2| Los geht's

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Das Schiff war riesig und hätte ich keinen Plan gehabt, hätte ich mich bestimmt verlaufen. Ich lief durch einen langen Gang zum Treppenhaus. An den Wänden hingen zahlreiche Auszeichnungen und die Pläne des Schiffes. Ich fühlte mich wie auf der Titanic, nur das die Leute hier nicht so gut angezogen waren. Die meisten liefen in ihren Alltagsklamotten herum. Aber vielleicht kam das nur daher, dass heute der Anreisetag war und es änderte sich noch, wenn wir erst einmal losgefahren waren. Ich ging durch das große  Treppenhaus und machte schonmal die ersten Fotos. Alles war so edel eingerichtet, dass man fast Angst hatte irgendetwas zu berühren. Die Aufzüge liefen pausenlos, um die ersten Gäste auf die oberen Decks zu befördern.

Da ich nur meinen Rucksack hatte und außerdem etwas klaustrophobisch war, entschied ich mich jedoch für die Treppe, was sich aber als Fehler herausstellte. Der Eingang befand sich auf Deck 3 und insgesamt gab es 14 Decks, letztendlich war ich also schon auf Deck 8 außer Puste und stützte mich nach Atem ringend an das Geländer. Ich musste definitiv mehr Sport machen. Gab es hier nicht sogar ein Fitnessstudio? Das sollte ich vielleicht einmal ausprobieren. Die nächsten Treppen schleppte ich mich eher nach oben, als dass ich ging, aber am Ende stand ich auf dem 12. Deck und sah auf die Skyline Hamburgs. Hamburger Michel, die Elbphilharmonie und sogar das Riesenrad vom Dom erstreckten sich majestätisch in den Himmel. Gab es je etwas schöneres? Ich atmete tief die frische Luft ein und lehnte mich etwas über das Geländer, um Bug und Heck besser sehen zu können, was bei der Größe des Schiffes eher schlecht ging. Möwen zogen über der Elbe ihre Kreise und kreischten, als sie von Passagieren am Bug des Schiffes kleine Brotstücke zugeworfen bekamen. Ich lachte bei diesem Anblick.

Ich entschied mich erst einmal auf mein Zimmer zu gehen und dann später am Bug des Schiffes die Abfahrt zu verfolgen. Die Kabinen sollten um 15 Uhr bereit sein zum einziehen. Ich sah auf die Uhr. 15:36 Uhr. Perfekt. Mein Zimmer war auf Deck 9 und ich ging wieder einmal die Treppen herunter. Die Suche nach meiner Kabine stellte sich jedoch als schwieriger dar. Ich hatte Kabine 9145, war allerdings so weit vorne, dass ich gefühlt das ganze Schiff durchqueren musste. Als ich dann zwischen den Kabinen 9144 und 9146 stand, war ich schon bereit mich für verrückt zu erklären, bis ich dann kapierte das mein Zimmer auf der anderen Seite sein musste. Zum Glück befand ich mich in der Nähe von Treppenhaus B und musste nur einmal quer laufen und ich war da.

Kabine 9145. Ich wollte gerade die Tür öffnen, als ich von der Seite ein lautes Schreien vernahm. Mehrere kleine Kinder stürmten den Gang entlang gefolgt von einem Jungen etwa in meinem Alter. Ich erinnerte mich vage daran, dass es auf Deck 9 soetwas wie ein Spieleparadis für Kinder gab. Na dann viel Spaß, wenn das hier jeden Tag so ablief. Es schien so als würden sie Fangen spielen und die Kinder kreischten vor Vergnügen. "Na wartet, ich fange euch schon noch!" rief der Junge auf koreanisch. Gut, dass ich halbe Koreanerin war, sonst hätte ich nämlich kein Wort verstanden. Die Kinder liefen knapp an mir vorbei und vor Schreck ließ ich meine Tasche fallen. Natürlich war sie offen gewesen und mehrere Kleinteile purzelten auf den Gang. Der Junge rannte an mir vorbei und rief mir noch schnell eine Entschuldigung zu bevor er weiter die Verfolgung aufnahm. Die Schreie hörte man wahrscheinlich im ganzen Schiff.

"Taehyung!" Ein weiterer Junge kam um die Ecke geschossen, blieb aber als er das Chaos aus meinem Rucksack sah verwundert stehen. Ein besorgter Ausdruck trat auf sein Gesicht. Er kniete sich neben mich und half mir die Sachen einzusammeln, während er sich in schlechtem Englisch versuchte für seinen Kumpel zu entschuldigen. "Das tut mir echt leid! Taehyung ist..." Ich sagte ihm schnell, dass alles in Ordnung ist und als ich anfing koreanisch zu sprechen, wurden seine Augen groß. "Du kannst koreanisch?" wechselte er auf seine Muttersprache und ich nickte. "Ich bin halbe Koreanerin und meine Mutter hat darauf bestanden, auch wenn ich in Deutschland lebe, dass ich mit ihr koreanisch rede." sagte ich.

"Ich bin übrigens Suji" fügte ich hinzu und reichte ihm meine Hand. Er nahm sie entgegen und zog mich gleichzeitig wieder auf die Beine. Als er jedoch stumm blieb, zog ich eine Augenbraue hoch. "Und du bist?" Er schaute etwas verwundert, fing dann aber an von einem Ohr zum anderen zu grinsen. "Ich bin Seokjin, aber du kannst mich ruhig Jin nennen." sagte er schließlich und ich lächelte ihn an. "Also gut, ich mach mich dann mal weiter auf die Suche nach Taehyung." "Das dürfte nicht weiter schwierig sein, einfach dem Geschrei nach" lachte ich und wenige Sekunden später rannten die Kinder schreiend auf der anderen Seite wieder in die Richtung aus der sie kamen, dicht gefolgt von Taehyung der einen kleinen Jungen bereits Huckepack trug. Als er Jin sah, lachte er kurz. "Los Jinnie, die schnappen wir uns!" Neben mir seufzte Jin auf, weshalb ich lachen musste, bevor er schließlich auch wieder die Verfolgung aufnahm. "Wir sehen uns Suji" rief er noch über seine Schulter und rannte dann Taehyung hinterher.

Kopfschüttelnd aber mit einem Grinsen im Gesicht schloss ich die Tür zu meiner Kabine auf und blieb im nächsten Augenblick erstaunt stehen. Dass das Zimmer größer war als andere Kabinen wusste ich, aber das es so groß war damit hätte ich nicht gerechnet. Ich hatte eine Balkonkabine gebucht, einerseits wegen meiner Klaustrophobie, andererseits weil ich es so schöner fand und die Kabine war eigentlich für 2 Personen ausgelegt, es gab also auch ein großes Doppelbett. Trotzdem war noch Platz für einen Sessel und eine Hängematte auf dem Balkon. Hier würde ich es ganz sicher aushalten können.

Mein Koffer stand neben dem Sessel und ich hob ihn auf das Bett, um meine Sachen ordentlich in die Schränke einzusortieren. Ich hatte T-shirts, Pullover, Hosen, Blusen, Kleider und Röcke eingepackt, meistens normale Sachen, aber ein paar feine Sachen hatte ich für den Notfall auch eingepackt, auch wenn ich nicht glaubte, dass ich sie brauchen würde. Ich hatte drei Schränke in meiner Kabine und sortierte alles ein. Die Unterwäsche ließ ich im Koffer. Ich war auch so eigentlich jemand, der aus dem Koffer lebte, aber für drei Wochen war es denke ich mal in Ordnung seine Sachen auszupacken. Den Koffer verstaute ich in einem der Schränke. Dann schaute ich mich im Badezimmer um. Es war klein und schon allein beim Ansehen meldete sich meine Klaustrophobie, aber es würde gehen.

Ich ging auf den Balkon und legte mich in die Hängematte. Mir fiel ein, dass ich Kelsey versprochen hatte anzurufen, wenn ich angekommen war, also nahm ich mein Handy hervor und wählte ihre Nummer, die ich mittlerweile so gut auswendig kannte, dass ich sie manchmal sogar mit meiner eigenen verwechselte. Das hatte bei meiner Großmutter schon für viele Missverständnisse gesorgt. Ja, ich war ein Schussel.

Es klingelte zweimal, bevor sie abnahm. "Na auch noch unter den Lebenden? Ich dachte schon du wärst schon abgesoffen. Keine Nachricht, kein Nichts? Aber gut. Wie ist es so, du musst mir alles erzählen!" Ich lachte auf bei ihrem Redeschwall. "Ganz ruhig Brauner, ist ja gut. Hier ist es super! Das Schiff ist so riesig, ich hatte noch gar nicht richtig Zeit mir alles anzugucken. Hier gibt es so viel, allein schon 5 Restaurants, Bars- "
"-ein Theater, ein Kino und ein Fitessstudio, ich weiß. " führt Kelsey meinen Satz lachend zuende. Ihr Grinsen kann ich von hier aus sehen. "Das hört sich alles super an und es freut mich, dass es dir so gefällt, aber beim nächsten Mal nimmst du mich mit damit das klar ist!" sagte sie bestimmt und ich lachte "Ganz bestimmt" "Während du schön auf einem Schiff entspannst darf ich mich mit diesen kleinen Nervensägen rumschlagen" Kelsey war Grundschullehrerin, das war auch einer der Gründe warum sie nicht mitfahren konnte. "Das schaffst du schon! Denk einfach daran, dass es bald schon wieder Ferien gibt!" Kelsey atmete hörbar aus "Das ist im Moment mein einziger Lichtblick, glaub mir, ich mein wer kann denn bitte das kleine Einmaleins nicht?" Ich glaube es war besser, wenn ich jetzt nichts sagte. Mathe war noch nie meine Stärke gewesen. "Naja wie auch immer, ich muss jetzt Schluss machen, meld dich mal ab und zu, damit ich sicher sein kann, dass es dir gut geht. Ich hab dich lieb!" "Mach ich. Ich hab dich auch lieb. Bis bald!" sagte ich und drückte auf den roten Hörer. Dann lehnte ich mich in der Hängematte zurück und schloss die Augen. Die Begegnung mit Jin und Taehyung hatte ich da schon fast wieder vergessen.

Bon Voyage - cruise (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt