Kapitel 5

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Lara starrte die Frau an, die hereingestürmt kam.

"Das ist meine Mutter, Elisa." meinte Sally.

Karamell war das erste Wort, das Lara in den Sinn kam. Im Gegensatz zu ihrer Tochter hatte diese Frau hellbraune Haut und Augen der gleichen Farbe, während Sally schokoladenfarbige Haut und Augen besaß.

Außerdem strahlte Elisa ein Feuer und eine Energie aus, die Sally nicht hatte, dafür lagen aber mehr Ruhe und Gewandtheit in deren Gesten. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden waren ihre langen schwarzen und glänzenden Haare.

"Fertig mit Starren?" Fragte Elisa trocken und riss Lara damit aus ihren Gedanken. Erst jetzt nahm sie auch dir unterschiedliche Farbe der Kleider, die die beiden trugen, wahr.

Sally trug immer noch Bluse und Hose in Blau, ihre Mutter aber ein Kleid, das bei Bewegung in den verschiedensten Rottönen schimmerte.

Sally stieß Lara kurz in die Seite. "Das ist Lara. Ich habe sie verwirrt im Wald auf der Lichtung gefunden. Sie scheint nicht zu wissen, wo sie her kommt und siehst du, was für komische Sachen sie trägt? Ich glaube nicht, dass sie aus der Gegend stammt."

"Danke für die Vorstellung", meinte Lara und wunderte sich über die, für Sally Verhältnisse, kurze Formulierung. "Aber ich glaube, soweit hätte ich es auch hingekriegt. Ich wüsste nur gerne, wie ich hier hingekommen bin und was ich hier eigentlich mache. Ach ja, kann ich bitte was anderes zum Anziehen bekommen? Im Schlafanzug ist es hier ein bisschen warm."

Wegen dem letzten Zusatz verlegen, sah sie Mutter und Tochter an, die jetzt an der Reihe mit Starren waren.

Elisa fand als Erste ihre Sprache wieder. "Du weißt nicht, wie du hergekommen bist? Aber wie... Was ist denn das Letzte, an dass du dich erinnerst?" Fragte sie und schien sich dabei angestrengt etwas ins Gedächnis zu rufen und Stück für Stück auseinanderzunehmen.

Lara runzelte ebenfalls die Stirn. "Ich war zu Hause und hatte einen Alptraum. Ich bin aufgewacht und der Kristall, den ich gefunden habe, hat geleuchtet. Dann kam dieses Feuer und weißes Licht und ich war hier." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber es war so."

Sally sah Elisa mit großen Augen an und man sah förmlich die Gedanken hin- und herschießen.

Währenddessen trank Lara mit großen Schlucken ihr Glas leer. Der Saft war sehr lecker, aber sie war zu abgelenkt, um das wirklich zu würdigen. Schließlich nickten beide sich fast unmerklich zu und Sally wandte sich an Lara.

"Wir müssen darüber nachdenken, aber wir haben schon eine Idee, wie und warum du hergekommen bist. Ich gebe dir erst was zum Anziehen und dann sehen wir weiter."

Lara nickte in Gedanken versunken. Warum haben sie so reagiert? Habe ich was falsch gemacht?

Sally musterte Lara von oben bis unten, während sie durch die vollgestopften Flure liefen. Das Haus schien sich immer mehr auszudehnen.

"Ist was?" Fragte Lara, als Sally sie ununterbrochen anstarrte.

"Ich versuche nur zu erraten, welche Größe du brauchst." Sally schloss ihre Musterung zufrieden ab. "Ich glaube, jetzt weiß ich es. Ist nur eine Übung für mich", fügte sie noch hinzu.

Lara nickte. Nachfragen hätte sowieso nur noch mehr komplizierte Antworten nach sich gezogen, deshalb nahm sie es einfach mal so hin.

"Hier", Sally durchwühlte einen Schrank und warf Lara schließlich ein schwarzes Kleid aus dem selben seidigen Stoff, wie sie trug, zu.

Lara fing es auf und musterte es verwirrt. "Nichts für ungut, aber ich fürchte, dass es draußen mit einem schwarzen Kleid nicht unbedingt besser wird. Und außerdem sehe ich dann aus, wie auf dem Weg zu einer Beerdigung."

Sally zuckte mit den Schultern. "Es ist die einzige Farbe außer Braun, die du tragen kannst und braunen Stoff haben wir nicht."

"Warum ist es denn bitte die einzige Farbe? Du hast ja auch blaue und deine Mutter rote Sachen an. Die Leute draußen tragen auch fast alle Blau. Mit Schwarz bin ich so auffällig", wandte Lara ein.

"Das ist ein Erkennungszeichen! Weißt du das nicht?" Auf ein stummes Kopfschütteln von Lara seufzte Sally und begann, zu erklären. "Also: Für uns ist die Farbe der Kleidung etwas ganz Wichtiges. Fast jeder beherrscht eins der Elemente oder besitzt eine Bindung mit ihm. Das ist etwas, worauf man stolz sein kann. Also gibt es für jedes der Elemente eine Farbe. Blau für Wasser, Rot für Feuer, Weiß für Luft und Grün für Erde. Wenn du  dich keinem der Elemente verbunden fühlst, trägst du meistens Schwarz. Es symbolisiert, dass du dich allen gleich verbunden fühlst, deswegen ist es auch nichts Schlechtes. Die meisten Menschen, die schwarz tragen, sind Streitschlichter oder sogar im vollkommenen Gleichgewicht mit ihrer Umwelt. Allerdings kann, aber das ist selten, sich die Farbe deines Kleidungsstücks plötzlich ändern, wenn sich deine Bindung ändert und du das wirklich willst. Dabei kann auch eine Mischfarbe entstehen."

Lara sah Sally skeptisch an. "Das heißt, wenn ich jetzt rausgehe und dieses Teil anhabe, kommt jeder angerannt und möchte, dass ich ihm bei irgendwas helfe?"

"Nein", Sally schüttelte den Kopf, "sie werden dich ansehen, sich kurz fragen, wer du eigentlich bist und dann mit ihrer Beschäftigung weitermachen, weil ich direkt daneben bin und sie wissen, dass ich heute eine Probezeit hatte. Du bist für sie einfach nur eine Fremde, die keine besondere Verbindung zu einem Element hat und von mir aufgelesen wurde. Und kannst du das Teil jetzt bitte anziehen? Ich muss dich nachher noch den Ältesten vorstellen. Ich kann mich auch umdrehen wenn du willst."

Sie trat ein paar Schritte zurück, bevor sie Lara den Rücken zudrehte. Schnell schlüpfte diese aus ihrem mittlerweile etwas verschwitztem Schlafanzug und zog sich das schwarze Kleid über den Kopf. Dafür, dass Sally ihre Größe erraten hatte, passte es erstaunlich gut und war auch so locker geschnitten, dass es draußen nicht zu warm werden würde.

"Du kannst dich wider umdrehen", meinte Lara, "es sei denn, du bist zu fasziniert von dem Haufen alter... Kuscheltiere?"

Sally drehte sich mit einem Grinsen. "Das solltest du lieber nicht in der Gegenwart von Elisa oder meinem Bruder sagen. Darf ich vorstellen? Die Begleiter unserer Familie aus", sie kniff die Augen zusammen, "fünf Generationen glaube ich. Bei anderen wird Schmuck oder ein Grundstück vererbt, bei uns sind es eben die Kuscheltiere. Und keiner kommt auf die Idee, sie wegzuschmeißen, weiterzugeben oder auszubessern. Ich würde sagen, ein paar sind kurz vor dem Zerfall. Und ich lasse mich schon wieder ablenken.
Passt das Kleid? Bist du so zufrieden? Und können wir los zu den Ältesten?"

Sally wirkt etwas nervös, dachte Lara, lächelte aber. "Alles gut, ich hatte zwar kurz Angst, in dem Teil könnte ich einen Hitzschlag kriegen, aber das geht schon. Meinetwegen, lernen wir die Ältesten kennen."

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