiden nicht den Gefallen tun und hier tatenlos herumsitzen, bis sein Gewissen ihn soweit zerfrisst, dass er die Tür wieder aufschließt. Entweder ich zerlege dieses ganze Zimmer in Kleinteile oder ich finde einen Ausweg, der clever genug ist, dass ich ihm einfach entwischen kann. Was ich danach tun werde, stand schon fest, bevor ich Aiden gefragt habe, ob er dabei ist.

Ich reiße den Duschvorhang beiseite und mustere jeden Zentimeter der Nasszelle. Meine Knie werden weich, wenn ich daran denke, wie Aiden mich vorhin noch angesehen hat. Mit den Wassertropfen auf der Haut. Ich schlage gegen die Wand, um die Bilder loszuwerden. Es scheppert leise.

Natürlich!

Ich reiße das gut getarnte Gitter aus der Fassung und überprüfe den Schacht dahinter. Es ist ein Lüftungsschacht, der steil aber nicht unüberwindbar nach oben führt. Mit stockendem Atem renne ich zurück zu meinem Rucksack, der zu groß ist, um ihn mitzunehmen. Ich zerre eine weiße Jacke daraus hervor, ziehe sie über und widme mich erneut dem Fluchtwegplan. Wie es scheint, ist das Glück auf meiner Seite. Der Lüftungsschacht führt nicht nur einfach nach oben sondern direkt am Treppenhaus von Deck 3 vorbei. Damit kann ich ohne Probleme aus der Gefahrenzone entwischen.

Ich zwänge mich durch den Einstieg und bringe dann alle Kraft auf, die in mir steckt, um den Schacht emporzuklettern. Ehrlich gesagt, hatte ich mir das leichter vorgestellt. Meine Beine und vor allem mein Fuß protestieren schon nach den ersten Metern. Meine Arme fühlen sich nicht wirklich besser an. Trotzdem kämpfe ich mich weiter hoch und versuche dabei jedes Stöhnen und Ächzen zu unterdrücken.

Keine Ahnung wie lange es dauert, aber irgendwann erreiche ich tatsächlich ein Gitter, durch dessen Spalten ich ein Treppenhaus erkennen kann. Ich habe nicht wirklich die Möglichkeit aus meinem Versteck die Ecken des Flures auf Kameras zu überprüfen. Deshalb stemme ich mich auf gut Glück gegen das Gitter und schiebe es aus der Fassung. Als ich mich nach draußen hieve, überprüfe ich die Sicherheitsinstallation und erkenne nur eine Kamera, die mit Panzertape überklebt ist. Ein sicherer Hinweis dafür, dass ich noch immer in den unteren Decks bin. Ich setze das Gitter wieder ein, damit Aiden es nicht so leicht hat, falls er irgendwann bemerkt, dass ich weg bin. Dann setze ich die Kapuze auf und begebe mich zum ersten Punkt auf der Liste. Judiths Appartement.

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt