Lara starrte den Drachen eine Weile an. "Danke", lächelte sie schließlich schlicht und kramte Emilys Pflänzchen aus der Tasche. Nachdenklich betrachtete Lara ihre letzte violette Puraparafrucht und legte sie schließlich doch wieder zurück.
Seufzend streckte das Mädchen sich kurze Zeit später auf der Matratze aus und Hazla breitete einen Flügel über es. Vorsichtig schob Lara ihn etwas weiter nach unten und starrte in den Himmel. Am dunklen Horizont zogen Wolken vorbei, aber direkt über ihnen war die Nacht sternenklar. Unvermittelt schob sich eine Erinnerung vor ihr inneres Auge.
◇
Sie hatte im Gras zwischen ihren Eltern gelegen. An dem Tag hatte Lara festgestellt, dass einer ihren Schneidezähne wackelte. Voller Panik war sie zu ihrer Mutter gerannt und hatte hektisch auf ihn gedeutet. Lara stand noch genau vor Augen, wie ihre Mutter gelacht und ihren Vater dazu geholt hatte, der das Mädchen einmal freudig herum geschwenkt hatte, bis es selbst davon überzeugt war, dass alles in Ordnung war. Um zu feiern, dass sie erwachsen wurde, wie ihr Vater es ausdrückte, waren sie dann alle zusammen picknicken gewesen. Als sie nicht mehr konnten, hatten sie sich zurückgelehnt und den Sonnenuntergang angeschaut. Und danach hatten sie ihre eigenen Sternbilder erfunden. Ein Herz, eine Sonne, eine Ampel. Und der Wackelzahn war schon längst vergessen gewesen.
◇
Lara sah jetzt genauso in den Himmel. Das einzige, 'richtige' Sternbild, dass sie sich gemerkt hatte, war der Große Wagen. Aber hier fand sie es nicht, so angestrengt sie sich suchte. Unvermittelt überfiel sie Heimweh, so plötzlich, wie ein Stachel sich in Haut bohren, oder eine Fliege in ein Auge fliegen konnte.
Wir Drachen navigieren nach den Sternen, meinte Hazla plötzlich. Soweit ich weiß, gibt es unsere Sternbilder in deiner Welt nicht. Aber schau, dort drüben ist der Oststern. Er geht als Erster auf und zuletzt unter. Das heißt, ungefähr in dieser Richtung liegt Valsara. Und siehst du die vier Sterne rechts daneben? Zusammen bilden sie einen Teil des Drachens, den Flügel. Der Rest von diesem Sternbild ist aber nur im Herbst und Winter zu sehen und jetzt haben wir ja Sommer. Siehst du die drei Sterne schräg links darüber? Das ist das Norddreieck. Es zeigt zumindest ungefähr nach Norden. Versonnen zeichnete Hazla mit einer Kralle an Nachthimmel nach ihren Beschreibungen.
Lara lächelte und kuschelte sich weiter ein. Nochmal danke, murmelte sie schläfrig. Ablenkung ist gut.
Eine Frage habe ich aber noch, meinte Hazla neugierig. Warum war diese Frau in deine Erinnerung so... rund? Hatte sie zu viel gegessen? Sehen die Menschen bei euch immer so aus?
Was? Nein! Meine Mutter war schwanger, kicherte Lara. Drachen legen wahrscheinlich Eier, aber bei uns wachsen die Kinder im Bauch der Mutter.
Autsch. Hazla verzog das Gesicht. Das ist bestimmt richtig schmerzhaft und unpraktisch. Ein weiterer Beweis für die Überlegenheit und Schlauheit der Drachen.
Schläfrig wollte Lara noch etwas erwidern, vergaß aber wieder, was sie sagen wollte. Ein paar Momente später schlief das Mädchen ruhig, niemand betrat seine Träume, und so blieb seine Umgebung neblig und grau, gehüllt in nichtssagende Schatten.
◇
"Okay", meinte Rote Klinge nervös. Die Ara flocht aus ein paar gelben Grashalmen immer wieder ein kurzes Seil, löste es wieder auf und begann von Neuem. Lara kaute auf ihren Fingernägeln herum und strich sich immer wieder widerspenstige Haarsträhnen aus dem Gesicht, während sie die Hände der Roten dabei beobachtete. Die Ara warf ihr einen Blick zu. "Bleib immer mit Hazla in Kontakt, während wir da drin sind. Otto und ich gehen vor, aber deine Seelengefährtin ist deine größte Stärke. Hazla, pass auf, dass Lara nicht so viel zustößt und versuche, nicht ganz so auffällig zu sein, aber trotzdem in der Nähe zu bleiben. Was eigentlich heißt: Halte dich einfach so lang wie möglich versteckt, du bist nämlich auffälliger als eine Horde wütender Kobolde. Lara, du bist unsere stumme Begleiterin. Kein einziges Wort zu mir oder Otto, klar? Mit Hazla kannst du dich ruhig weiter unterhalten, aber bleib konzentriert. Otto? Oder eher Onkel?"
Steinhaut nickte nur und packte seinen Stock fester.
"Und du bist sicher, dass da wirklich Wanderer hinmarschieren und ein paar Nächte bleiben?" fragte Lara noch einmal und knibbelte an einer Kante an ihrem Fingernagel.
"Ich habe es dir doch schon erklärt", seufzte Rote Klinge. "Der größte Teil dieser Stadt ist für Flüchtlinge, die keinen Bock mehr auf ihren Anführer hatten oder fliehen mussten. Das Gebiet ist nämlich neutral. Nur der Kern ist wirklich ernsthaft befestigt und bewacht. Das Smaragdschloss. Und dort ist vermutlich auch der Feuerkristall." Die Grashalme waren verknickt und eingerissen. Rote Klinge warf sie fort. "Gut. Dann los."
Doch Lara eilte noch zu den Halmen hinüber, hielt sie an ein Fleckchen trockene Erde und ließ etwas Energie in sie hinein fließen. Augenblicklich schlug das Gras Wurzeln, färbte sich grün und trieb frisch aus. Lara lächelte, stand auf und klopfte sich etwas Staub von der Hose, bevor sie Rote Klinge und Steinhaut hinterher lief.
"Du solltest deine Energie nicht auf so etwas verschwenden", murrte die Ara, während sie stetig leicht bergab stiegen.
"Ich muss aber", gab Lara zurück. "Es ist wie mit dem Baum, den du mit deinen Messern erwischt hast, als ich es noch nicht wusste. Ich spüre es, als würde man mich verletzen, wenn auch nur leicht. Aber das ist schon unangenehm genug. Das sind auch Lebewesen, Rote Klinge."
"Es sind Pflanzen", meinte Rote Klinge emotionslos. "Nur Pflanzen. Und deine Empfindlichkeit ist eine Schwäche."
Verunsichert ließ sich Lara etwas zurückfallen, bis sie neben Hazla ging. Ich dachte immer, dass es gut ist, wenn ich etwas spüre. Irgendwie eine tiefe Verbindung mit meinem Element, oder zumindestens ein Mittel gegen die Abstumpfung der Gewalt gegenüber.
Ich glaube nicht, dass es eine Schwäche ist. Rote Klinge hat einfach manchmal eine seltsame Weltanschauung. Hazla stupste sie freundlich an. Weil sie aber immer noch bergab gingen, stolperte Lara nach vorn und musste den Sturz mit den Händen abfangen. Vorwurfsvoll streckte sie Hazla die jetzt mit Abdrücken von kleinen Steinchen verzierten Handflächen entgegen. Hazla konnte darüber nur lachen, bis Lara ebenfalls begann, zu grinsen, bis sie über den Boden rollte. Es endete damit, dass die beiden erschöpft dasaßen und immer, wenn sie sich ansahen, wieder kichern mussten. Hazla wegen Laras Gesichtsausdruck, Lara wegen Hazlas knurrähnlichem Lachen nach außen und hellem Mädchengelächter im Geist.
Tut mir leid, presste Hazla schließlich hervor. Eine Lachträne quoll aus ihren Auge und fiel in einen Felsspalt. Das ist die Anspannung. Ich hätte auch eine Runde mit die fliegen können, aber davon wäre die nette Rote hier -Sie deutete auf Rote Klinge, die stirnrunzelnd stehen geblieben war und ungeduldig wartete, während sich Steinhaut neben ihr gemütlich auf seinen Stock lehnte und das Theater belustigt verfolgte- hätte das wahrscheinlich nicht so toll unauffällig gefunden. Aber so ging es ja auch.
Alles klar, Hazla. Na dann, ab jetzt: Unauffälligkeit und Stummheit sind die neuen Befehle, meinte Lara, die sich wieder erholt und nur noch leichtes Bauchweh hatte.
Alles klar, gab Hazla zackig zurück und beide brachen wieder in Gekicher aus.
"Warum, Otto?", flüsterte Rote Klinge dem Ora ein paar Meter weiter verzweifelt zu, kurz davor, ihre Haltung zu verlieren und den Kopf einmal irgendwo gegen zu schlagen. "Warum gerade sie?"
Kurze Zwischenfrage: Wird euch das Ganze gerade zu sehr hinausgezögert, oder ist es in Ordnung so? Ich bin mir da etwas unsicher.

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Kristallfeuer
Fantasi!Dieses Buch ist weder perfekt noch überarbeitet, mehr Infos dazu im ersten Teil! (das heißt für euch: Lesen auf eigene Gefahr) Lara lebt ihr ganz normales Leben. Sie liebt Musik, Bilder und fantastische Geschichten. Bis sie diesen einen seltsamen K...