"Schneller! Beweg dich geschmeidiger und fließender", befahl Rote Klinge. "Beachte jede kleinste Bewegung von mir, ahne voraus. Nochmal."
Lara keuchte, nickte aber. Wie auch immer die Ara es auch geschafft hatte, in den vier Tagen hatte sie sie so gedrillt, dass sich das Mädchen inzwischen mit so etwas wie Geschicklichkeit bewegte. Lara staunte selbst über sich, als sie stundenlang nicht ein einziges Mal über irgendwelche fiesen Steine stolperte und es schaffte, das Tempo, das Steinhaut vorgab, zu halten, auch wenn sie am Abend japsend zusammenbrach.
"Das war ganz gut", meinte Rote Klinge schließlich und Lara blinzelte überrascht. Die Ara hatte sie gerade nicht ernsthaft gelobt, oder? "Guck nicht, wie ein verschrecktes Kaninchen", schmunzelte Rote Klinge. "Heute hast du dich selbst übertroffen. Pass nur auf deine linke Seite auf, auch wenn du Rechtshänder bist, darfst du die nicht vernachlässigen. Und jetzt, noch einen Schild zum Abschluss. Versuch dieses Mal, ihn einfarbig zu machen. Du weißt, die grauen Flecken sind am schwächsten."
Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, spannte sich ein grünlich leuchtender Schutzschild vor Lara auf, dicker und größer als bei ihrem ersten Versuch. Allerdings zogen sich auch dieses Mal silbrig-graue Adern hindurch. Lara konzentrierte sich weiter, achtete auf den feinsten Unterschied zwischen ihnen und dem grünen Teil zu finden, um den dann zu beheben, aber als sie ihn endlich fand, wirkten die Adern nicht schwächer, sondern sogar stärker und widerstandsfähiger. Das Mädchen runzelte verwirrt die Stirn. "Ich glaube, diese Adern sind gar nicht schlimm", sagte sie Rote Klinge. "Sie scheinen ziemlich fest zu sein."
Jetzt war es Rote Klinge, die die Stirn runzelte. "Meinst du?" fragte sie zweifelnd und warf je ein Messer gegen eine graue und eine grüne Stelle. Beide prallten mit einem Zischen ab und fielen auf den Felsboden. Mit genauerer Betrachtung stellte Rote Klinge allerdings fest, dass eine Spitze geschmolzen war.
Verblüfft ließ Lara den Schild fallen und eilte zu ihr hinüber. Tatsächlich hatte sich das Metall des einen Messers umgeformt und endete nicht mehr in einer Spitze, sondern in einer unförmige Kugel. Schweigend betrachteten die beiden die, für Würfe nun unbrauchbare Waffe.
"Ist das das Messer, das du gegen die graue Stelle geworfen hast?" fragte Lara schließlich.
Rote Klinge nickte nur betäubt. "Diese Klingen sind aus einem bestimmten Material, sehr hart und biegsam, sodass sie eigentlich nicht brechen oder schmelzen können." Sie hob langsam den Kopf. "Ich glaube, die grauen Stellen sind wirklich nicht so schlimm. Als würde dir jemand sehr viel mächtigeres helfen und deinen Zauber verstärken. Ich frage mich nur, warum ausgerechnet diese hellgraue Farbe. Das ist kein Element und auch nicht Stein. Pass auf bei dieser seltsamen Macht. Das Training ist beendet."
Lara sah sie wortlos an. "Okay", flüsterte sie schließlich tonlos und zog sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Augen fielen fast zu, so müde war sie plötzlich. Lara wollte nur noch schlafen. Vorsichtig nahm sie einen kleinen Ableger aus einer von den Taschen auf Hazlas Rücken und legte ihn auf den Boden. Danach lenkte sie ein wenig Magie in das Pflänzchen. Sofort wucherte es los und bedeckte schließlich als dicke Schicht aus weichen Blättern einen Kreis von vielleicht zwei Metern Durchmesser. Noch einmal dankte sie in Gedanken Emily tausendmal dafür, dass sie ihr das in die Tasche gesteckt hatte und schimpfte mit sich selbst, weil ihr das Geschenk erst gestern wieder eingefallen war.
Schlechte Laune? fragte Hazla und sah Lara zu, wie sie sich auf der weichen Matte zusammenrollte. Das Mädchen antwortete nicht. Seufzend deckte der Drache es mit einem Flügel zu. Komm schon, deine Magie ist einfach stark. Und weil es deine ist, wirst du auch niemanden von uns aus Versehen verletzen. Ganz abgesehen davon, dass du das gar nicht könntest. Mach dir nicht so viele Sorgen darum.
Lara schwieg immer noch, flüsterte dann aber trotzdem noch etwas. Ich habe nur Angst und will wissen, warum diese Adern da sind. Und natürlich noch einiges anderes, aber da müsste ich andere Leute fragen.
Das weiß ich auch nicht, gab Hazla zu. Aber jetzt schlaf erstmal. Morgen musst du konzentriert sein. Rote Klinge wird deshalb auch nicht sanfter und ich habe keine Lust, die ganze Zeit auf dich aufpassen zu müssen.
Lara lächelte, antwortete aber nicht mehr. Ihre Seelengefährtin wusste auch so, wie sie sich fühlte. Dann rollte Lara sich noch enger zusammen und schloss die Augen.
◇
Es grinste sie an. "Gute Nacht", meinte das Wesen und strich sich die dunkelgrünen Haare aus den Augen. "Hast du mich vermisst?" Langsam schlich es, begleitet von einem leisen Schaben, um sie herum.
Lara starrte zurück, unfähig, sich zu bewegen oder einen Ton auszustoßen. Noch nicht einmal ihre Augen konnte sie vor Ekel zusammenkneifen, als es ihr näher kam und sie den ekelhaft süßlichen Geruch einatmete. Fest heftete sie ihren Blick auf die feinen Narben auf den weißen Armen des Wesens und versuchte, möglichst flach zu atmen.
"Versuche es ruhig", grinste das Wesen weiterhin und starrte ihr direkt ins Gesicht. "Übrigens" -Plötzlich wechselte es in einen geschäftigen Arbeitston- "Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir hinter euch sind. Und das sehr nahe. Um die Panik anzufachen, verstehst du?" Es lachte wieder, während es langsam verblasste und Lara sich wieder bewegen konnte. Ganz zuletzt verschwanden die kalten Augen, die nicht mit dem Mund mitlachten.
Schaudernd sah Lara erst jetzt ihre Umgebung. Wieder einmal umgab sie ein leeres Weiß, dieses Mal aber nicht wie Nebel, sondern wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Lara hatte keine Ahnung, ob sie stand, saß oder auf dem Bauch liegend schwebte. Und obwohl die Stille sie an die Erfahrung im Gefängnis der Ara erinnerte, fühlte sie sich ruhig und entspannt.
Stille.
Ruhe.
Weite.
Nähe.
Weiß.
So weit sie sehen konnte.
Als sich vor ihr eine graue Wolke materialisierte, war Lara nicht überrascht. Irgendwie hatte sie geahnt, nein gewusst, dass das passieren würde. "Wer bist du?" fragte sie trotzdem, oder gerade deshalb, neugierig.
Die Wolke zog sich etwas zusammen, bis sie so groß wie Lara war. "Ihr Name ist Elára", meinte sie mit weicher, sanfter Stimme. Graue Bänder flatterten um sie herum und schwebten in alle Richtungen, blieben aber mit der Wolke verbunden. "Elára ist du und du bist Elára. Ihr neuer Körper und eine neue Aufgabe. Wie lautet sie?"
"Sie? Neuer Körper? Aufgabe? Wer bist du? Sowas wie ein eigenständiger Teil meines Bewusstseins? Ein... Computer in meinem Gehirn? Bin ich..." bestürmte Lara diese seltsame Wolke mit Fragen.
"Du bist Elára. Und sie ist du", meinte die Wolke sanft. Hätte sie ein Gesicht, würde sie lächeln. "Ich bin hier, weil ich eine Aufgabe zu erfüllen habe. Sprich, Lara, und erzähle Elára, welche."
"Ich sehe keine Elára, aber das wüsste ich auch gerne", seufzte Lara. Fasziniert beobachtete sie die neuen Bänder, die sich ebenfalls in alle Richtungen ausrollten, während die Stimme aus der Wolke ertönte. Gleichzeitig verblassten die vorher entstandenen Fäden. "Ich bin hier, aber das Einzige, was so eine Art Aufgabe ist, ist der Weg nach Arvente und die Option habe ich abgewählt. Oh, und diese Prophezeiung gibt es natürlich auch noch."
"Den Wortlaut der Prophezeiung weiß Elára schon aus deinen Erinnerungen", die Wolke schwebte ungeduldig im Kreis. "Wenn du da nicht weiter weißt, zieht sie sich wieder zurück und denkt nach, was du auch tun wirst. Ach ja, die silbernen Stellen in deinem Schild kommen vermutlich von ihr, da Elára ein Teil von dir ist. Und die Farbe steht für das Element Geist. Du wolltest Antworten, mehr kann sie dir leider nicht geben. Und jetzt viel Glück. Wach auf." Sie verschwand mit einem leisen "Puff!", bevor Lara noch etwas sagen konnte.
"Na toll. Jetzt lasse ich mich schon von höflichen Wolken rumkommandieren, die in der dritten Person von sich selbst sprechen", seufzte Lara und spürte, wie sie langsam in die reelle Welt zurückgezogen wurde.
Aber wer blickte hier noch durch, was jetzt wirklich und normal war. Vielleicht würde sie ja auch gleich mit höllischen Kopfschmerzen in irgendeinem Krankenhaus aufwachen. Wer wusste das schon?

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Kristallfeuer
Fantasy!Dieses Buch ist weder perfekt noch überarbeitet, mehr Infos dazu im ersten Teil! (das heißt für euch: Lesen auf eigene Gefahr) Lara lebt ihr ganz normales Leben. Sie liebt Musik, Bilder und fantastische Geschichten. Bis sie diesen einen seltsamen K...