"Junger Mann, würden Sie sich bitte nicht so gegen mich lehnen?"
Die hohe, krächzende Stimme weckte mich aus meinem Halbschlaf und ich entschuldigte mich schnell bei der älteren Dame, der ich ein wenig zu sehr auf die Pelle gerückt war. Sie setzte sich wieder in eine geradere Position, nachdem ich mich gegen das Fenster gelehnt hatte und stützte sich auf ihren Gehstock. Mitterweile tuckerte ich mit dem dritten Bus durch die Gegend. Die zuvor städtische Gegend hatte sich in Felder und Landstraßen verwandelt, die Sonne stand bereits recht hoch am Himmel und blendete mich, während ich den klaren Frühlingstag betrachtete und die Müdigkeit der letzten Tage meldete sich lautstark in meinem Körper, sorgte dafür, dass mir bereits wieder die Lider zufielen und meine Schläfe gegen die Busscheibe rollte.
Als den Bus ein heftiger Ruck durchfuhr, weil er über eine Bodenunebenheit fuhr, wurde ich wieder wachgerüttelt und strich mir verschlafen durch das Gesicht.
Die kleine Frau neben mir, gekleidet in einen rosanen Frühlingsmantel, stupste mich gutmütig an und ich richtete mich an sie.
"Haben Sie eine harte Zeit hinter sich? Sie sehen wirklich erschöpft aus. Dabei sind Sie doch noch so jung. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?"
"25, Ma'am. Und ich habe nicht unbedingt eine harte Zeit hinter mir. Sagen wir, ich habe die letzten Wochen, besonders die letzten Tage darauf verschwendet, etwas wiederzufinden, was sich mit einfachem Suchen nicht zurück erlangen lässt", entgegnete ich in freundlichem Plauderton und die alte Dame seufzte.
"Die Jungen Leute und ihre verbildlichte Sprache. Um Ihnen einen Tipp zu geben, machen Sie sich doch nicht alles so kompliziert, huh? Vielleicht hilft etwas Minimalismus und Meditieren, um das wiederzufinden, was Sie brauchen. Mir hilft Meditieren auch immer, wenn mir kein Motiv einfällt, das ich malen kann."Der Bus hielt und die Frau stieg aus, ohne sich von mir zu verabschieden, doch das störte mich nicht weiter, denn vielleicht hatte sie mir gerade einen entscheidenen Hinweis gegeben, wie ich meine verlorene Kreativität wiedererlangen konnte.
Für den Rest der Busfahrt plante ich, was ich alles für mein neues Haus und für eine tiefenentspannende Meditation brauchte und dachte bereits daran, eines der Zimmer zu einem Meditationsraum zu machen. Wieso nicht? Ich war auf dem Land, hier war es friedlich, hier roch es nach Frühling, der Sonne, im Wind wehendem Gras und Feldern; die perfekte Grundlage also, um mit dem Meditieren zu beginnen.
Das ständige Vibrieren meines Handys, das vor kurzem begonnen hatte, blendete ich vollkommen aus, während ich vor mich hin schwelgte. Ich wusste, dass es meine Freunde waren, die auf die Nachricht antworteten, die ich ihnen als Erklärung für meinen plötzlichen Ausbruch geschickt hatte. Eine Erklärung dafür, dass ich Jungkook, Jimin und Taehyung für die nächsten Wochen nicht mit neuen Songs versorgen konnte und dass die eigentlich geplante Zusammenarbeit mit Yoongi und Hoseok, die ich bereits seit einigen Tagen aufgeschoben hatte, erst einmal ins Wasser fiel. Das sollte eigentlich das größte Übel sein, denn die Jungs waren auf meine Zusammenarbeit angewiesen. Jin, dem ich manchmal unter die Arme griff, wenn er sich auf eine neue Rolle vorbereitete, war eher weniger auf mich angewisen. Dennoch wusste ich, dass er wohl das größte Drama daraus machen würde. Bei dem Gedanken daran konnte ich ein Lächeln wirklich nicht unterdrücken.Als der Bus an der letzten Haktestelle hielt, stieg ich aus. Ich war der letzte Passagier gewesen und stand nun einsam und verlassen an einem blauen Bushaltestellenschild mitten im Nirgendwo.
Nun hatte ich noch zehn Minuten Fußmarsch vor mir, soweit ich wusste und sah schon, wo mich das ganze hinführte. Einen steilen Hügel hinauf.
Ich erklomm ihn mit meinem vollgepackten Hartschalenkoffer, der auf dem unebenen Untergrund hin und her ruckelte. Oben angekommen, sah ich allerdings bereits das angestrebte Dorf und von da an war der zuvor etwas beschwerliche Weg kein Problem mehr. Zumal es nun bergab ging und mein Koffer mir beinahe federleicht erschien.Der Eingang des Dorfes war mit einem hölzernen Torbogen versehen auf den der Name der Stadt gepinselt worden war. Die Pfähle, die das ganze aufrecht erhielten, waren mit rosa, orangen und gelben Blumenketten geschmückt und auch im Dorf selbst erkannte ich sämtliche solcher Blumengirlanden, die an den Häusern und überall sonst befestigt worden waren.
Auf einem Stoffschild, das gerade von zwei Männern zwischen zwei sich gegenüberliegenden Häusern gespannt wurde, war das Wort 'Frühlingsfest' zu lesen und auf dem Marktplatz, den ich ein paar Meter später erreichte, wurde gerade eine kleine Bühne aufgebaut.
Ich war überrascht. Ich wusste natürlich, dass das Landleben nicht nur von Ruhe bestimmt war, jeder hier hatte ebenso einen Job, wie ich. Aber mit den Vorbereitungen für ein Frühlingsfest hatte ich nicht gerechnet.
Kurz zuckte ich die Schultern, es würde sich ja höchstens um ein paar Tage handeln und es war sicherlich eine willkommene Abwechlung zu den Meetings und Partys, bei denen ich vor allem aus geschäftlichen Gründen anwesend sein musste.
Ich beobachtete ein paar Menschen beim Aufhängen von Lampions und weiteren Blumengirlanden oder beim Umhertragen von weiteren Bühnenteilen. Aber genauso wurde auch ich von den Dorfbewohnern angesehen, während ich mit meinem Koffer über den unebenmäßigen Steinboden wanderte und das Ganze ein so lautes Geräusch mit sich zog, dass sogar die Rufe der Menschen und der sonstige Lärm beim Vorbereiten des Festes, fast dabei untergingen. Das musste aber mein eigenes Empfinden sein, denn Kofferräder auf Steinboden waren niemals lauter als das Hämmern eines Hammers oder das Bohren einer Bohrmaschine.Um zu meinem Haus zu gelangen, musste ich bis zum östlichen Ende des Dorfes und entdeckte zwei Häuser, die ein wenig abseits von den anderen standen. Hinter dem letzten Haus lag ein kleines Waldgebiet, das allerdings nicht dicht genug wirkte, um wirklich als Wald bezeichnet werden zu können. Das erste Haus müsste meins sein. Ein eher kleines, schlichtes und traditionelles Haus aus Holz, das stabil wirkte, aber den ländlichen Flair der Umgebung mit jedem dunkelbraunen Balken und jedem sorgfältig angebrachtem Brett wiederspiegelte. Als ich näher trat kam plötzlich ein Mann aus dem Nirgendwo und begrüßte mich überschwänglich, während ich noch versuchte den Schock seines abrupten Auftauchens zu verarbeiten. Ich konnte nicht einmal sagen, von wo er hergekommen war.
"Sie müssen Kim Namjoon sein. Willkommen in unserem bescheidenen Dörfchen, mein Freund", sagte er und schüttelte mir kräftig die Hand, während er mit der anderen bereits auf das Haus zeigte, dass ich angepeilt hatte.
"Mirae hat mir bereits alles erklärt, soll ich Sie trotzdem einmal durch das Haus führen?", fragte er und grinste mich an. Seine Augen waren dabei zugekniffen, die faltige, Sonnengegerbte Haut spannte sich ein wenig und der Mann wirkte trotz seiner Freundlichkeit ein wenig griesgrämig.
"Ja, klar", sagte ich, noch immer etwas überrumpelt und folgte dem Mann in das traditionelle Holzhaus.
Wie versprochen gab es eine kleine Küche, ein unscheinbares, aber großes Bett und einen Kleiderschrank im Schlafzimmer und eine einsame, braune Ledercouch im Wohnzimmer, der man bereits ansah, wie durchgesessen sie war.
Für den Moment aber, sollte sie reichen."Es ist schön, klein. Ich habe Ihnen schon einen Scheck fertig gemacht. Ich bezahle die Summe in einem", erklärte ich dem ruhig abwartenden Herrn und suchte in meiner Jackeninnentasche nach meinem Scheckbuch.
Als ich es gefunden hatte, klappte ich es auf und riss den vorbereiteten Zettel mit dem vollen Betrag für das Haus aus und übergab ihn dem Mann.
"Vielen Dank. Sollten Sie noch etwas brauchen, finden Sie mich heute auf dem Marktplatz. Immerhin muss das Frühlingsfest vorbereitet werden", sagte er, wedelte mit dem Scheck und lief bereits schnurrstracks Richtung Ausgang.
"Und diese Mirae, die sie gerade erwähnt haben? Die Frau, mit der ich telefoniert habe, kann ich auch an sie fragen stellen?", fragte ich schnell, als ich mich an das Telefonat mit der Frau erinnerte. Sie schien kompetent zu sein und weitaus gewillter mir zu Helfen, als der Mann, der es nun ziemlich eilig zu haben schien, nachdem ich ihm den Scheck gegeben hatte.
"Mirae? Sie ist tagsüber nicht im Dorf. Sie besucht meistens in der nächsten Kleinstadt ihren Großvater in seinem Altersheim. Aber sie wohnt nebenan", erklärte er und zeigte nach links, zu dem Haus, das ganz am Ende des Dorfes lag.
"Wenn Sie Glück haben, erwischen Sie sie heute Abend. Ich muss jetzt los. Viel Spaß mit dem Haus", flötete der Alte mit schwenkendem Scheck und ließ mich alleine zurück in dem kleinen, spärlich eingerichteten Holzhaus.Aber mir fiel auf, es war ruhig. Mich umgab eine Stille, die nicht ganz still war. Nicht die Stille, wie ich sie in meinem Studio gehabt hatte. Eine natürliche Stille. Durchtränkt von leisem Vogelgezwitscher, von weitem herangewehten Stimmen, die leise und angenehm verschwammen, von seichtem Rauschen des Windes, der das Haus umgarnte und die Blätter der nahestehenden Bäume zum Rascheln brachte.
Minimalismus und Meditation, hatte die alte Dame gesagt. Vielleicht sollte ich direkt mit dem Meditieren beginnen, um zurück zu meiner Kreativität zu finden.
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the most painful things || kim namjoon
Fanfiction♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...