Kapitel 24

58 5 4
                                    

Lara beugte sich tief über Hazlas Hals und verwünschte ihre tropfnassen langen Haare, die ihr wild ins Gesicht peitschten oder drohten, sich zwischen den Drachenschuppen zu verfangen.

Eigentlich fand sie ja strömenden Regen gar nicht so schlecht. Irgendwann war man einfach so nass, dass sowieso nichts mehr half und man einfach weitermachen konnte, anders als wenn es ekelhaft langsam nieselte. Aber hier wehte zusätzlich noch ein kräftiger Gegenwind, der ihr die Tropfen direkt ins Gesicht trieb. Zu allem Überfluss konnte Hazla auf den nassen, glatten Felshängen um sie herum nicht landen und musste sich deshalb weiter voran kämpfen.

Toll. Im Urwald die ganze Zeit Sonnenschein und kaum in den Bergen Regen. Warum setzt du nicht irgendeinen tollen Trick ein? schnaufte Lara und schnappte nach Luft. Wozu bist du bitte ein Wasserdrache?

Erstens, wir sind in der Luft. Zweitens, ich will meine Kräfte schonen. Und drittens könnte ich sowieso nur mich selbst, aber nicht dich vor dem Regen schützen. Du würdest alles abkriegen, was mich verfehlt. Und das ist nicht grade wenig, gab Hazla knapp zurück und kämpfte gegen den Wind, um nicht nach unten abzusacken.

Wir ertrinken gleich im Regen, das gilt doch bestimmt als Wasser. Kannst du nicht aus deiner Umgebung irgendwie die Tropfen aufsaugen? Also so, dass sie einfach verschwinden und du irgendwie Kraft gewinnst oder so. Wenn du das die ganze Zeit machst, bleibe ich auch trocken, entgegnete Lara, begeistert von ihrer Idee, und wischte sich zwei Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Hazla seufzte. Nur habe ich schon genug mit Fliegen zu tun. Das ist jetzt echt keine gute Idee. Wie auf Kommando gerieten sie in einen Abwind und Hazla musste sich wieder mühsam hochkämpfen, um nicht auf den Boden zu prallen. Siehst du? Und außerdem wäre es auch sonst nicht sinnvoll. Regentropfen enthalten zu wenig Energie für mich, es würde sich nicht lohnen.

Aber du-, setzte Lara an und strich eine Haarsträhne zurück, die sich zum Ziel gemacht hatte, ihre Besitzerin zu erwürgen. Achtung, Felsen! schrie sie, als eine Bergspitze plötzlich vor ihnen auftauchte.

Hazla drehte gerade noch ab, wurde durch die plötzliche Verlagerung ihres Gewichts aber prompt in eine Abwärtsspirale gezogen und trudelte auf den harten Boden zu.

Lara schrie erschrocken, schluckte Regenwasser und musste husten. Ihre Augen tränten. Im nächsten Moment wurde sie ganz ruhig. Einen Moment registrierte sie noch alle Kleinigkeiten gestochen scharf, während sie fiel.

Hazlas verzweifelte Flügelschläge, um dem Aufprall zu entgehen. Wasser wie Tau auf den Drachenschuppen. Regentropfen, die auf ihr Gesicht zugeweht wurden und auf ihrer Haut kühl zerplatzten. Der Wind, der Hazlas Flügel nach unten riss. Der Felsboden, der immer näher kam. Geräusche verschwammen zu nichtssagendem Rauschen. Ihre Haare, die wild herumpeitschten.

Dann entspannte  sich ihr Körper, sackte zusammen und fiel bei der nächsten Drehung von dem Rücken des Drachen.

Lara öffnete vorsichtig ein Auge und schloss es sofort wieder wegen dem hellen Licht. Schon wieder. Ein rot-schwarzes Etwas schwebte über ihr. "Sie wacht auf", flüsterte es. "Schhh... alles gut", wandte es sich dann freundlich an Lara.

Das Mädchen blinzelte noch einmal und allmählich trennte sich dieses Etwas in zwei Gesichter, ein Feuerrotes und ein Pechschwarzes. Sie gehörten zu zwei Körpern, ebenfalls rot und schwarz, kräftig und gedrungen, aber menschenähnlich gebaut.

Die Rote begann mit einer eindeutig weiblichen, aber seltsam heiseren Stimme zu sprechen. "Hallo. Wir haben dich draußen gefunden und einfach mal mitgenommen. Du warst bewusstlos und hattest ein paar Schrammen, aber nichts Schlimmes. Trotzdem warst du... etwas hilflos, glaube ich."

Schon wieder bewusstlos? Wirklich toll, schon das... dritte Mal, glaube ich, seit ich hier bin, starke Leistung, echt. Und hilflos? Bin ich hier doch eigentlich die ganze Zeit. Wo ist Hazla? Hazla?! Lara starrte sie nur kurz stumm an, setzte sich auf und sah sich dann um.

Sie lag in irgendeiner Höhle, ziemlich weit oben wahrscheinlich, denn man sah von ihrer Position vom Boden aus den Eingang, vor dem nur ein Stück blassblauer Himmel zu sehen war. In einer Ecke lagen zwei zusammengewürfelte Bündel, vermutlich von den beiden seltsamen Leuten vor ihr.

"Wer", flüsterte Lara mit kratziger Stimme, worauf ihr von dem Schwarzen wortlos eine Steinschale mit Wasser gereicht wurde. Das Mädchen trank dankbar. Auch dieses Wasser hatte einen Nachgeschmack, so wie das in Valsara, allerdings einen leicht Schwefeligen. "Danke", meinte sie dann und sah zum ersten Mal in die weißen Augen ihres Gegenübers. Keine Pupille oder Iris, einfach nur durchgängiges Weiß. Lara schauderte kurz. Hazla, wo steckst du? Komm bitte, hier sind schon wieder irgendwelche fremden Leute! Ich höre mich wirklich an wie so ein verwöhntes Ding, dass immer gerettet werden muss. Keine Antwort. Langsam wurde Lara mulmig.

"Bitte", sagte der Schwarze knapp. Seine Stimme klang ebenfalls heiser und abgenutzt.

"Wer seid ihr?" fragte Lara jetzt und sah gespannt zwischen den beiden hin und her. Sie runzelte die Stirn, als der Schwarze anfing, zu lachen.

"Ein kleines Mädchen", meinte er zu der Roten. "Schwach und unerfahren, aber ihr Geist ist stark. Sehr stark. Und sie weiß nicht, wer wir sind." Wieder lachte er, aber nicht abfällig oder spöttisch, sondern belustigt.

"Das ist nicht witzig", stellte die Rote ihn fest und schlug ihn freundschaftlich auf den Arm. "Wie ist sie hergekommen? Und was will sie hier? Wir sollen dem Ara Bescheid sagen."

Der Schwarze wurde wieder ernst. "Du meinst, wir sollten es dem Ora sagen", gab er zurück.

"Nein, ganz sicher nicht", meinte die Andere, während Lara einfach nur zwischen den beiden hin und her sah. "Der Ara ist der rechtmäßige Anführer."

"Aber nicht doch", widersprach der Schwarze stirnrunzelnd. "Der Ora ist der einzige Herrscher. Das hatten wir doch schon."

"Keinesfalls", meinte die Rote heftig. "Wir haben uns-"

"Ähm", meinte Lara. "Ich bin auch noch da und habe euch was gefragt. Ich bin Lara, falls euch das interessiert. Und wer ist der Ora und der Ara? Ich kenne nur eine Papageienart, die Ara heißt."

"Ein Papagei?! Dieses Mädchen vergleicht unseren Anführer mit einem ausgestorbenen Vogel!" rief die Rote empört aus und starrte Lara an.

Der Schwarze räusperte sich. "Wenn, dann dein Anführer. Mein Herrscher ist der Ora."

Lara sah der Roten skeptisch hinterher, als die wütend zum Höhleneingang stapfte und sich dort hinsetzte. Der Papagei? Ausgestorben? Der Schwarze ließ sich mit einem Seufzen neben dem Mädchen nieder.

"Gleich hat sie sich wieder beruhigt", sagte er. "Jetzt kann ich dir auch erklären, wer wie sind, unwissendes Mädchen. Sie ist eine Ara und ich ich ein Ora. Ja, wir leben zusammen. Ja, das geht. Und nein, wir sind kein Paar, nur Freunde. Das ist nicht weltbewegend."

Lara sah ihn nur verwirrt an. "Ehh was?" fragte sie wenig geistreich und wand sich unter seinem starren, milchweißen Blick.

"Wie ich es mir gedacht habe. Du weißt gar nichts über uns", stellte der Schwarze, der Ora, fest. "Wie kann das sein?" murmelte er dann. "Du hast wirklich noch nie etwas über die Feuer- und Felsenmenschen gehört?"

"Nein", meinte Lara unsicher und blickte zu der Roten, um nicht in diese seltsamen Augen sehen zu müssen.

Der Schwarze schmunzelte. "Es bringt nichts, wenn du wegschaust. Meine Augen sehen nichts, aber das ist egal. Ich sehe dich anders. Und du bist nicht normal, kein richtiger Mensch. Oder vielleicht doch? Auf jeden Fall bist du anders, ich habe noch nie jemanden wie dich gesehen. Aber zuerst werde ich dir erzählen, wer wir sind, seltsames Mädchen."

KristallfeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt