Kapitel 31

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„Dann bin ich auch tot. Das ergibt Sinn. Meine Verletzungen. Du bist ein Engel.", flüsterte sie leise und sofort änderten sich die Augen vor ihr. Es waren dieselben, aber sie wirkten... verzweifelt? Engel sollten nicht verzweifelt sein. Besonders nicht dieser Engel.

Aus einem plötzlichen Impuls heraus hob sie ihre Hand an seine Wange, um den verzweifelten Engel zu trösten. „Engel sollten nicht traurig sein.", sagte sie schleppend.

„Aber wir leben. Es war nicht Wirklichkeit, was auch immer du gesehen hast. Bitte, Kyla, ich liebe dich." Sogar die Stimme des Engels klang verzweifelt und traurig. Gab es nicht vielleicht irgendein Gesetz, das Engeln verbieten konnte zu lügen? Man konnte fast nicht anders als ihnen zu glauben, so schön und freundlich wie sie wirkten. Aber Kyla glaubte ihrem Engel nicht.

„Kyla, wir sind alle am Leben, wir sind im Krankenhaus, du hast einen heftigen Schock erlitten, ein traumatisches Erlebnis. Du hast Illusionen gesehen, es war nicht echt. Bitte, glaub uns." Das war eine andere Stimme. Sie klang anders, aber auch vertraut. Sie klang nach Hilfe, nach Rettung. Diese Stimme war gut, sie war ihr Ziel. Irgendwie musste sie zu dieser Stimme. Sie konnte ihr helfen. Ihre Verletzungen versorgen.

„Blair!", fiel es ihr ein. Das war Blairs Stimme, zu ihr musste sie, wenn sie überleben wollte, nach dem Kampf.

„Ja, ich bin hier. Wie wir alle. Und wir leben. Alle. Du auch und Niall auch."

In den blauen Augen vor ihr lag Hoffnung. Seltsam, konnte man sich so verstellen, dass sogar die Augen lügen konnten? Sie kannte diese Augen, sie würde eine Lüge erkennen, aber trotzdem konnte sie es nicht glauben, was sie alle sagten.

„Kannst du mich sehen?", fragte Nialls Stimme nun.

„Ich sehe deine Augen, Engel.", antwortete Kyla ihm leise. Der Engel seufzte. Seine Augen entfernten sich ein Stückchen und sofort erfasste Panik Kylas ganzen Körper. „Nein!" Er durfte nicht gehen. Er nicht auch noch.

„Alles ist gut, ich bin hier und ich bleibe auch hier. Siehst du Blair neben mir?", fragte der Engel. Kyla strengte sich an und schließlich schaffte sie es, den Blick von seinen Augen zu lösen und auf einmal sah sie sein Gesicht. Er sah exakt so aus wie Niall.

Neben seinem Gesicht war das von Blair. Gleich zwei Engel, die wie Menschen aussahen, die ihr wichtig waren. Das war zu viel. Sie kniff die Augen zusammen, sie konnte es nicht sehen. Sie wollte es nicht sehen.

„Nein, mach bloß die Augen wieder auf, hörst du?" Panik lag in Blairs Stimme. Aber es war einfacher mit geschlossenen Augen. Trotzdem musste sie Blair trauen. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen wieder und sah zu Nialls und Blairs Gesicht. Erleichtertes Aufatmen.

„Versuch, noch mehr um dich herum zu erkennen. Du musst alles entdecken.", forderte Blairs Stimme sie nun auf.

„Warum? Es ist einfacher, die Augen zu schließen.", fragte Kyla nach.

„Wenn du die Augen schließt, verlässt du uns wieder. Wir wissen nicht, was du dann siehst. Es ist gefährlich.", erklärte nun Nialls Stimme. Sie vertraute seiner Stimme. Dieses eine Mal.

Sie hob ihren Kopf und sah sich um. Langsam und Stück für Stück verschwand der Nebel um sie herum. Dort standen noch mehr Menschen um sie herum. Sie erkannte Liam. Direkt daneben war Harry und dann Zayn. Louis hatte sich etwas vorgebeugt, in ihre Richtung. Auch die anderen sahen sie an, mit großen Augen und irgendwie ängstlich.

„Wovor habt ihr Angst?", fragte Kyla. Sie wusste instinktiv, dass diese Personen keine Angst haben sollten. Sie wollte das nicht.

„Davor, dass du uns nicht glaubst."

Das traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie zuckte zurück. Wenn sie davor Angst hatten, musste es ernst sein. Sie mussten es ernst meinen. Außerdem konnten sie nicht alle tot und zu Engeln geworden sein. Sie mussten leben. Aber... wenn sie mit Lebenden sprechen konnte, musste sie ebenfalls leben. Lebende und Tote redeten nicht miteinander.

„Ich... lebe?", fragte sie leise und legte ihren Kopf schief.

„Ja, du lebst. So wie wir alle.", antwortete ihr Nialls Stimme. Aber dann musste er auch leben.

Da verstand sie die Berührung an ihrer Hand, die nicht verschwunden war. Sie senkte ihren Blick und sah Nialls Hand über ihrer eigenen liegen. Er war warm. Er gab ihr Sicherheit. Aber nicht für immer. Ihr Vater konnte das zerstören.

Sofort legte sie ihre andere Hand über Nialls. Hektisch blickte sie sich um, aber nirgends war ein Feuer oder die verzerrte Miene ihres Vaters. Aber sie bemerkte endlich das weiche Bett unter sich, die weißen Wände des Krankenhauses und neben sich einen Wagen, der so aussah, als müsste er Essen transportieren. An der Wand gegenüber war ein Fernseher angebracht. Dort drüben stand noch ein Bett, aber es lag niemand darin. 'Heute ist ansonsten nicht viel los.', drängte sich eine Erinnerung in ihr Gedächtnis. Im Krankenhaus. Der Arzt und Blair. Ihre Wunden. Aber... dann war sie schon gerettet worden. Sie lag im Krankenhaus. Die anderen waren hier.

Sofort drehte sie sich zu ihnen allen um, um sicherzugehen, dass sie nicht auf einmal verschwunden waren. Aber sie fühlte auch noch die Wärme von Nialls Hand zwischen ihren. „Ich lebe."

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Ich persönlich finde die Vorstellung schrecklich, wenn ein geliebter Mensch sowas wie Kyla erleben muss. In Nialls Situation wäre ich schon längst in Tränen ausgebrochen...

Aber Kyla versteht jetzt auch so langsam, dass sie noch lebt, das ist doch ein Fortschritt :)

Secrets [One Direction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt