Das Holz knarrte unter meinen nervösen Schritten, die mich hin und her durch das Wohnzimmer des Hauses trugen. Meine Haare mussten bereits in alle Richtungen abstehen, so oft wie ich mir mit den Fingern hindurchgefahren war. Nicht zu vergessen meine Unterlippe, die sich vom ganzen darauf herumbeißen bereits wund anfühlte.
Mirae war vor einer Stunde zurückgekehrt und ich war schon mindestens sieben Mal vor die Tür getreten, um zu ihr rüberzugehen, hatte mich dann aber dazu entschieden ihr etwas Zeit für sich alleine zu geben, weil ich nicht wusste, ob sie meine Gesellschaft überhaupt wollte oder nicht. Vielleicht sollte ich einfach anklopfen und fragen. Sie konnte mich immer noch wegschicken.
Nun konnte ich gar nicht schnell genug zur Haustür gelangen. Ich war schon hinausgetreten, da hatte ich noch nicht einmal die Schuhe richtig angezogen. Stolpernd ging ich zum Haus von Mirae, nahm polternd und mit noch immer nur halb übergestreiften Schuhen die Stufen und befand mich schließlich vor ihrer Haustür. Ich hatte schon die Faust erhoben um anzuklopfen, doch dann zögerte ich. Sollte ich sie wirklich stören? Sie hatte wirklich nicht gut ausgesehen und sie schien die Art von Person zu sein, die erst einmal Zeit für sich brauchte. Andererseits war ihr Anblick Anlass genug gewesen, um besorgt zu sein und zumindest mal nach dem Rechten zu schauen. Also klopfte ich. Zaghaft und leise. Und dann klopfte ich noch einmal. Laut und deutlich.
Sie musste es gehört haben, doch auch wenn sie es sicherlich gehört hatte, schien sie für sich alleine sein zu wollen, denn auch als ich ein paar Minuten wartete und dann noch einmal klopfte, tat sich nichts.Zurück in meinem Haus fuhr ich mir abermals durch die Haare und entschied mich dazu, mich draußen hinzusetzen und einfach nur in den Wald, der keiner war, hinein zu starren. Fahrig schob ich die Schiebetür zur Seite und da hörte ich, wie der Klang eines Instrumentes verklang, als hätte jemand abrupt gestoppt es zu spielen. Mein Blick schnellte sofort zu Miraes Haus und dort saß sie im Dunkeln, nur beschienen von dem schwachen Mondlicht, das silbern auf sie hinabfiel. Sie sah zum Himmel hinauf, eine kleine Ukulele in ihrem Schoß und eine kleine flackernde Kerze neben sich.
Wieder zögerte ich. Sollte ich einfach zu ihr hinübergehen? Es schien, als hätte sie mich nicht einmal bemerkt und vielleicht sollte ich sie auch wirklich nicht stören.
"Ich weiß, dass du gerade überlegst, ob du mir Gesellschaft leisten solltest oder nicht", sagte Mirae mit leiser, gefasster Stimme und ließ mich ertappt zusammenfahren. Sie senkte den Kopf kurz, bevor sie das Gesicht in meine Richtung wandte. So lag es im Dunkeln und ich konnte nicht erkennen, was es aussagte.
"Worauf wartest du?" Es klang weniger wie eine in eine Frage gepackte Aufforderung, als wie eine hoffnungsvolle Bitte. Schon vor meinem nächsten Atemzug war ich von der Hauserhöhung gesprungen und über den kleinen Gartenzaun und Miraes Erdbeerbeet gestiegen und setzte mich auf die freie Seite neben Mirae. Nun erkannte ich auch, dass die Kerze neben ihr, in einem kleinen Muffin steckte, auf dem sich bereits das Kerzenwachs sammelte.
Ich sah Miraes Gesicht wieder nur im Profil, halb verdeckt von ihrem schulterlangen Haar, aber der Mondschein machte eine dünne Tränenspur deutlich sichtbar, die sich von Miraes halbgeschlossenem Auge, bis zu ihrem sanft geschwungenen Kinn führte.Ich holte bereits Luft, um zu fragen, was passiert war, doch Mirae hob eine Hand und sagte mit fester Stimme: "Nicht."
Sie hob die Ukulele von ihrem Schoß, um sie hinter sich auf das Holz zu legen und drehte sich dann wieder in Richtung Wald. Sie schlang die Arme um sich und als sie wieder hinauf in den Himmel schaute, löste sich eine Träne nach der anderen aus ihrem Augenwinkel. Mirae weinte so leise, dass es gleichzeitig das schönste und schrecklichste Bild war, das ich je gesehen hatte. Schön, weil Mirae, so beschienen vom Mondlicht und mit Filmreifen Tränen aussah wie ein Kunstwerk über den Schmerz eines Künstlers. Schrecklich, weil allein sie anzusehen, bereits so weh tat, dass ich kurz davor war mit ihr zu weinen und ich wusste nicht einmal mit Sicherheit, warum sie so still vor sich hin weinte, ohne ihre Tränen vor mir zu verstecken. Eine Vermutung hatte ich allerdings.
"Er ist gestorben." Noch immer klang Miraes Stimme so ruhig, als würde sie keine einzelne Träne vergießen, aber gleichzeitig klang sie so sehnsüchtig, so verletzt, so allein. Es war kaum beschreibbar.
"Es ging ganz schnell und zuerst ohne, dass es jemand mitbekommen hat. Er ist einfach eingeschlafen. Ganz ruhig. Schmerzlos. Damit hatte keiner gerechnet, weil nach dem kurzen Schock, dass sich sein Zustand verschlechtert hat, hat er sich plötzlich drastisch verbessert."
Mirae senkte den Kopf, strich über ihre Finger und ich sah, wie einzelne Tränen auf sie fielen. Dann sah sie zu mir auf, ein trauriges, deplatziertes Lächeln im Gesicht, während die Tränen einfach immer weiterliefen.
"Er hat mich angesehen und mich bei meinem Namen genannt, obwohl er mich sonst immer für meine Mutter gehalten hat, als sie noch im Jugendalter gewesen war. Er hatte bereits vergessen, dass er eine Enkelin hat und dann hat er sich für einen kurzen Moment an mich erinnert und ich war so erleichtert gewesen. Er hat sich daran erinnert, wie er sich mit mir heimlich davongestohlen hat, wenn Mom und Grandma mal nicht hingesehen haben."Nun war nichts mehr von Ruhe und Fassung in Miraes Stimme zu hören. Nun schluchzte sie ungehemmt, ihre Schultern bebten und sie atmete wiederholt ein, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Ich hatte nicht gedacht, dass mich dieser Anblick sogar noch trauriger machen konnte, doch nun brannten die Tränen scharf in meinen Augen und es fiel schwer, sie hinunterzuschlucken.
"Er hat sich an mich erinnert. Nur um am nächsten Tag einfach nicht mehr da zu sein. Einfach so." Ihre Stimme brach bei den letzten beiden Wörtern und da zog ich Mirae zu mir und sie krallte sich in den Stoff meines T-Shirts und schluchzte laut und rang nach Atem.
Ich ließ sie einfach weinen, strich ihr über das weiche Haar und den bebenden Rücken und nach einer Weile schien es, als würde sie sich wirklich beruhigen. Irgendwann hatte sie einfach nur noch ihre Hände hinter meinem Rücken ineinander verschränkt und war kraftlos gegen mich gesackt.
Die Kerze auf dem Muffin war schon beinahe bis zur Hälfte abgebrannt und der Mond schien nun kräftiger zu strahlen, jetzt wo sich meine Augen so sehr an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Und als Miraes letzte Schluchzer komplett verklungen waren, war die Stille beinahe unerträglich. Sie lehnte bloß weiter an mir, ich strich ihr über den Rücken und ich fragte mich, ob ich etwas zu ihr sagen sollte, um mein Beileid zu bekundigen. Genau in dem Moment, in dem ich mich dazu entschied etwas zu sagen, bewegte Mirae sich aber ruckartig, rutschte näher an mich heran und schwang ihre Beine über meine, ehe sie sich wieder an mich lehnte, die Wange gegen meine Brust gepresst, so dass sie wieder zum Himmel hinauf schauen konnte.
"Tut mir leid, dass ich dich so vollheule. Und danke, dass du mir trotzdem Gesellschaft leistest. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, würde ich jetzt immer noch alleine hier sitzen."
Ich hatte das Bedürfnis, Mirae so fest an mich zu drücken, wie nur möglich und ich tat es, bevor ich mich stoppen konnte.
"Du hast mich nicht vollgeheult", sagte ich entschieden und seufzte. "Denk das bitte nicht."Mirae hob erneut den Kopf und änderte abermals ihre Sitzposition, so dass sie nun auf den Knien sitzend zu mir sah, ein unergründbarer Blick in den noch immer oder schon wieder wässrigen Augen. Zumindest bis ihre Aufmerksamkeit auf etwas hinter sie gelenkt wurde.
Der Muffin mit der Kerze war umgefallen, als Mirae ihn wohl mit dem Fuß berührt hatte. Die Kerze war nun erlöscht und der Muffin beinahe komplett bedeckt von Kerzenwachs.
"Dahin ist mein Wunsch. Wie von selbst erloschen", sagte Mirae sinnierend und mit belegter Stimme. Ihre Hände, die noch immer leicht auf meinem Bauch und meiner Seite lagen, glitten von mir, ohne das Mirae es zu merken schien.
"Dein Wunsch?", fragte ich und Mirae sah zu mir, dann zum Himmel, hinein in den lichten Wald und wieder zu mir.
"Mein Geburtstagswunsch." Sie sah auf die schmale Armbanduhr, die an ihrem Handgelenk funkelte. "Ich bin seit ungefähr vierzig Minuten achtundzwanzig."
Zuerst war ich erstaunt von dem Wandel der Geschehnisse. Zuerst erfuhr ich von dem Tod von Miraes Großvater und jetzt sagte sie mir, dass sie Geburtstag hatte, als wäre es nichts. Als ich mich aber wieder gefasst hatte, sah ich Mirae einfach nur an und ich wusste, dass ich mindestens ab diesem Zeitpunkt meine Gefühle für sie nicht mehr verleugnen.
"Warum siehst du mich so ... naja, so perplex an? Es ist nur ein Geburtstag, Namjoon."
Hatte ich wirklich perplex ausgesehen? Ich war eigentlich noch etwas mitgenommen von Miraes plötzlichem Gefühlsausbruch, von dieser Traurigkeit, davon, wie plötzlich das alles einfach in den Hintergrund gerückt war, so schnell, ohne dass wir richtig darüber geredet haben. Und davon, dass es dennoch Miraes Geburtstag überschattete, denn der Tod ihres Großvaters lag nicht lange zurück.Schneller als gedacht, kam ich wieder zu mir und eins stand fest: Ich konnte dieses neue Ereignis nicht einfach so in den Hintergrund rücken lassen. Ich sah es als Chance an, Mirae ein wenig auf andere Gedanken zu bringen und ihr eine Freude zu bereiten, zumindest eine kleine.
"Warte kurz hier. Ich bin gleich wieder da", sagte ich zu ihr und schob mich von der Hauserhöhung. "Rühr dich nicht von der Stelle, nur einen Moment."
Es dauerte nicht lange, da war ich schon wieder in meinem Haus und holte den Kuchen aus dem Kühlschrank, den ich zuletzt gebacken hatte. Er war nicht perfekt und er würde niemals an Miraes Erdbeerkuchen rankommen, aber er besser als mein aller erster. Zusätzlich mit Kuchentellern und Kuchengabeln bewaffnet, machte ich mich wieder auf den Weg nach draußen. Als ich aber am Wohnzimmer vorbeikam und das Durcheinander an Blättern und Stiften betrachtete hielt ich noch einmal kurz inne. Das Gedicht, das ich über Mirae geschrieben hatte war auch irgendwo darunter.
Für einen Moment überlegte ich, es ihr zu geben, doch dann besann ich mich eines besseren. Es wäre viel zu überstürzt und passte überhaupt nicht in die Situation. Dafür war Mirae vermutlich viel zu sehr neben der Spur und es würde sie, nach unserem plötzlichen Kuss vor einiger Zeit, vielleicht nur noch mehr verwirren.
Kuchen sollte für den Moment reichen und ich hoffte er zeigte die gewünschte Wirkung. Auch wenn er nur dafür sorgte, dass Mirae für einen Augenblick alles andere vergaß.♫♪
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the most painful things || kim namjoon
Fanfiction♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...