Mich traf die Verwirrung wie ein Schlag, nachdem ich die Chefetage verlassen hatte und Mirae bereits am Ende der Treppen nach unten stehen sah. Eine Frau, gekleidet in ein enges, glitzerndes Kleid und mit einer Sonnenbrille auf der Nase, unterhielt sich mit ihr. Und auch wenn Mirae mit dem Rücken zu mir stand, erkannte ich, wie unwohl sie sich gerade fühlte.
Schnell nahm ich die Stufen nach unten und erhaschte einen Teil des Gesprächs.
"Du siehst ihr wirklich ähnlich", sagte die dramatisch gekleidete Frau in herablassendem Ton und beugte sich vor. Sie zog die Sonnenbrille ein Stück von der Nase und betrachtete Miraes Gesicht.
Ich stellte mich zu ihr und die Musterung nahm ein Ende. Geziert lächelte die andere Frau mich an, doch ich widmete meiner Aufmerksamkeit nur Mirae.
"Alles okay mit dir, Mirae?", fragte ich und sie nickte abgehakt. Ihr Blick hing an irgendeinem Punkt auf dem Boden, die Augen hatte sie weit aufgerissen.
"Dann habe ich dich also wirklich verwechselt. Das ist kein Grund, sich so anzustellen."
Ohne auch nur den Anschein zu machen, sich entschuldigen zu wollen, machte sie kehrt. Als sie außer Hörweite war, legte ich meine missbilligenden Blicke ab und wandte mich noch einmal an Mirae.
"Jetzt noch einmal, alles okay?"
Ihr Atem ging stockend und es sah beinahe so aus, als würde sie sich an der Luft verschlucken, die sie versuchte einzuatmen. Im nächsten Moment war sie Leichenblass.
"Ich muss hier raus", sagte sie beinahe tonlos und torkelte mit einer Hand auf dem Brustkorb zur Treppe.Ohne zu zögern folgte ich Mirae. Als sie drohte auf der Treppe zu stolpern, hielt ich sie am Arm fest. Mit jedem Schritt drängte sie sich näher an mich und krallte sich dann schließlich in mein T-Shirt, während sie immer angestrengter atmete.
"Mirae, versuch ruhig ein- und wieder auszuatmen", flüsterte ich in ihr Ohr, nachdem wir unten angekommen waren und ich meine Hände an ihre Wangen legen konnte.
Sie zitterte am ganzen Leib und ich wusste nicht einmal, ob sie mich wirklich verstanden hatte.
Sie klammerte sich bloß an mich und während ich ihr mit der einen Hand über den Rücken strich, holte ich mein Handy aus der Hosentasche, um jemanden vom medizinischen Personal, das angestellt worden war, falls einem Idol etwas beim Training passierte, zu verständigen.
"Kein Rettungsdienst, oder sowas. Es geht gleich wieder", versicherte Mirae stockend, doch noch immer war sie viel zu kurzatmig.
"Du solltest durchgecheckt werden. Ich mache mir Sorgen."
"Die musst du dir nicht machen. Bitte. Bring mich einfach nur hier raus."
So schnell es ging, verließen wir das Entertainment und suchten uns eine halbwegs ruhige Stelle, an der wir uns auf einer Bank niederließen. Seitdem wir das Gebäude verlassen hatten, hatte sich Miraes Atmung allmählig beruhigt. Zeit darüber nachzudenken, was sie in diese Panikattacke getrieben hatte, hatte ich keine, denn noch immer machte ich mit bloß Sorgen um Mirae. Ich konnte sie keine Sekunde aus den Augen lassen, denn die Befürchtung, es könnte ihr wieder schlechter gehen sagte sich in meinem Gehirn fest.
"Willst du reden?", fragte ich sie dennoch, denn ich wollte ihr zumindest die Möglichkeit lassen, auch wenn ich nicht glaubte, dass für Mirae Reden das richtige Ventil war.
Sie schüttelte sofort den Kopf.
"Ich möchte nur, dass du bei mir bleibst." Ihre Stimme war rau und schwach, als hätte sie seit Tagen nicht geredet und sie ließ sich so schwer an meiner Seite sinken, als sich ihr Körper langsam wieder entspannte, dass ich einerseits erleichtert ausatmete, dass sie sich mir auf diese Weise anvertraute und meine Nähe suchte. Andererseits wurde mir mein Herz allerdings schwer, doch ich konnte nichts anderes tun, als Mirae an mich zu ziehen und beruhigend über ihren Arm zu streichen.Die erste Unruhe war überstanden, doch die zweite schaltete sich nur kurz danach ein, als sich endlich die Fragen, die ich mir stellte, in den Vordergrund drängten. Was hatte diese Frau zu Mirae gesagt? Hatten sie sich schon lange unterhalten, bevor ich dazukam? Hatte sie sie belästigt? Oder kannte Mirae diese Frau, so wie sie es geglaubt hatte, als sie Mirae gesehen hatte?
Wenn ich genau darüber nachdachte, mir kam sie bekannt vor. Sie war eine Schauspielerin, soweit ich wusste. Allerdings keine allzu bekannte.
Mirae neben mir atmete einmal auf, dann setzte sie sich in eine gerade Position. Die Haare auf der Seite, mit der sie sich an mich gelehnt hatte, waren ganz zerzaust. Mirae klemmte sie sich mit einer schnellen Handbewegung hinter das Ohr.
"Wollen wir jetzt etwas essen gehen?" Ihre Frage war leise und sie hatte den Blick gen Boden gerichtet. Für mich klang sie nicht danach, als wollte sie sich jetzt in ein volles Restaurant setzen.
"Wenn du möchtest, können wir gerne wieder nach Hause fahren und dort gemeinsam essen."
Sie seufzte schwer.
"Vielleicht wäre das besser." Mirae griff nach meiner Hand und wir standen auf, liefen schweigend zur Bushaltestelle und fuhren schweigend zurück.
Immer wieder fielen ihr die Augen zu und irgendwann konnte ich es nicht mehr mit ansehen und flüsterte ihr zu, dass sie sich ruhig an mich anlehnen und ausruhen konnte.
"Ich habe heute schon so viel geschlafen. Ich dürfte gar nicht mehr müde sein", protestierte sie, ließ ihren Kopf aber dann doch auf meine Schulter sinken.
"Wenn dein Körper dir sagt, dass du müde bist, dann war dein Mittagsschlaf im Studio wohl nicht genug, um präventiv das vorzubeugen, was danach passiert ist. Du solltest dir die Ruhe gönnen, die du brauchst."Eine Weile beobachtete ich noch, wie sich ihre Lider immer wieder hoben und senkten, bis sie endlich nachgab und die Augen geschlossen ließ. Ihr Körper blieb jedoch weiter angespannt.
Mit ihren Fingern tastete sie nach meinen. Ohne darüber nachzudenken, schloss ich meine Hand um ihre.
"Wie kann es sein, dass du nicht neugierig nachfragst, warum ich so ausgerastet bin, Namjoon?"
"Naja, ich hatte dich gefragt, ob du reden willst und du wolltest nicht. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine Fragen, aber es sind keine Fragen, mit denen ich dich drängen muss."
Mirae sah zu mir auf.
"Kannst du aufhören so verständnisvoll zu sein?" Ich wusste, ihre Frage war keinesfalls negativ gemeint, doch trotzdem hatte ich das Bedürfnis mich bei ihr zu entschuldigen. Ich war immer noch vorsichtig im Umgang mit ihr.
"Du weißt gar nicht, was das mit mir macht. Es fällt mir wirklich schwer, meine Gefühle zurückzuhalten, wenn du so bist."
"Dann halte sie nicht zurück", schlug ich ihr vor und schenkte Mirae ein leichtes Lächeln.
Das Lächeln, das sie erwiderte, war ein wenig bitter.
"Das fällt mir fast genauso schwer", flüsterte sie.Zurück in dem kleinen Dorf, das ich mittlerweile wohlwollend mein Zuhause nannte, einigten wir uns darauf, dass wir zu Mirae gingen. Sie machte sich sofort in der Küche zu schaffen und sie wirkte auf mich schlagartig ruhiger. Statt zu reden, kochte sie lieber ein üppiges Abendessen für uns beide, das allerdings für fünf gereicht hätte. Ich hatte ihr nur mit dem Schneiden des Gemüses geholfen, denn die aufwendigeren Dinge beschäftigten sie so sehr, dass ich hoffte, dass sich ihr Kopf wieder klären und sie das verarbeiten konnte, was passiert war.
Es schien zu funktionieren, doch mit einem köchelnden Abendessen war es noch nicht getan, denn sie kündigte an, noch ein paar Kirschtaschen zu machen, während wir warteten, dass alles fertig war. Hierbei ließ sie mich aber nicht nur die Kleinigkeiten machen, die ich noch geradeso hinbekam. Sie nahm mich vollkommen ein und erklärte mir Schritt für Schritt, wie ich den Teig machen musste und später die Kirschfüllung. Ich kam mir vor, wie in einem Kochkurs, aber solange Mirae mich anlächelte, während ich ihren Anweisungen folgte, hätte ich jeden Kochkurs mitgemacht.
Am Ende hatten wir viele Reste, die Mirae abkühlen ließ und dann in Schüsseln füllte, um sie in den Kühlschrank zu stellen. Wir hatten so viel von dem Abendessen gegessen, dass wir uns nur eine der noch warmen Kirschtaschen teilten. Die deckten wir schließlich auch ab und ließen sie auf dem Esstisch stehen.Mittlerweile war es schon ziemlich spät, aber weder Mirae, noch ich dachten daran, uns voneinander zu verabschieden. Stattdessen fragte sie mich, ob ich mit ihr einen Film schauen wollte und zog mich dann mit sich in ihr Schlafzimmer.
Ich hatte es bisher einmal gesehen, als sie Fiebergeplagt zusammengebrochen war und ich ihr geholfen hatte, ins Bett zu kommen. Jetzt hatten wir uns beide unter die dünne Decke gekuschelt und schauten Schulter an Schulter irgendeinen britischen Film voller trockenem schwarzen Humor und irgendeinem Detective als Protagonisten.
"Bleibst du heute Nacht hier? Bei mir?", fragte Mirae und drehte den Kopf in meine Richtung.
"Natürlich. Wenn das dein Wunsch ist."
Mirae blinzelte einige Male und sank ein wenig in sich zusammen. Ihr Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde zu meinen Lippen, ehe er wieder meinen einfing.
"Du machst es schon wieder."
"Was?"
"Du setzt deinen Charme und deine Liebenswürdigkeit ein, um mich schwach zu machen."
"Ist das ein Vorwurf?", fragte ich mit hochgezogenen Brauen und Mirae begann zu grinsen.
Das was heute passiert war, schien in den Hintergrund gerückt zu sein.
Schnell hauchte sie mir einen Kuss auf die Lippen und sagte dann: "Schauen wir den Film zu Ende und gehen dann schlafen. Und morgen gibt es Kirschtaschen und frischen Kaffee zum Frühstück."
Mirae war eingeschlafen, noch bevor der erste Verdächtige des Mordfalls ins Verhör gezogen wurde.
♫♪
[ein etwas späteres update, aber dafür etwas länger. :D
und ja, es ist jetzt im moment sehr viel um namjoon und mirae gegangen, aber die anderen beiden ladies tauchen in den nächsten kapiteln auch wieder auf. ;)
wir lesen uns! <3]
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the most painful things || kim namjoon
Fanfic♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...