Folge 7

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Als der Dämmerschlaf einsetzt, schrecke ich hoch. Ich stoße ein heiseres Keuchen aus und schlage mir gleichzeitig die Hand vor den Mund. Aber Aiden und seine Mitbewohner atmen ruhig weiter.

Ich streiche mir die Haare zurück, die mir im Schlaf übers Gesicht gefallen sind und binde sie mit einem Zopfgummi zusammen, das auf dem Tisch liegt. Ich reibe mir über die Augen und stehe auf. Das alberne Nachthemd tausche ich eilig gegen meine normalen Klamotten, bevor jemand, im Speziellen Aiden, aufwacht und mich darin sieht. Hoffentlich kann Aiden mir Zeit verschaffen, um meine Schuluniform zu holen. Conrad würde es sofort auffallen, wenn ich morgen noch die gleichen Sachen anhabe wie im Schwimmbad. Und hoffentlich denkt er einfach, dass ich sauer auf ihn bin und mich deshalb nicht bei ihm melde. Diese kleine Gefälligkeit für Aiden nimmt langsam Ausmaße an, die ich so nicht geplant habe.

«Guten Morgen, Sonnenschein!», springt Joe unvermittelt vom Boden auf. Er hat so ein seltenes Gute-Laune-Lächeln. So eins bei dem man das Gefühl hat, die Sonne geht auf.

«Guten Morgen», entgegne ich mit einem Schmunzeln.

«Kaffee?» Er macht sich nicht die Mühe sein Shirt glatt zu streichen oder irgendwelche sonstigen Maßnahmen an sich vorzunehmen. Er erinnert mich an ein Stehaufmännchen.

Ich nicke eifrig. Joe hechtet zu der Küchenzeile und kramt in verschiedenen Schubladen. Mir klingeln fast die Ohren vom Kirren des Bestecks und dem Rascheln von Lebensmittelverpackungen. Ich werfe einen vorsichtigen Blick auf das Bett, aber Cassy und Aiden schlafen tief und fest und weiter voneinander entfernt, als ich es erwartet habe.

«Kaffee ist aus», springt Joe zu mir herum. «Frühstück außer Haus?»

Ich verziehe unwillkürlich den Mund. Frühstück außer Haus klingt wunderbar. Vor allem weil die Luft in diesem Kabuff zum Schneiden dick ist. Aber draußen sind Leute. Und Kameras.

«Weißt du, ich sollte eigentlich nicht hier sein ...», deute ich an, aber da hat Joe auch schon eine schwarze Jacke so groß wie ein Einmannzelt hervorgeholt und hält sie mir vor die Nase.

Zwei Sekunden später stehen wir auf dem Gang. Metallwände verzerren unsere Spiegelbilder. Auch Basketballhosen-Joe hat eine überdimensionale Jacke angezogen und zieht sich nun die Kapuze tief in die Stirn. Ich tue es ihm gleich. Dann läuft er los.

Er geht langsamer, als ich gedacht habe, aber dafür zappelt er dabei komisch mit den Füßen, als würde er seine Schuhe von sich schleudern wollen. Seine Arme pendeln neben seinem schlaksigen Körper vor und zurück. Wenn man ihn einmal so gesehen hat, erkennt man ihn vermutlich auf jeder Videoaufzeichnung, ganz egal wie gut er sein Gesicht versteckt. Ich luge unter der Kapuze hervor. In der oberen Ecke vor einem Stahlträger blinkt ein rotes Lämpchen. Ich wende den Blick wieder zu Joe und widerstehe dem Reflex, die Kapuze weiter nach unten zu ziehen. Bestimmt hat das Concilium Bewegungssensoren, die auf genau solche Versteckspielchen trainiert sind.

«Woher kennt ihr euch?», fragt Joe interessiert.

Wir biegen um die Ecke auf einen belebten Korridor ein. Ich senke den Blick auf das Meer von ausgefransten Schuhen.

«Von früher», sage ich gerade so laut, dass Basketballhose mich über den Lärm hinweg hören kann. Ob er von Aidens Vergangenheit weiß? «Und du?» Ich bin ein bisschen näher an ihm dran, als ich sollte. Der Geruch seiner vom Schlaf verschwitzten Haut steigt mir in die Nase, aber anders geht es in dem Gedränge nicht. Mich treffen Ellenbogen an der Seite. Schultern streifen meine. Jemand tritt mir in die Hacken, ohne sich zu entschuldigen. Mir wird heiß, während meine Kehle austrocknet.

«Er war plötzlich einfach da», meint Joe und zuckt die Schultern, sodass sich sein ganzes Einmannzelt anhebt.

«Wie meinst du das?»

«Du kennst ihn. Er taucht einfach von einem Moment auf den anderen auf. Wie ein Geist. Niemand hat ihn je zuvor hier gesehen, aber plötzlich hat er eine Wohnung und einen Job und bietet mir einen Schlafplatz an.»

«Er hat dir einen Schlafplatz angeboten?»

«Ja», ruft Joe begeistert aus. «Und diese Couch ist der Himmel auf Erden, oder?» Meine steifen Knie sagen etwas anderes. «Und das alles obwohl wir uns vorher nur einmal begegnet sind. Mit Zucker oder Milch?»

Erst jetzt bemerke ich die kleine Theke vor uns. Dahinter steht eine bullige Frau mit von Falten zerfurchtem Gesicht.

«Schwarz, bitte.»

Sie drückt Joe zwei Pappbecher in die Hand. Er gibt einen an mich weiter. Die Pappe ist kalt.

«Und was ist mit Cassy?», frage ich im Weitergehen.

«Die ist nach einem One-Night-Stand einfach geblieben. Jetzt sind die zwei wie Eis und Feuer. Kannst dir aussuchen, wer was ist.»

Ich spüre, wie sich meine Augenbrauen in die Höhe ziehen. Allein bei der Vorstellung, mit Bryan, meinem Freund vor Conrad und der einzige, der diesen Titel vorher verdient hatte, immer noch in einem Bett zu schlafen, wird mir ganz anders. Ich nehme einen Schluck aus dem Becher und sofort schüttelt mich der bittere Geschmack des sogenannten Kaffees. Basketballhose lacht.

Only Water - Kenne deinen FeindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt