Kapitel 42

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Lara war erstaunt, als sie feststellte, dass der Anführer der Dämonen in einer kleinen Hütte mitten in einem Dorf lebte.

Während Skarrad sie durch die Straßen führte, wurde er immer wieder fröhlich gegrüßt. Grünhaarige Kinder, denen er vorsichtig auswich, sprangen lachend herum und spielten miteinander. Geschäftige Männer und Frauen eilten vorbei, fanden aber immer noch die Zeit, ihm freundlich zuzunicken. Nicht wenige trugen genauso weite bunte Kleider wie Skarrad selbst.

Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, kamen streitend nebeneinander heran. Direkt vor Skarrad blieben sie stehen und sahen ihn gleichzeitig aus großen braunen Augen an. Der seufzte irgendwie belustigt. "Was ist denn schon wieder mit euch beiden?"

"Der hat mich geschubst", meinte das Mädchen und zeigte anklagend auf den Jungen. Als sie den Kopf drehte, wippten zwei kurze Zöpfe mit der Bewegung mit. Lara beachtete sie gar nicht.

"Aber nur, weil sie mir meine Pfirsake geklaut hat!" rief der Junge deutlich lauter mit verschränkten Armen.

"Du hattest viel mehr Pfirsaken als ich!"

"Und du hattest viel größere!"

"Aber du hattest mehr, weil du dich vorgedrängelt hast!"

"Ich hab-"

"Schluss jetzt", meinte Skarrad. "Zoey, man klaut nicht. Auch wenn es Pfirsaken sind, gehören sie immer noch nicht dir. Und Meron, das st trotzem kein Grund, deine Schwester zu schubsen. Man kann auch miteinander reden. Und jetzt umarmt euch."

Die beiden sahen sich wütend an, taten aber, was Skarrad sagte.

"Du bist trotzdem scheiße", murmelte Zoey ihrem Bruder ins Ohr.

"Scheiße sagt man nicht", hörte Lara noch von Meron, ehe die beiden gemeinsam kichernd davonrannten.

"Das geht eigentlich fast jeden Tag so", meinte Skarrad und setzte seinen Weg fort. Grüßend hob er die Hand, als ihm ein älterer Mann zunickte. "Aber das ist meine, nicht deine Sache. Wir sind da. Komm doch herein." Mit großer Geste stieß er die Tür zu einem weiteren Haus auf, das sich von außen nicht von den anderen unterschied.

Lara reckte neugierig den Kopf und trat ins Halbdunkel. Sie blinzelte, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten und sah dann gespannt nach vorne. Sie starrte direkt auf noch eine Tür.

"Mach sie schon auf", sagte der König der Dämonen hinter ihr und zwängte sich ebenfalls in den Raum zwischen den Türen. "Dahinter gibt es noch eine dritte. Reine Vorsichtsmaßnahme." Er zog die erste Tür zu und es wurde, bis auf einen schmalen Lichtstrahl, der durch einen Spalt fiel, stockdunkel.

Schnell öffnete Lara die anderen Türen und ging hindurch. Die Vorstellung, mit jemand fremden in einem sehr kleinen Raum im Dunkeln eigesperrt zu sein, gefiel ihr eindeutig nicht. Nach der dritten Tür nahm sie einen sanften, flackernden Schimmer wahr.

Der Schimmer war ihr vertraut.

Eine Erinnerung blitzte vor ihren Augen auf. Ihre Finger, wie sie einen leuchtenden Kristall hielten, kurz bevor ihr Körper vom Licht verschluckt wurde.

Sie drehte sich zu Skarrad um. "Du hast gesagt, der Feuerkristall wäre ein Spiegel und ein Tor. Könnte man vielleicht... damit in die andere Welt sozusagen wechseln?"

"Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich darauf kommst", grinste Skarrad. "Jedes der drei Tore hat ein Gegenstück in der anderen Welt. Deshalb können magisch begabte Leute zwischen ihnen reisen. Der einzige Grund, warum das noch nicht überall bekannt ist, ist, dass man durch jedes Tor nur zweimal gehen kann. Einmal hin, einmal zurück."

"Das heißt... ich könnte durch den Feuerkristall wieder nach Hause kommen?" fragte Lara aufgeregt. Sie betrachtete den Feuerkristall, der vor ihr in einer hölzernen Schale weiß über gelb bis rot schimmerte.

"Vermutlich", dämpfte Skarrad ihre Begeisterung. "Niemand weiß so genau, wie es funktioniert. Man kann nur schlecht forschen, wenn man plötzlich in eine andere Welt katapultiert wird und erst wieder das Gegenstück zu dem Tor suchen muss, um dann eventuell wieder zurück zu kommen."

"Aha", meinte Lara und trat langsam näher heran. Das Farbenspiel auf der glatten Oberfläche des Kristalls zog sie in den Bann. Erst bei näherem Hinsehen konnte man die feinen Kratzer und Risse, die sich wie ein Muster um ihn herum zogen, erkennen. "Was sind da für Linien?"

Skarrad beugte sich ebenfalls über den Kristall. "Was für Linien?"

"Na, die Kratzer da." Lara deutete auf die Oberfläche. Jetzt, wo ihr die Furchen aufgefallen waren, konnte sie sie gar nicht mehr übersehen.

"Ich sehe nichts", murmelte Skarrad stirnrunzelnd und streckte eine Hand aus, um nach den vermeintlichen Unebenheiten zu tasten. "Da sind keine Kratzer", meinte er fest.

"Doch", beharrte Lara. "Obwohl... jetzt sehen sie eher wie Bilder aus. Da ist ein Haus... das sind Bäume und da ist sowas wie eine Katze." Sie deutete der Reihe nach auf die Bilder.

"Die Oberfläche ist vollkommen glatt", sagte Skarrad verärgert und drehte sich zu ihr um.

"Ist sie nicht. Ich weiß doch, was ich sehe", gab Lara hitzig zurück. Jetzt streckte sie auch die Hand aus und fuhr die Linien nach. "Okay, spüren kann man sie nicht, aber man sieht sie doch klar und deutlich."

"Wie oft denn noch, da i-" Skarrad brach den Satz fassungslos ab. Der Kristall flammte blitzartig auf. Das Feuer griff sofort nach Laras Kleidern und setzte sie in Brand.

Lara riss ihre Hand von dem Kristall weg. Seltsamerweise war ihr Kopf vollkommen klar. Sie wusste, es hatte keinen Sinn, sich zu wehren. "Och nö", sagte sie. "Eigentlich hatte ich hier noch echt viel vor."

Skarrad starrte sie an. "So sieht es also aus, wenn jemand die Welt wechselt?" Er flüsterte fast schon ehrfürchtig, und war über dem Brausen des Feuers kaum zu verstehen.

"Ja?" meinte Lara. "Hör zu" Sie sah den Kristall an, der inzwischen weiß glühte. "Ich versuche, so schnell wie möglich wiederzukommen. Trotzdem-" weiß ich nicht, wann das sein wird, brachte sie ihren Satz zu Ende, während das Licht sie verschlang, nicht wissend, ob Skarrad die letzten Worte gehört hatte.

Lara öffnete langsam die Augen. Sie lag in ihrem Bett und starrte verschwitzt und müde an die Decke ihres Zimmers, dass vom Tageslicht erhellt war. Sie trug immer noch das grüne Kleid von Sally. Ihre Haare waren verfitzt und dreckig, genau wie ihre Hände. Damit war wohl klar, dass das Ganze kein Traum gewesen war. Ich hätte noch sagen sollen, dass er mit Sally reden soll, fiel Lara ein und sie stöhnte genervt. Etwas fiel polternd auf den Boden. Hazla, immer noch versteinert.  Oder ihn Hazla zurückverwandeln lassen sollen.

Vorsichtig hob sie die kleine Figur auf und stellte sie behutsam in ein Regal. Auf dem Rückweg zu ihrem Bett trat Lara auf einen Stein. "Au!" zischte sie, bemüht leise und bückte sich.

Das Gegenstück des Feuerkristalls lag unschuldig vor ihr auf dem Boden und schimmerte sanft. Lara legte ihn nachdenklich neben Hazla. "Mit dir hat also alles angefangen", wisperte sie und strich über die warme Oberfläche. "Ich werde zurückgehen, diese Prophezeiung erfüllen und mich entscheiden. Ich glaube nicht, dass Sally die Auserwählte ist. Bin ich es? Ich weiß es nicht. Aber ich will es wissen."

Sie gähnte und schlurfte wieder ins Bett. Für einen Moment blitzten in dem Kristall beobachtende Augen auf.

KristallfeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt