♫ 21 ♫

60 10 2
                                    

"Mach den Rücken gerade. Lass die Schultern sinken. Genau so!"
Mirae hatte zwei Yogamatten aus ihrem Haus geholt und vor mir ausgebreitet. Außerdem hatte sie ihren Rock gegen eine lila Yogahose getauscht und die kurzen Haare zu einem Zopf zusammengefasst. Danach hatte sie mich aufgefordert, mich auf eine der rosa Matten zu setzen und zu ihr zu blicken. Nun saßen wir voreinander im Schneidersitz auf dem harten Holzboden und Mirae leitete mich an, während ich die Augen geschlossen halten sollte.
"Und jetzt, lausche einfach auf das, was um dich herum passiert", sagte sie sanft und ich hörte, wie sie einen tiefen Atemzug nahm.
 "Manchmal sind es die einfachsten Dinge, die uns Ruhe schenken und abschalten lassen."
Ich lauschte auf den mittlerweile altbekannten Gesang der Vögel in diesem Dorf, auf das leise Rauschen des Windes, das die Blätter der Bäume hinter unseren Häusern rascheln ließ und es war besser, als die nervenaufreibende Meditations-CD, doch es war nicht genug.
Ich öffnete langsam ein Auge und sah, wie Mirae vor mir tiefenentspannt zu sein schien. Sie hatte die Unterarme auf den Knien abgelegt, ihre Haltung war gerade, aber ihr Oberkörper schien dennoch komplett entspannt zu sein. Sie sah aus, als würde sie das jeden Tag machen. Dabei war sie doch jeden Tag von früh morgens bis mitten in die Nacht hinein total beschäftigt.
Nur ausnahmsweise heute nicht.

Als hätte sie bemerkt, dass ich sie beobachtete, öffnete sie nun auch die Augen und betrachtete mich kurz, ehe sie die Arme von ihren Knien gleiten ließ und sich erhob.
"Du bist ganz und gar nicht entspannt. Es fängt schon bei deiner Haltung an, du hast die Schultern schon wieder angespannt."
Ihr Ton klang nicht anklagend, sondern überlegend. Mit einem Finger auf den Lippen lief sie um mich herum, kniete sich hinter mich nieder und legte ihre Hände auf meine Schultern. Dann drückte sie zu, wie ich es von ihr niemals erwartet hätte und ich fuhr vor Schmerz zusammen.
"Ich bin ja keine Expertin, aber ich würde sagen, deine Schultern und dein Rücken, sind ganz schön verspannt. Kein Wunder, dass du nicht einmal eine gemütliche Sitzposition findest. Ich würde vorschlagen, wir machen lieber erst ein paar Lockerungsübungen und dann sehen wir weiter."
Mirae zog mich hoch, machte eine Übung nach der anderen vor und ich kopierte sie. Immer wieder lachte sie, wenn ich mich besonders dumm anstellte, obwohl die Übungen so einfach waren. Eigentlich waren sie auch kein Problem für mich, aber manchmal wollte ich einfach nur ihr Lachen hören, oder ihre Hände an meinen Schultern, meinen Armen und meinem Rücken spüren, während sie mir erklärte, wie die Übung funktionierte und dass ich einfach locker lassen sollte.
Das mit dem Locker lassen war allerdings mein größtes Problem.
"Hm", stutzte Mirae, als meine Sitzposition sich ihrer Meinung nach kaum gelockert hatte. "Ich glaube, das ist mehr eine Kopf- als eine Körpersache, aber etwas können wir noch ausprobieren, Leg dich auf den Bauch, die Stirn auf die Unterarme."

Ich tat, wie mir befohlen und Mirae rückte auf den Knien näher, legte ihre Hände auf meinen Rücken und fing an die Muskeln rund um meine Schulterblätter, bis hinauf an den Schultern zu kneten. Das gefiel mir viel besser als die Lockerungsübungen von vorher.
Manchmal fand Mirae eine Stelle, die sich anfühlte, als wäre ein Knoten in meinem Muskel. Die Hälfte der Zeit, zuckte ich also zusammen, während ich die andere Hälfte über ein befriedigtes Brummen unterdrückte.
"Wie viel arbeitest du bitte, Namjoon? Wenn ich eine esoterische Masseurin wäre, hätte ich gesagt, dass tausend Arbeitstage in deinen Schultern stecken."
Ich musste auflachen.
"Na endlich mal eine einfache Frage. Ich arbeite so gut wie immer. Selbst im Urlaub. Songs schreiben, Beats zusammenpuzzlen, die Songs einsingen lassen, bearbeiten, promoten und promoten lassen, um es grob zu sagen und dann alles von vorne. Dafür, dass ich das erst seit sieben Jahren mache, bin ich ganz schön schnell ausgebrannt."
"Bist du nicht", sagte Mirae nachdrücklich, während sie eine Stelle in meinem Nacken massierte. "Wenn du wirklich seit sieben Jahren so durcharbeitest, dann ist es kein Wunder, dass dein Körper und dein Kopf alles abblocken. Das bedeutet aber nicht, dass deine Ideen niemals wiederkommen. Du musst bloß lernen abzuschalten und das dann auch regelmäßig zu tun."
Mirae massierte mittlerweile mit den Knöcheln meinen Rücken, bis hinab zur Taille. Es schmerzte, aber ich spürte gleichzeitig, wie sich in meinem Körper etwas lockerte und je länger sie es machte, desto mehr entspannte ich mich.
Als sie sich wieder meine Schulterblätter vornahm, konnte ich ein erleichtertes Stöhnen nicht unterdrücken.
"Oh mein Gott. Wo hast du das gelernt?"
"Göttin, wenn ich bitten darf. Und ich habe es nicht gelernt, ich mache einfach irgendwas, aber es scheint etwas zu bringen. Wenn du eine effiziente fachmännische Massage willst, musst du in einen Spa gehen oder so."

Sie beendete die Massage und ging zurück auf ihre Yogamatte. Ich war gerade zu entspannt und ruhig, um aufzustehen und mich wieder in eine sitzende Position zu verfrachten, also drehte ich nur den Kopf.
"Kann man auch im Liegen meditieren?"
"Selbst verständlich!"
Sie legte sich auf ihrer Matte auf den Rücken und schloss die Augen. Die Arme hatte sie neben sich ausgestreckt und nachdem sie gemütlich lag, entspannten sich ihre Gesichtszüge und sie sah aus, als würde sie schlafen.
"Mirae?"
"Namjoon?"
"Kannst du was sagen? Irgendwas."
"Hm. Wie wäre es mit einer Geschichte?"
"Was für eine?"
"Über Freiheit und darüber, das tun zu können, was man will."
Miraes Stimme klang samtig, während sie lächelte und die Augenbrauen hob, als wären ihre Worte in eine gefühlvolle Melodie eingewoben gewesen.
"Eine Geschichte wie die von Cho Yejin?", fragte ich laut, obwohl die Frage bloß für mich hatte bestimmt sein sollen. Ich hatte keine Antwort erwartet, doch sie kam trotzdem.
"Nein."

Mirae hatte die Augen geöffnet, ihr Lächeln war versiegt und sie schien so schwer vor Kummer, dass sie in den Boden unter sich einsank. Ich fragte mich, wie sie wissen konnte, dass ihre Geschichte keine Ähnlichkeiten zu der von Cho Yejin aufweisen würde. Sie war an keinem der Tage dabei, als der Pansori aufgeführt wurde. Oder? Hatte sie aus der Ferne zugehört, wo keiner es mitbekam? Es würde zu ihrer Zurückhaltung passen.
"Schließ die Augen, Namjoon."
Mirae hatte den Kopf zu mir gedreht und legte sich nun komplett auf die Seite, so dass der Schwung ihrer Hüfte auf ästhetische Weise sichtbar wurde. Sie sah mich ernst an und ich schloss mit flatternden Lidern die Augen, die sich sofort entspannten, als Mirae ihre Geschichte begann.
Da konnte ich alles ausblenden. Es waren nur sie, ihre Stimme, ihre Geschichte und ich in diesem Haus. Ansonsten gab es nichts und ansonsten brauchte ich auch nichts.
Das war die Entspannung, nach der mein Körper und mein Geist seit Wochen verlangten und sie gab sie mir. Mit einer Geschichte, die trauriger nicht hätte anfangen können, aber die mich dadurch lehrte, einige Dinge loszulassen und andere Dinge von alleine zu mir finden zu lassen.


the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt