Kapitel 34

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"Morgen", meinte Steinhaut und stocherte in der frischen Glut herum. Während des ganzen Trainings in den letzten Tagen hatte sich eine Bindung zwischen der Ara, ihm und Lara gebildet, sodass sie sich auch fast ohne Worte verstanden. Ein großer Vorteil, wie Rote Klinge schon bemerkt hatte.

Lara nickte bedrückt und erschöpft und betrachtete seinen beschnitzten Stock nachdenklich. Vor Tagen war er noch fast weiß gewesen. Jetzt trug er eine kohlschwarze Farbe, ähnlich der Hautfarbe des Oras, die die verschlungenen Ranken noch besser zum Ausdruck brachte. Und angeblich war der Stock ziemlich stabil. Er sollte Steinhaut ab morgen als Waffe dienen, so wie Rote Klinge ihre Messer, Lara ihre Magie und Hazla ihre Stärke. Bei dem Gedanken drängte sich dem Mädchen eine weitere Frage auf. "Habt ihr eigentlich Seelengefährten?" meinte sie neugierig.

"Nur die Menschen besitzen tierische Seelengefährten", antwortete Rote Klinge friedlich. An diesem letzten Abend wollte sie ihre Kräfte schonen und verrenkte sich in einer seltsamen Pose auf der anderen Seite des Feuers. Obwohl sie auf einem weiteren Felsen, der in diesen Bergen herumlag, einen Kopfstand machte und ihre Beine und Arme kompliziert miteinander verknotete, setzte sie zu einer Erklärung an. "Ara und Ora sind auf andere Weise mir den Elementen verbunden, als sie Menschen, weil ihr später kamt. Ihre habt die Macht des Landes nie ganz erfasst. Dafür habt ihr einen anderen Weg gefunden: eure Seelengefährten, die euch helfen und eure Kraft verstärken. Wir brauchen das nicht." Sie verfiel wieder in Schweigen.

Hazla brummte. Die Tiere konnten nur einfach nicht mit ansehen, wie dämlich ihr Menschen euch angestellt habt und sind mit euch einen Pakt eingegangen. Ohne uns hättet ihr euch nie auf der ganzen Insel verbreiten können.

Lara musste schmunzeln und setzte sich neben ihrer Seelengefährtin. Ohne dich wäre ich wirklich manchmal sozusagen am Arsch. Auch wenn bestimmt nicht alle Menschen so hoffnungslos wie ich waren und sind und du in den letzten Tagen nur faul rumgelegen hast. Sie fuhr mit der Hand über Hazlas glatte Schuppen, die selbst in der Abenddämmerung noch blau schillerten.

Hazla schlug halbherzig mit der Pranke nach ihr. Unsinn, meinte sie entrüstet. Wir sind zweimal zusammen stundenlang geflogen. Und sonst habe ich aufgepasst oder war kurz jagen. Wenn dein Traum irgendwas bedeutet hat, und wirklich irgendjemand hinter uns her ist, kann ich dich doch nicht allein lassen. Die paar Pausen sind da nur ein netter Nebeneffekt.

Die paar dutzend, spottete Lara gutmütig. Hoffen wir nur, dass du morgen nicht zu träge für ein paar Dämonenrebellen bist.

Ich frage mich ja immer, warum sie den Stein gestohlen haben, meinte Hazla nachdenklich und wälzte sich umständlich herum. Verleiht er ihnen irgendwelche Macht, mit der sie diesen Typen, Skarrad, stürzen könnten? Oder könnten sie die Leute hinter uns erledigen? Wenn das so ist, warum holen wir ihn dann zurück, anstatt sie um Hilfe zu bitten?

Weil wir uns nicht sicher sind, ob sie uns tatsächlich helfen würden und Skarrad dafür die Ara und Ora niedermetzeln würde, antwortete Lara geduldig. Sie hatte sich und der Ara diese Fragen auch schon gestellt. *Mit Leuten, die sich alle für genau deren Sicherheit geopfert haben und in Dämonen verwandelt wurden. Kannst du dir das vorstellen? Allein schon die Vorstellung, mit grüner Haut rumrennen zu müssen und ständig essen zu müssen und regelmäßig in einen Blutrausch zu fallen, ist doch eher unschön. Trotzdem! Auch, wenn ich sie vor der Verwandlung nicht kannte, will ich sie nicht... töten. Sie sind ja nicht böse oder so. Sie schauderte. Ich will keine Mörderin werden.

Du hast Recht. Und ich will auch nicht zur Mörderin werden. Zumindest nicht von Unschuldigen. Schnappen wir uns einfach den Stein und verschwinden dann schleunigst, sagte Hazla, die zum ersten Mal Abscheu gegen das Töten verspürte. Keine sinnlosen Opfer und alle sind glücklich. Na gut, fast alle.

Und trotzdem suche ich die ganze Zeit nach einem anderen Weg, murmelte Lara abwesend und drehte sich immer wieder eine Haarsträhne um den Zeigefinger. Es muss doch eine Möglichkeit geben.

Ich glaube nicht, meinte Hazla unglücklich. Sie sind zwar nicht unsere Feinde und verfolgen bestimmt auch gute Ziele, aber wenn wir diesen Stein nicht zurückstehlen, wäre das nicht ganz fair den Ara und Ora gegenüber. Obwohl der Ara gerne niedergemetzelt werden kann, wie du es so schön ausgedrückt hast. Manchmal gibt es nunmal keine vollkommen richtige Entscheidung, Lara.

Nachdenklich seufzend strich Lara über die Ärmel ihrer Bluse, die sie sorgfältig geflickt und verstärkt hatte. Sie hatte erstaunt festgestellt, dass das ganz einfach ging, indem sie ein wenig Magie hinein leitete, genau wie bei Emilys Pflanzen-Matratze, damit der Stoff praktisch wieder zusammenwuchs. Außerdem schien er einen Teil der Magie für später zu speichern. Vielleicht war das ja einmal noch nützlich.

Hazla? Ich habe mich ganz schön verändert. Zögernd hob Lara ihren Blick, schluckte und sah fest in die blauen Augen ihrer Seelengefährtin. Allein schon, dass ich über sowas nachdenke, ist... Da ist so viel Macht wegen der Magie und dem Training... Ich meine, ich könnte inzwischen tatsächlich jemanden innerhalb von Sekunden... Allein schon der Gedanke, mal zu töten war für mich vor ein paar Wochen noch vollkommen absurd. Und gerade stehen wir kurz davor, jemanden anzugreifen, der vielleicht mal genauso war wie ich! Und... wer bin ich überhaupt, Hazla?

Der Drache brummte beruhigend. Du bist Lara. Immer noch du. Nur stärker und angepasster an diese Welt. Diese Fähigkeit, dich ohne viele Fragen nach den Umständen zu richten, ist hier wichtig.

Ich habe viele Fragen gestellt, meinte Lara kopfschüttelnd. Aber noch viel mehr sind in meinem Kopf und Antworten habe ich auch nur selten bekommen. Und ich bin nicht mehr die Lara, die hergekommen ist. Eindeutig.

Das ist aber nicht schlecht, sondern gut, grinste Hazla und sah sie an. Die Fähigkeit, dich trotz der Fragen und deiner Unerfahrenheit anzupassen, ist toll. Bleib lieber so flexibel, anstatt dich zu sehr auf etwas zu fixieren. Bleib immer in der Lage, notfalls deine Pläne zu ändern. Zu improvisieren. Wie ein Fluss. Wenn er dahinfließt, um ins Meer zu kommen, kann nur eine undurchdringliche Mauer ohne jede Lücke und Schwachstelle ihn aufhalten. Stelle ihm einen Felsen in den Weg, er wird ihn umfließen und seine Reise fortsetzen. Mehr noch, er wird ihn langsam rund und ihm zurecht schleifen. Lasse den Fluss auf einen Abgrund zufließen, er bildet einen Wasserfall und strömt weiter. Auch selbst wenn ein Wasserdrache ihn zurückhält, funktioniert das nicht für immer. Irgendwann geht es trotzdem weiter. Und auch eine undurchdringliche Mauer wird schließlich schwächer werden. Der Fluss ist unbeirrbar und gleichzeitig jederzeit bereit, einen anderen Weg zum Ziel einzuschlagen. Sei wie dieser Fluss, Lara. Stark und nachgiebig, wild und ruhig, unruhig und geduldig wartend, mächtig und hilfsbereit. Das Wasser ist für jeden da, ob kriegerisch, naiv, fröhlich, ernst, traurig, verloren, glücklich, hinterlistig, freundlich, gütig, finster oder träumerisch. Es ist für Kranke und Gesunde, Kleine und Große, Starke und Schwache da. Jeder schätzt es, jeder braucht es, aber es selbst ist unabhängig. Sei wie das Wasser. Einen besseren Rat kann ich dir nicht geben.

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