58| Zeit

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Die nächsten Tage zeigten mir wieder einmal, wie schnell die Zeit an Bord doch verging. Zeit, etwas das immer da war und was man erst dann richtig zu schätzen lernte, wenn sie sich dem Ende zuneigte. Die Reise war nun wirklich greifbar nahe an ihrem Ende angelangt und ich wusste nicht, wie ich mit diesem Wechselbad aus Gefühlen um mich herum umgehen sollte. Mindestens einmal am Tag dachte ich an das bevorstehende Ende und unseren Abschied, der bestimmt sehr tränenreich werden sollte und der mir jetzt schon Tränen in die Augen trieb. Es war auch schon vorgekommen, dass Hobi oder Jin bei dem Gedanken der Abreise Tränen in den Augen gestanden hatten. Die anderen konnten es  gut verstecken, aber es machte sie genauso fertig. Sie wollten es nur nicht offen zugeben. Meistens versteckten sie es, indem sie anfingen mich und Jimin zu bemuttern. Sie fragten zum Beispiel ständig, ob es uns gut ginge und ob wir irgendetwas brauchten. Nachdem wir einen ganzen Tag im Bett verbracht hatten, waren sie übervorsichtig mit uns geworden. Tae und Kookie standen bei den Fragen der anderen immer schon in den Startlöchern, bereit dazu loszusprinten und uns Schmerzmittel oder ähnliches zu besorgen. Jimin hatte einmal versucht, sie dazu zu überreden ihm und mir eine heiße Schokolade zu bringen, aber darauf wollten sie sich dann doch nicht einlassen.

Der Gedanke der Abreise ließ übrigens auch die anderen Passagiere und das Personal nicht kalt. Irgendwie hatte man sich über die Reise doch kennengelernt und mit dem ein oder anderen sogar angefreundet. Meine sieben Begleiter und ich waren da das beste Beispiel und wir verstanden uns ja auch mit Hannah super. Hannah sah ich in den nächsten drei Tagen nur selten, wenn sie durch die Gänge hetzte oder wenn sie einem Passagier weiterhalf. Jedes Mal wenn ich sie sah, hob ich kurz die Hand zu Begrüßung und sie tat es mir gleich. Sie lächelte zwar, aber ich konnte auch in ihren Augen sehen, dass ihr der Abschied schwer fallen würde. Das würde wohl jedem so gehen. Nach den drei Wochen war die Besatzung und die Urlauber irgendwie zu einer untrennbaren Menge zerschmolzen. Sich jetzt vorzustellen, dass man wieder in seinen Alltag zurückkehren musste und dass man die Menschen, die man Tag für Tag zu Gesicht bekam, nur noch  selten und in den meisten Fällen gar nicht mehr sehen würde, war unvorstellbar. Die letzten Tage waren für alle schwer und mir schien es so, als würde das ganze Schiff plötzlich träge werden. Die gute Stimmung, die sonst selbst in den Gängen in der Luft lag, war nun bedrückend und einengend.

Einzig und allein die Kinder an Bord ließen uns lachen. Die meisten verstanden nicht, dass sie sich bald wieder trennen mussten und so verbrachten sie mit Abstand die schönsten Tage an Bord im Vergleich zu den Erwachsenen. In diesen Momenten wünschte ich mir wieder Kind zu sein. All meine Sorgen würden wie weggespült sein und ich konnte mit einer Leichtigkeit und Unbeschwertheit durchs Leben laufen, die nur Kinder hatten. Ich bin mir sicher, dass ich diese Unbeschwertheit früher auch hatte. Am liebsten hätte ich sie nie abgegeben. In dieser Zeit waren die Kinder wirklich unser einziger Lichtblick. Sie konnte einfach jeden an Bord zum Lachen bringen und es war die reinste Freude ihnen beim Spielen und Toben auf dem ganzen Schiff zuzusehen. Wahrscheinlich waren sie an Bord aber auch die einzigen, die das Ende nicht so greifbar nah spürten wie die Älteren.

Morgens standen wir alle früh auf und aßen zusammen Frühstück. Dann würden wir noch den ganzen Vormittag einfach damit verbringen auf den Decks herumzulaufen und uns zu unterhalten. Wenn wir vom Mittagessen zurück kamen, würden wir das gleiche noch einmal machen oder uns einfach irgendwo hinsetzen und weiter reden. Ich erfuhr noch mehr von den Jungs als je zuvor und sie von mir. Aber nicht von ihrem Leben als Idols, sondern von ihrem echten Leben, fern von den kreischenden Mengen, bei ihren Familien und Freunden. Wenn sie einmal Zeit für sich hatten. Das passierte nicht sehr oft, dass sie diese Chance hatten und sie hatten es sich auch verdient, mehr als alle anderen Menschen, die ich je getroffen hatte. Ich erzählte wiederum von meiner Familie und meiner besten Freundin Kelsey. Sie würde mich sicher schlagen, wenn sie wüsste, was ich ihnen für Geschichten erzählten, aber immerhin brachte ich sie so zum Lachen. Jedes Lachen fühlte sich irgendwie komisch an, als würde es nicht richtig in die Situation passen. Welches Recht hatte ich schon jetzt in diesem Augenblich glücklich zu sein, wenn das alles bald vorbei sein würde und wir alle in unseren Alltag zurückkehren müssten. Die Zeit verging wie im Flug und mir kam es so vor, als könnte ich die Zeit gar nicht mehr richtig fassen, als würde sie mir immer wieder durch die Finger gleiten. Eine Stunde an Bord kam mir so vor wie fünf Minuten. So bemerkte ich auch meistens nicht,  wie sich die Sonne immer näher auf den Horizont zubewegte und dann unterging. Wie viel Zeit verstrichen war, merkte ich immer erst dann, wenn ich auf die Uhr schaute oder wenn einer der Jungs uns zur Eile trieb, weil es bald nichts mehr zu essen geben würde, außer in dem 24 Stunden geöffneten Restaurant.

Bon Voyage - cruise (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt