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Liebe, Schmerz, Verlust, Trauer, Verzweiflung und Sehnsucht schaffen die besten Texte, bringen die größten Ideen. Diese Gefühle gehen den Menschen am nächsten, denn jeder hat seine Probleme, durchlebt mal harte Zeiten, jeder kennt irgendeine Situation oder Lebenslage, die er mit einem traurigen Song verbinden kann. Mit einem Text voller Sehnsucht. Oder einem Text der so vor Liebe trieft, dass es eine Sehnsucht in einem weckt.
Als Songwriter und Musikproduzent war es meine Aufgabe, die Songs zu schaffen, die die Menschen am meisten berührten. Und ich berührte die Menschen mit Schmerz. Dem tiefen Seelenzustand völliger Verzweiflung und dem Wunsch nach etwas Besserem.
Der Schmerz der die menschliche Seele schon seit Urzeiten plagte, hatte mich schon immer fasziniert. Die verschiedenen Arten des Schmerzes, die unterschiedlichen Äußerungen, das Leiden, das Überwinden. Das alles war bisher Input für meine Kreativität gewesen.
Bisher.
Nun saß ich seit Tagen in meinem Studio, ernährte mich von Essen von dem immer selben Bestellservice und einer Menge Kaffee, doch kein einziges Wort floss von meinem Kopf durch meinen Arm, in meine Hand, auf das Papier, das vor mir lag, vor mir gelegen hatte, bis ich es wüst zerknüllt und um mich herum im gesamten Studio verteilt hatte, bis kein Blatt mehr in seiner Ausgangsform übrig war.
Seufzend stemmte ich den Kopf in die Hände, strich mir über das müde Gesicht und betrachtete meine fahle Haut und die Augenränder in meinem seichten Spiegelbild der Fensterscheibe, die den Aufnahmeraum vom Reglerraum abschottete. Es waren beinahe vier Tage vergangen, seitdem ich mich hier niedergelassen hatte, in der Hoffnung, dass mir hier etwas einfiel. Zuhause hatte ich es bereits aufgegeben. Der Straßenlärm hatte mich zu sehr abgelenkt, mein Apartment hatte mich zu sehr abgelenkt. Doch die Stille war nicht besser.

Das war nicht die erste Kreativblockade die ich hatte. Ich hatte schon viele gehabt, doch keine war so schlimm wie diese. Normalerweise dauerten meine Blockaden zwei bis drei Tage an. Diese hier plagte mich schon seit drei Wochen und keine Entspannungsmethode, kein Brainstorming, keine Recherche half.
Es war ein plötzlicher Verlust von Gefühlen. Alles fühlte sich Dumpf an, alles drang nervtötend zu mir durch, aber ich realisierte es gleichzeitig kaum. In Momenten völliger Konzentration schweifte ich schnell ab und meine Gedanken wurden leer. Es dauerte immer unzählige Minuten, bis ich realisierte, dass sich mein Blick ausgezoomt, dass sich mein Denken in einen unerklärbaren Ruhezustand versetzt hatten. So sehr, dass mir beinahe der Kugelschreiber aus der Hand glitt oder dass ich mich unbemerkt vom Schreibtisch entfernte, als würde mir mein Unterbewusstsein mitteilen wollen, dass ich Abstand zu diesem Blatt Papier und den nicht existierenden Worten darauf Abstand nehmen sollte.
Vielleicht sollte ich das wirklich. Und nicht nur von diesem Papierhaufen, dem Stift in meiner Hand und diesem Studio.
Möglicherweise brauchte ich Abstand zu dieser Stadt, zu diesen Menschen. Ein bisschen Abstand von mir selbst.

Kurzerhand fasste ich einen Entschluss, verließ das Studio, lief durch strömenden Frühlingsregen unter schimmernden Straßenlaternen zu meinem Apartment und hielt meinen Entschluss fest, bis ich angekommen war.
Als ich ankam, roch es muffig. Meine Blockade hatte nicht nur meine Kreativität gestört, sondern auch meine Motivation aufzuräumen, die Wäsche zu waschen, Essensreste zu entsorgen und den verschütteten Kaffee auf meinem Couchtisch aufzuwischen.
Es stank nach fettigem Essen, Schweiß und verbrannten Gehirnzellen, doch ich störte mich nicht daran, genauso wenig wie an meinem unangenehmen, aber noch erträglichen Körpergeruch, der durch den Regen nur verschlimmert worden war.
Ich fischte meinen Laptop unter einem Haufen von benutztem Papier hervor und setzte mich auf den Boden, fuhr das Gerät hoch und fing an zu googlen. Die ganze Nacht suchte ich und suchte, beinahe vergebens, denn nie war ich zufrieden, nie fand ich das, was ich brauchte.
Doch dann stach mir etwas ins Auge, das mich nicht mehr losließ und ich suchte nach meinem Smartphone. Ich musste es im Studio liegen gelassen haben. Umso besser.
Also streckte ich mich, um nach dem Haustelefon zu greifen und wählte schließlich die online angegebene Nummer.

Nach einiger Zeit meldete sich eine kratzige Frauenstimme zu Wort und ich sah verstohlen auf die Uhr. Es war fünf Uhr morgens.
"Hallo? Mit wem spreche ich?", fragte sie und klang weder abgeneigt, noch wütend. Bloß verschlafen und verwirrt.
"Hallo, hier ist Kim Namjoon. Ich habe im Internet gesehen, dass Sie ein altes Landhaus verkaufen." Die Frau am anderen Ende lachte ein wenig, ehe sie sich räusperte und ihre Stimme bereits viel klarer klang.
"Ein Landhaus kann man es wohl kaum nennen und ich bin eigentlich nur die Vermittlerin, nicht die Verkäuferin. Die älteren Herrschaften hier in der Gegend kennen sich nicht so gut aus, mit Technik und dem Verkauf von Häusern. Ich kann ausrichten, dass Sie Interesse an dem guten Stück haben", erklärte sie und ich hörte, dass sie in irgendeiner Schublade herumkramte.
"Haben Sie eine Handynummer, unter der Sie erreichbar sind? Für den Fall, dass ich Sie nicht über Ihr Haustelefon erreiche?"
"Ja, natürlich", sagte ich und diktierte ihr meine Nummer.
"Haben Sie irgendwelche Fragen zu dem Haus, die ich an den Besitzer weiterleiten soll?"
"Nein, nur ... wäre es möglich direkt einzuziehen? Am besten heute?"
"Heute?!", fragte sie überrascht. "Nun ja, ich denke, da der Besitzer das Haus sowieso so schnell wie möglich unter den Mann bringen will, sollte das kein Problem sein. Aber wollen Sie sich das Haus nicht erst einmal ansehen?"
"Nein, das ist nicht notwendig. Ich kaufe es. Und ich werde spätestens heute Nachmittag da sein."

Eine Weile war es still am anderen Ende. Es war nur leises Atmen und Schritte auf altem Holzboden zu hören.
"Na schön, ich richte das dem Besitzer aus. Der wird sich sicherlich freuen", entgegnete sie und lachte nervös. Das war sicherlich der Situation zu schulden, dass nicht jeden Tag jemand spontan ein Haus kaufte.
"Alles klar, ich danke Ihnen, dass Sie mich nicht zur Schnecke gemacht haben, weil ich Sie um diese Uhrzeit angerufen habe."
"Klar, kein Problem", sagte sie und legte auf. Ich schmiss das Telefon auf die Couch, erhob mich und zog meinen Koffer hinter der Tür hervor.
Ohne zu zögern packte ich alles ein, was ich benötigte. Um den Rest kümmerte ich mich, wenn ich in dem Haus war, das ich so eben für einen stattlichen Preis gekauft hatte.
Nachdem ich geduscht und mich umgezogen hatte, fuhr ich samt Koffer mit dem Bus zurück zum Studio, sammelte mein Handy ein und wartete schließlich auf den nächsten Bus, der mich weit weg von Seoul bringen sollte. Weit weg von meiner Arbeit, von dem Stress, dem Druck, dieser gähnenden Leere, die mich erfüllte und keinen Raum mehr für Kreativität ließ.
Dieser Bus war mein Transportmittel zu meiner verschollenen Kreativität und ich hoffte, dass ich sie auf meinem Auszeitstrip wiederfand. Und vielleicht noch etwas besseres, um meine künfige Arbeit zu Revolutionieren und auf ein ganz neues Level bringen zu können.
Ich wollte meine Musik wieder zu etwas machen, das die Menschen noch nie gehört hatten, zu etwas, das sie berührte und das sie all das fühlen ließ, was ich in diesem Moment nicht fühlen konnte.



♫♪

[jep, eine neue story, ich kanns einfach nicht lassen.
updates kommen ungeplant und unregelmäßig. aber ich habe seit monaten viele ideen. :D
hope you enjoy]

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt