Es musste bereits später Nachmittag sein und ich hatte noch immer nicht den richtigen Weg zurück gefunden. Die Felder, Wege, Waldränder, alles sah gleich aus und wiederholte sich endlos. Einmal war ich an einem schrägen Bushaltestellenschild vorbeigekommen und hatte geglaubt, dass es die Bushaltestelle gewesen war, an der ich angekommen war, als ich mein neues Haus in diesem scheinbar ruhigen Dorf beziehen wollte. Als ich der Straße jedoch weiter folgte, kam allerdings nicht das Dorf zum Vorschein, in das ich zurück wollte, sondern weitere Felder und einsame Bauernhöfe.
Das einzige Lebenszeichen seit einer guten Stunde, war ein kleines, rotes Auto, dass mir in diesem Moment entgegen kam und das in rasender Geschwindigkeit. Vorsichtshalber hielt ich mich weiter rechts und beobachtete, wie das Auto näher kam. Die Person darin entpuppte sich als eine junge Frau, die mir nur allzu bekannt war. Mit rot geschminkten Lippen, die sie konzentriert zusammenpresste fuhr sie an mir vorbei. Vermutlich hatte Cho Yejin mich nicht einmal richtig wahrgenommen.
Im nächsten Moment hörte ich allerdings ein lautes Reifenquietschen und ich drehte mich überrascht um. Das kleine rote Auto fuhr rückwärts auf mich zu, hielt ein paar Meter von mir entfernt und dann öffnete sich die Fahrertür und Cho Yejin streckte ein Bein, dessen Fuß in einer silbernen Sandale steckte, und ihren Kopf aus der Tür.
"Hast du dich verirrt? Du siehst so verloren aus", rief sie mir mit hoher Stimme zu und ließ vor Überraschung den Mund etwas offen stehen.
Ich fuhr mir mit zusammengebissenen Zähnen durch die Haare und Cho Yejins Blick wurde sanft und auf seltsame Weise verständnisvoll.
"Steig ein, ich fahre dich nach Hause", sagte sie nun in normalem Ton und wäre es auf dieser Straße zwischen einem Feld und einem angrenzenden Wald nicht so ruhig gewesen, hätte ich sie nicht verstehen können. Ihre Stimme hatte einen so weichen Klang angenommen, dass er in Seoul wahrscheinlich untergegangen wäre.
Das Schreckliche daran war jedoch, dass dieser Klang mich an Mirae erinnerte und wie magisch anzog.Ich lief zu dem Auto, öffnete die Beifahrertür und quetschte mich in das kleine Auto.
"Du kannst den Sitz weiter nach hinten stellen, dann musst du deine Beine nicht so anziehen."
Ich suchte nach dem Hebel, um den Sitz zu verstellen und schnallte mich an. Dann raste Cho Yejin mit einer Geschwindigkeit los, die mich in den Sitz drückte und mir den Atem raubte. Mit jeder Kurve, die sie nahm, schien sie die Geschwindigkeit zu erhöhen und irgendwann war es so weit, dass ich mich an den Haltegriff klammerte und nur noch daran denken konnte, ob ich diese Fahrt wohl überleben würde.
An einer geeigneten Stelle wendete Cho Yejin das Auto und das ganze ging von vorne los.
"Fährst du immer so schnell? Was, wenn uns jemand entgegenkommt und du nicht früh genug ausweichen kannst?"
"Die meisten fahren so langsam, dass man genug Zeit hat, die Geschwindigkeit zu drosseln, keine Sorge. Ich mache das hier schon ein paar Jahre", erzählte sie und wirkte dabei überschwänglich heiter.
Das konnte nicht ihr ernst sein. Schon wieder drückte sie kräftig aufs Gaspedal und ich fragte mich, ob wir überhaupt noch in einer zugelassenen Geschwindigkeit über die unebene Straße bretterten.
Cho Yejin schien, im Gegensatz zu mir, die schnelle Fahrt zu genießen, denn sie atmete tief ein und lächelte, als sie mit Vollgas um die nächste Kurve raste. Als uns ein Traktor hinter der Kurve entgegenkam, bekam ich es kurz mit der Angst zutun, doch Cho Yejin hatte ihr kleines Auto so unter Kontrolle, dass wir unbeschadet an dem Traktor vorbeikamen. Sie schaffte es sogar noch, den Fahrer mit einem freundlichen Winken zu Grüßen, bevor sie wieder Gas gab und wir zwei Minuten später endlich wieder in dem Dorf ankamen, in dem mein neu erworbenes Haus stand.
In langsamerem Tempo manövrierte die Musiklehrerin uns dann über die von Häusern umrahmten Wege, bis vor meine Haustür. Als ich ausstieg, musste ich mich erst einmal am Dach des Autos abstützen und durchatmen. Mein Herz raste vor Aufregung."Tut mir leid, für meine Fahrweise. Geht es dir gut?"
Cho Yejin beugte sich ein wenig über die Mittelkonsole und linste zu mir hinaus. Ich beugte mich ebenfalls wieder ein wenig ins Auto hinein, bekam aber sogleich einen Flashback von der heftigen Fahrt und schüttelte noch leicht überfordert den Kopf.
Auf der anderen Seite stieg Cho Yejin aus und kam zu mir rum.
"Dir ist nicht übel, oder? Oh Gott, vielleicht hätte ich es nicht so übertreiben sollen. Normalerweise nehme ich nie jemanden mit. Das war gerade Prämiere."
"Wirklich?", fragte ich verwundert. In den ganzen Jahren, die sie dieses Auto bereits hatte - und es war mindestens, seitdem sie in diesem Dorf als Musiklehrerin tätig war -, hatte sie niemanden auch nur für eine kleine Gefälligkeitsfahrt mitgenommen?
"Ja", sagte sie schulterzuckend. "Es hat mich noch nie jemand nach einer Mitfahrgelegenheit gefragt. Und scheinbar war das auch gut so."
Ich nickte, während ich mich weiter auf dem Autodach abstützte. Mein Magen fühlte sich an, als hätte er sich einmal umgedreht.
"Soll ich dir rein helfen?"
"Nein, geht schon", sagte ich und richtete mich auf. "So schlimm war es gar nicht. Danke für die Fahrt."
Ich verabschiedete mich von Cho Yejin, die mir besorgt dabei zusah, wie ich ins Haus lief. Kurz nachdem ich die Tür geschlossen hatte, hörte ich, wie die Autotür zuknallte und dann der Motor angelassen wurde. Noch immer spürte ich die Auswirkungen der rasanten Fahrt, aber dafür war Miraes Abfuhr so ziemlich in den Hintergrund gerückt.Mit unwohlem Gefühl im Magen ließ ich mich auf die durchgesessene Couch fallen und starrte an die hölzerne Decke über mir. Jeder Atemzug war schwer und wenn ich die Augen schloss, spürte ich, wie Cho Yejin um die Ecke fuhr und ich befürchtete, dass das kleine Auto, in dem wir gesessen hatten, im nächsten Moment aus der Kurve kippte.
Wer hätte gedacht, dass Cho Yejin, die Musiklehrerin, die aussah wie das zarteste Wesen, mit blasser Haut, roten Lippen und der mädchenhaft-eleganten Kleidung, so eine draufgängerische Fahrerin war? Beinahe todesmutig, als wäre ihr ihr Leben komplett egal.
Ich lachte über diese Widerspruch und schlug mir im nächsten Moment die Hände vor das Gesicht, da in mir noch immer alles hin und her geschleudert wurde.
"Was ist bloß in diesem Dorf los?", fragte ich mich, nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal laut und deutlich.Nachdem sich meine Übelkeit gelegt hatte und die Gedanken um Mirae und unseren Kuss zurückkehrten, entschied ich etwas zu tun, zu dem ich mich noch lange nicht bereit fühlte, doch irgendwann musste ich wieder damit beginnen.
Ich holte meinen Laptop ins Wohnzimmer, einen Notizblock und ein paar Stifte und setzte mich zurück an den Couchtisch. Vielleicht ergab sich etwas, wenn ich mit ein paar Beats herumspielte. Vielleicht würde aber auch ein wenig Brainstorming zu irgendetwas führen.
Wenn ich Glück hatte, würden meine wirren Gefühle ein paar Zeilen zustande bringen.
Vielleicht, wenn ich es nur gut genug versuchte.
♫♪
[ich habe es gestern vergessen hochzuladen, woups. und es ist nicht korrekturgelesen (wie eigentlich immer. xD)
wir lesen uns nächsten mittwoch. <3]
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the most painful things || kim namjoon
Fanfikce♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...