13| Mum..

3.1K 151 11
                                    

Ich entfernte mich ein paar Schritte von den verwirrt blickenden Jungs und wählte mit zitternden Händen die Nummer. Das Freizeichen ertönte und ich wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass sie abnahm. Mein Herz hämmerte mir unaufhörlich gegen die Brust und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Ich wartete eine Weile angespannt, bis sie endlich abnahm.

"Hallo?" "Kelsey, ich bin's. Ich hab's gerade erst gesehen. Was ist passiert? Ist alles gut? Muss ich mir Sorgen machen? Oder soll ich nachhause kommen? Was-" Ich redete wie ein Wasserfall, doch meine beste Freundin unterbrach mich beschwichtigend. "Ganz ruhig, Suji. Es ist wieder alles in Ordnung. Ich hab alles geregelt. Deiner Mum geht es gut."

Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir und ich strich mir etwas beruhigter mit meiner freien Hand durch die Haare. Ich spürte die fragenden Blicke der Jungs auf mir liegen. Ich ging noch ein Stück weiter weg, wendete mich von ihnen ab und senkte meine Stimme. "Was ist denn überhaupt passiert?" Auf der anderen Leitung war es still und ich dachte erst, dass die Verbindung abgebrochen wäre, da erhob Kelsey wieder ihre Stimme. "Sie hatte wieder eine dieser... Phasen und ihr Blutdruck war zu hoch wegen der Aufregung", sagte sie zögernd. "Aber jetzt ist wirklich alles wieder gut, glaub mir. Ich war gestern noch bei ihr und hab auch mit dem Personal geredet. Sie wissen ja, dass du im Moment nicht da bist und haben mich angerufen, so wie es abgesprochen war. Ich dachte ich rufe dich lieber an, um dir Bescheid zu geben. Es tut mir leid, ich wollte dich doch nicht beunruhigen. Ich hätte vorher besser nachdenken sollen. Und du hast mir sogar noch gesagt, dass du auf dem Schiff keinen Empfang haben wirst. ", sie klang total aufgelöst, dabei hatte sie es doch nur gut gemeint. Ich konnte sie verstehen.

"Schon gut Kels, alles ist gut, das war gut so", versicherte ich ihr schnell. "Und ihre Tabletten haben nicht gegen den Bluthochdruck geholfen?", fragte ich und starrte dabei etwas abwesend auf ein heruntergekommenes Haus vor mir. "Doch natürlich, aber es hat etwas länger gedauert als sonst und sie war halt immer noch verwirrt." "Was hat sie gemacht?", hakte ich nach. "Sie wusste nicht warum sie hier war und wollte auch mit niemandem reden und hat andauernd irgendetwas vor sich hin gemurmelt. Über ihre alte Heimat oder so ähnlich." In letzter Zeit redete sie viel über Südkorea. Offensichtlich vermisste sie das Land wirklich sehr, und das, obwohl wir schon so lange in Deutschland lebten. Für mich blieb Deutschland meine Heimat, aber für sie muss es wohl sehr schwer gewesen sein auszuwandern und alles Bekannte hinter sich zu lassen. "Sie hat mich wohl erkannt, als ich kam und ich habe auch versucht sie zu beruhigen, aber..."

"Sie wollte nicht zuhören, oder?", sagte ich und als Kelsey nichts darauf erwiederte, wusste ich, dass ich Recht hatte. Ich seufzte tief. Ich kam mir noch nie so hilflos vor, wie in diesem Moment. Warum musste sie auch immer so stur sein? Konnte sie nicht einmal das tun, was für sie das Beste ist? Ich schüttelte den Kopf. Warum musste immer alles so kompliziert sein?

"Sie hat nach dir gefragt.", kam es dann von der anderen Seite und mir blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Das hatte sie bis jetzt noch nie getan. Sie war immer nur genervt, wenn ich sie besuchen kam und meinte ich würde sie von der Arbeit abhalten. Kelsey bemerkte mein Zögern.

"Sie meinte, sie hätte dich lange nicht mehr gesehen und dass du sie doch einmal besuchen kommen solltest." "Das letzte Mal, dass ich da war, war vorgestern gewesen. Ich war fast fünf Stunden da und sie hat mich nicht einmal beachtet", gab ich zur Antwort und Kelsey seufzte ergeben. "Das weiß ich doch... aber sie weiß es nicht mehr."

Ich blickte auf den Boden und nickte leicht. "Ja.." Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern wahrzunehmen und langsam machte sich Verzweiflung in mir breit. "Was, wenn das keine gute Idee war mit der Kreuzfahrt? Ich sollte besser wieder nach Hause kommen und-" "Nein, tu das nicht," unterbrach Kelsey mich scharf. Sie seufzte noch einmal tief und fuhr dann sanfter fort. "Suji... du hast es dir verdient, einmal Urlaub zu machen. Jeder hier versteht das. Und selbst wenn du zurück kommen würdest, was würde das helfen?"

"Du hast ja Recht, aber ich fühle mich so schuldig." Ich wichte mir schnell über die Augen, weil ich spürte, wie sich dort Tränen ansammelten. "Du kannst nichts dafür und sie weiß das auch.", sagte Kelsey eindringlich "Und sie weiß auch, dass du dir eine Pause verdient hast." Aus ihren Mund klang das alles so einfach. "Vielleicht wusste sie es mal, aber jetzt? Sie kann sich ja nur knapp an ihre Freunde erinnern, wenn sie vor ihr stehen. Und irgendwann wird es so schlimm sein, dass sie nicht einmal mehr mich erkennt." Meine Stimme wurde zum Ende hin immer brüchiger und ich schloss die Augen und versuchte ruhig ein und aus zu atmen. "So weit wird es nicht kommen. Bis jetzt waren diese... diese Anfälle immer nur von kurzer Dauer. Danach ging es ihr immer besser.", meinte Kelsey, doch ich konnte ihre Ratlosigkeit heraushören. Ich lachte nur halbherzig. "Es wird schlimmer. Jeder sagt das, die Ärzte, ihre Freunde, ich sehe es ja selbst..." "Suji ich-" "Nein, nein, das ist schon ok. Ich- ich muss einfach mehr für sie da sein. Und- und außerdem gibt es jeden Tag Wunder, warum also nicht morgen oder nächste Woche? Ich- ich muss mich einfach noch mehr anstrengen..." Ich wusste selbst, dass ich gerade verzweifelt klang, aber ich konnte nichts dagegen tun, immerhin ging es hier um meine Mutter. Meine Mutter, die mich allein aufgezogen hatte und die ich trotz allen Streitigkeiten über alles liebte.

"Bis jetzt wurde noch kein Mittel gegen Alzheimer gefunden. So schnell wird sich das leider nicht ändern." Kelsey versuchte mich zaghaft zurück in die Realität zu holen, aber ich weigerte mich zu glauben, dass es komplett hoffnungslos sei. "Es gibt immer eine Lösung." Ich hörte wie meine beste Freundin auf der anderen Seite der Leitung leise seufzte. "Ich werde nachher noch einmal zum Pflegeheim fahren und mich nach ihr erkundigen. Wenn etwas ist kann ich dir Bescheid sagen?" Der letzte Satz war mehr Frage als Feststellung und ich nickte stark, was sie natürlich nicht sehen konnte. "Ja, ja mach das. Morgen sind wir noch einmal an Land, aber danach wird es schwierig... Der nächste Halt ist dann erst wieder London." "Ich bekomme das hin. Das klappt schon alles.", versicherte sie mir und ich musste lächeln. Ich konnte mich immer auf sie verlassen. "Danke. Für alles.", brachte ich in einem Flüstern hervor, aber ich hatte das Gefühl, dass dieses Wort nicht einmal ansatzweise darstellen konnte, wie dankbar ich ihr war. Sie hatte schon so viel für mich getan. "Das ist doch selbstverständlich.", sagte sie und ich konnte förmlich hören, wie sie lächelte.

Wir redeten noch eine Weile miteinander über eher Belangloses, bis sie schließlich Schluss machen musste, weil es zur nächsten Unterrichtsstunde klingelte. Sie war ja Lehrerin. "Also Kopf hoch und mach dir eine schöne Zeit." "Ich versuch's. Ich hab dich lieb." "Ich dich auch. Bis bald", sagte sie noch und legte dann auf.

Ich atmete tief ein und stieß die Luft langsam wieder aus. Ich blieb noch ein paar Sekunden auf der Stelle stehen und starrte durch die Umgebung. Die Sonne schien strahlend auf Bergen herab, doch konnte ich das alles gar nicht mehr so richtig genießen. Nicht nach diesem Telefonat. Ich verstaute mein Handy schnell in meiner Hosentasche und ballte meine Hände zusammen, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Mein Herzschlag beruhigte sich langsam und ich schloss die Augen, um noch einmal tief durch zu atmen.

Ein Räuspern hinter mir ließ mich aus meinen Gedanken hochfahren. Ich drehte mich um und sah den sieben Jungs, die alle eine verwirrte Miene aufgesetzt hatten, mit einem gleichermaßen verdutzten Gesichtsausdruck entgegen. Ich hatte fast vergessen, dass sie immer noch da standen. Jin kam zögernd auf mich zu. "Alles in Ordnung?", fragte er und ich bemühte mich schnell um ein überzeugendes Lächeln. "Ja klar, alles in Ordnung, wieso fragst du?", sagte ich etwas überschwänglich und er schaute mich überrascht an. "Ich dachte- es sah nur so ernst aus, als du telefoniert hast.", brachte er hervor und ich winkte ab. "Wirklich alles bestens!", sagte ich eindringlich und mein Tonfall ließ keine Widerrede zu. Ich lächelte sie alle an und sie schienen zufrieden.

Alle bis auf Jimin. Er schaute mir nachdenklich ins Gesicht. Besser gesagt er schaute mir so tief in die Augen, dass mir die Luft weg blieb. Es war so, als würde er mir in meine Seele schauen, als würde er genau wissen, was in mir vorging. Sein durchdringender Blick ließ mich schaudern und ich senkte verlegen den Kopf. Ich wagte es nicht mehr den Blick zu heben und ging stumm unserer kleinen Truppe hinterher. Ich konnte jedoch immer noch spüren, wie sein Blick ab und zu zu mir glitt und mich forschend betrachtete. Vor meinem inneren Auge sah ich seine braunen wachsamen Augen, diesen nachdenklichen Ausdruck, als hätte sich der Anblick in meinem Kopf eingebrannt. Ich kam nicht mehr davon los, so sehr ich es auch versuchte. Sobald ich meine Augen schloss, um wenigstens für ein paar Sekunden zur Ruhe zu kommen und um wenigstens den Rest davon zu überzeugen, dass bei mir alles in Ordnung war, sah ich ihn vor mir. Wie kam es, dass er allein durch seine Ausstrahlung so eine Wirkung auf mich haben konnte? Das war mehr als neu für mich, ungewöhnlich, irgendwie auch ein bisschen gruselig. Und weiß Gott mehr, als ich im Moment vertragen konnte.

Bon Voyage - cruise (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt