Folge 5

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Conrad schiebt mich vor sich her. Seine Hände liegen fest auf meinen Schultern. Sie fühlen sich warm an. Blind stolpere ich durch den Gang. Ich habe mich noch nie dämlicher und glücklicher zugleich gefühlt.

In meine Nase steigt der schwere Geruch chlorversetzten Wassers. Wir sind definitiv im Schwimmbad. Es ist eine überdimensionale Halle mit einem riesigen Schwimmbecken in der Mitte des Moduls. Zugang nur für Vilex-Angehörige natürlich.

Conrad bringt mich zum Stehen und zupft an der Augenbinde herum. Ich spüre die Wärme seiner Haut hinter meinem Ohr. Als ich endlich freie Sicht habe, tritt er neben mich und ich bestaune ein Meer aus winzigen Kerzenlichtern. Sie treiben auf der Oberfläche des Schwimmbeckens. Die kleinen Wellen schubsen sie sanft hin und her. Der ganze Raum, der immer so kalt und funktional wirkt, ist in warmes Licht getaucht und in der hinteren Ecke, dort, wo sonst der Bademeister seinen Aufsichtsposten hat, steht ein Tisch gedeckt für zwei Personen.

«Wie viele Punkte musstest du dafür zahlen?», frage ich überwältigt.

Conrad grinst nur und führt mich behutsam zum Tisch hinüber. Er zieht mir den Stuhl zurück.

Das ganze Schwimmbad zu mieten, kostet mit Sicherheit ein halbes Vermögen. Und auch noch um diese Uhrzeit. Normalerweise ist hier gegen Abend die Hölle los. Essen gibt es natürlich auch noch. Auf angewärmten Tellern. Und es sieht überhaupt nicht nach typischem Laboressen aus.

«Was hast du angestellt?», fahre ich lachend zu Conrad herum, bevor ich mich setze.

Aus seinem Mund dringt ein ersticktes Kichern.

«Ich dachte einfach, es wäre eine gute Idee, wenn wir mal wieder etwas Zeit für uns allein hätten.» Er nimmt mir gegenüber Platz und irgendwie ist er mir damit viel zu weit entfernt. «Ich hoffe, es gefällt dir.»

«Natürlich gefällt es mir!» Ich komme mir nur ein bisschen underdressed vor in meinen Turnschuhen, der einfachen Jeans und dem weißen Oberteil.

Keine zwei Minuten später bin ich vollkommen in die Köstlichkeit des Menüs vertieft. Es schmiegt sich malerisch ein Gemüse-Tatar mit geschichteter Ricottacreme neben Kartoffelplätzchen und eine ganze Paprika, die mit einer herzhaften Masse aus Couscous gefüllt ist. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass sie sowas herstellen können. In Reagenzgläsern.

«Wie hast du das geschafft?», frage ich mit halbvollem Mund. «Wo hast du all die Lichter aufgetrieben und das Essen?»

Conrad grinst über seinen Teller hinweg sein zufriedenes Conrad-Lächeln. Es ist ein ganz spezieller Ausdruck auf seiner Miene. Es unterschiedet sich nur in hauchfeinen Zügen von einem normalen Lächeln, wie es jeder andere kennt. Aber das hier ist dieses Lächeln, das nur für mich bestimmt ist. Das mit den kleinen Grübchen in den Wangen und dem Kräuseln neben den Nasenflügen.

«Es hat eben so seine Vorteile, wenn man angehender Sekretär des Conciliums ist.»

Ich schlucke den Bissen hinunter. Und mit ihm das leichte Gefühl, mit dem es mir vorkam, als würden unsere Stühle einige Zentimeter über dem Boden schweben. Das ist nicht die Antwort, die ich erwartet habe.

«Du hast deine Position geltend gemacht, um das hier zu organisieren?» Meine allumfassende Handbewegung gerät etwas zu scharf. Das Weinglas schwankt.

«Ich habe nur ein paar Leute um einen Gefallen gebeten», meint er mit ruhiger Stimme.

Ich lege die Gabel aus der Hand, um nicht Gefahr zu laufen, noch mehr Schaden auf dem Tisch anzurichten. Was hat er diesen Leuten als Gegenleistung versprochen?

«Conrad, ich ...» Ich suche nach den richtigen Worten, um nicht zu aufgebracht zu klingen, um zu verheimlichen, wie enttäuscht ich in Wahrheit bin. «Ich finde es schön hier, keine Frage, aber ... aber wollten wir nicht eigentlich, niemals unsere Stellung ausnutzen?»

Die Tage der Lotterie waren eine einzige Tortur für uns. Was, wenn wir nicht gewinnen? Was, wenn nur einer von uns gewinnt und der andere in die Versenkungen der unteren Decks eingestuft wird? Was, wenn die neue gesellschaftliche Ordnung unserer Beziehung in jeder Hinsicht entgegensteht? Wir hatten keine Antworten auf diese Fragen und zum Glück brauchten wir sie auch nicht. Aber allein die Vorstellung war so unerträglich, dass wir uns geschworen haben, uns niemals über all die anderen Menschen zu stellen, denen ein Glück wie unseres nicht vergönnt war. Dass wir heute gemeinsam hier sitzen können, dass wir auf einem Deck wohnen, gemeinsam zur Schule gehen, dass wir immer noch zu jeder Tages- und Nachtzeit zusammen sein können, ist Privileg genug.

«Ich habe meine Stellung nicht ausgenutzt, Jetta», stellt Conrad klar und legt ebenfalls das Besteck aus der Hand. «Ich dachte, es wäre einfach eine nette, kleine Überraschung.»

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt