Ein paar Tage später kam es dazu, dass ich zurück in die Hauptstadt musste, um zu einem wichtigen Meeting zu erscheinen. Und meine Situation spielte nicht gerade eine unwichtige Rolle darin. Es ging um nicht eingehaltene Termine und die Frage, wie mit künftigen Songveröffentlichungen umgegangen werden sollte.
"Wir haben zwei Möglichkeiten", sagte der Zuständige in dieser Angelegenheit und sah vor allem mich an.
"Entweder, du lieferst neue Songs, Namjoon. Oder wir setzen vorübergehend jemand anderen für deine Schützlinge ein. Wir können nichts weiter aufschieben und ein paar Leute unseres Produzententeams haben gute Ideen für die Künstler unter deiner Zuständigkeit."
"Ich brauche nur noch etwas Zeit. Ich-"
"Diese Zeit haben wir aber nicht!"
Mein Vorgesetzter schlug die Handflächen auf den Tisch und sah mich mit wütendem Gesichtsausdruck an, ehe er schnaubte und sich durch die Haare fuhr.
"Namjoon, ich kann deine Situation verstehen. Jeder von uns kommt früher oder später einmal in so eine Lage. Aber ich brauche frische, neue Songs für unsere Künstler und jemanden, der sie mit ihnen aufnimmt. Wenn du dazu momentan nicht in der Lage bist, werde ich jemanden anderen deinen Job machen lassen müssen, bis du wieder deiner Arbeit nachgehen kannst, wie vorher."
Er beugte sich zu mir runter und legte mir eine Hand auf die Schulter.
"Du verlierst ja nicht gleich deine Stelle. So einen klugen und kreativen Kopf wie dich findet man nicht alle Tage. Ich kann dir natürlich nicht für immer diese Stelle freihalten, aber für eine gewisse Zeit kann ich es tun."
"Und wie lange habe ich Zeit, bis ich den nächsten Song liefern muss?"♫♪
Als ich wieder im Dorf ankam, war später Nachmittag und der Himmel war verdächtig grau. Nach dem Meeting war ich noch schnell in meine Stadtwohnung gefahren, um ein paar Dinge mitzunehmen, da ich vorerst nicht vor hatte, wieder von hier fortzuziehen. Mir gefiel es hier besser, als in der Stadt. Den Trubel und den Stress der vielbenutzten Straßen hatte ich nicht vermisst. Hier in diesem Dorf war alles viel entschleunigender, auch wenn ich nicht wusste, wie ich die vier wöchige Frist einhalten sollte, bis ich mit einer neuen Song Idee anrücken musste.
Es war vermutlich sogar noch eine vergleichbar gütige Frist, wenn man bedachte, dass ich bereits schon ein paar Wochen mit meiner Arbeit hinterherhing und viele Leute darauf zählten.An meinem Haus angekommen, stellte ich die Reisetasche und den Rucksack davor ab, um meinen Schlüssel zu suchen. In einer der beiden Taschen musste ich ihn gepackt haben.
Bei Miraes Haus wurde die Tür geöffnet und hastig wieder geschlossen. Als ich hinübersah, entdeckte ich meine Nachbarin ebenfalls mit einer Reisetasche und mit vom Kopf abstehenden Haaren. Hatte sie vor, irgendwohin zu fahren?
Schnell polterte ich von dem Aufstieg zu meiner Haustür, was von Mirae nicht unbemerkt blieb. Sie warf mir einen gehetzten Blick zu und hielt schließlich inne, als ich auf sie zukam. Vor ihr blieb ich stehen.
"Wohin gehst du?", fragte ich und konnte die Überraschung in meiner Stimme nicht verbergen.
"Ich muss für eine Weile weg."
"Ist es wegen unserem Gespräch von letztens? Wenn du dich unwohl fühlst in meiner Nähe, seitdem wir ... Wenn es so ist, dann werde ich gehen."
Mirae zog die Augenbrauen zusammen und verstärkte den Griff um den Henkel ihrer beigen Reisetasche.
"Nein, das ist es nicht. Ich muss weg, weil das Altenheim mich darüber informiert hat, dass es meinem Großvater plötzlich viel schlechter geht. Ich werde mich ein bisschen um ihn kümmern. Solange er mich noch erkennt, ist das beste, was ich tun kann, mit ihm zu reden und für ihn da zu sein. Es hat nichts mit dir zu tun."
Sie sprach zu mir, als sollte mich das beruhigen, aber jetzt fühlte ich mich einfach nur schlecht, da ich bloß auf mich geschlossen hatte. Außerdem schienen meine Probleme so klein im Vergleich zu Miraes und ich hatte einfach nicht die passenden Worte, um ihr die Kraft zu geben, das durchzustehen, was sie momentan mit ihrem Großvater durchmachte. Deswegen zog ich sie einfach an mich, ganz gleich, welche Barrieren ich damit überschritt und versuchte ihr dadurch meine Unterstützung mitzuteilen."Du musst mich nicht so umarmen, als hätte ich ihn verloren. Es ist bloß wie einer meiner Routinebesuche, nur dass ich etwas länger, als ein paar Stunden und in erreichbarer Nähe bleibe. Kümmere dich um deinen seelischen Zustand und vergiss mich einfach für die nächsten Tage, Namjoon."
Mirae tätschelte meinen Rücken, bevor sie von mir abließ und sich von mir verabschiedete. Ich folgte ihr mit meinem Blick, bis sie verschwunden war und ging dann zurück zu meinem Haus. Routinebesuch. Sie hatte fertig ausgesehen und da sollte ich mir Sorgen um mich selbst machen?
Als ich das Haus betrat, trat ich beinahe auf einen Brief, der auf dem Boden lag. Ich hob ihn auf. Die Lasche des Briefes war einfach nur in die Öffnung geschoben und es war weder meine Adresse, noch die des Absenders angegeben. Mit dem nun halb geöffneten Brief setzte ich mich auf die Ledercouch und zog das linierte Papier aus dem Umschlag. Die Schrift auf den Linien war säuberlich und sehr klein und in der unteren rechten Ecke prangte eine mandalaartige Blume."Hey Nachbar,
ich wollte dir mit diesem Brief nur mitteilen, dass ich für ein paar Tage weg muss und du dich nicht nach mir Umschauen musst. Gleichzeitig wollte ich dich bitten, ob du dich ein wenig um meine Erdbeeren kümmern könntest. Du darfst dir natürlich auch gerne so viele mit nach Hause nehmen, wie du willst (ich kann sie ohnehin nicht alle alleine essen).
Meine Gießkanne steht draußen und du kannst sie einfach in der Regenwassertonne auffüllen, die in meinem Garten steht. Wenn du die Zeit hast, wäre es nett, wenn du ein paar mal am Tag nach ihnen sehen könntest. Sollte es nicht allzu heiß werden, reicht es, wenn du die Erde einmal nach dem Aufstehen und einmal am Nachmittag begießt. Aber nicht zu viel, die Erde sollte das Wasser noch einsaugen können.
Solltest du noch Fragen haben: Miss Geum, die Besitzerin des Lebensmittelladens, kennt sich mit so ziemlich allen Pflanzen gut aus.Ich danke dir, für deine Hilfe, Namjoon. Und ich hoffe, du kannst in den nächsten Tagen endlich zu der Erholung finden, die du dir so sehr wünschst."
Ich wusste nicht, ob ich diesen Brief als heitere oder traurig gestimmte Nachricht auffassen sollte. Wenn ich mir überlegte, wie Mirae vor diesem Brief saß und an den Zustand ihres Großvaters dachte, fühlten sich die vermeintlich fröhlichen Sätze an wie schwere Steine.
Es gab allerdings auch noch ein Ps."Ps.: Ich habe etwas von dem besten Erdbeerkuchen der Welt gemacht. Als Entschuldigung für die ganze Verwirrung, die ich verursacht habe und weil ich finde, dass ein verbales oder geschriebenes 'Es tut mir leid' einfach nicht genügt.
Der Kuchen steht vor der Tür zu deinem Garten."Mit dem Brief in der Hand, ging ich zur Schiebetür am hinteren Teil des Hauses und schob sie auf. Davor stand wirklich eine durchsichtige runde Dose mit dem Kuchen darin, der so aussah, als hätte Mirae ihn extra so gebacken, dass er genau in sie hineinpasste.
Ich strich über das linierte Papier in meiner Hand. Wie konnte sie sich so schlecht fühlen, dass sie mir sogar einen Kuchen backte? Wie konnte sie ihre eigene Sorge so abtun und mich dazu bewegen wollen, dass ich mich um meine eigenen kümmerte?
Und wieso wollte ich mehr als alles andere, dass diese Frau ihre Sorgen vergaß? Egal, was es kostete. Ich wollte sie Lächeln sehen. Ich wollte sie Lachen hören. Ich wollte, dass es ihr gutging. Mir war plötzlich ganz egal, was heute passiert war, wie es mir ging. Nur ihr traurig gestimmter Gesichtsausdruck und die versteckten Dinge, die sie mit sich herumtrug und die ich nicht ergründen konnte, schwemmten mein Innerstes. Überschwemmten es.
Und wenn ich nicht bald herausfinden würde, wie ich ihr näher sein und für sie da sein konnte, würde es mich ertränken.
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the most painful things || kim namjoon
Fanfiction♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...