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Ich atmete auf. Vor mir stand Mirae, die Haare etwas strubbeliger als sonst, das Gesicht gerötet, als hätte sie sich beeilt. Sie war noch ganz atemlos, als sie ganz schockiert fragte: "Namjoon, hast du geweint?"
Bevor ich antworten konnte, schob sie mich ins Haus zurück, stellte ihre Tasche neben die Tür, während ich sie schloss und nahm dann mein Gesicht in ihre Hände. Nun war ich derjenige, der etwas schockiert war, doch schnell kam mir mir das sanfte Streichen von Miraes Daumen auf meinen Wangen vor wie das normalste der Welt.
"Was ist los?" Sie sagte es ganz leise, herantastend, als wusste sie nicht genau, ob die Frage angebracht war oder nicht. Als ich meine Hände auf ihre legte, wurde ihr Blick kurz schwer, doch schon als ich erleichtert ausatmete, war ihr Gesichtsausdruck wieder voller überraschter Besorgnis.
"Es ist nichts weltbewegendes. Meine Blockade raubt mir den letzten Rest."
"Den letzten Rest von was?"
"Den letzten Rest meines kreativen Ichs."
Wieder strichen Miraes Daumen über meine Wangen.
"Aber ich dachte, du hast wieder zu deiner Kreativität zurückgefunden?"
Das hatte ich auch gedacht. Ein leises Schnauben entkam meinem Mund und ich dachte an die Deadline, den schrecklichen Song, daran, dass mir einfach nichts besseres einfiel, der Karrieresturz, der mich erwartete. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen.

Mirae löste ihre Hände von meinem Gesicht, schob ihre rechte in meine und schnappte sich die Tasche, die neben der Tür ein wenig nach vorne gekippt war.
"Ich hatte vor Eclairs zu backen. Sie werden vielleicht deine Lage nicht verbessern, aber vielleicht werden sie dich ein bisschen trösten. Ich werde auch nicht mit der Schokolade sparen, versprochen."
Ihre Worte hatten etwas tröstliches an sich und ich schaffte es ein Lächeln aufzubringen, bevor Mirae mich mit einem verstehenden Ausdruck im Gesicht in die Küche zog. Sie drückte mich auf einen der Stühle und begann die Zutaten auszupacken, während ich noch dabei war, meine Tränen wieder zu trocknen. Plötzlich tauchte ein Stück Schokolade vor meiner Nase auf und ich sah hinauf zu Mirae, die sich etwas vorgebeugt hatte und mich warm anlächelte. Sie öffnete den Mund leicht, um mir zu symbolisieren, dass ich es ihr gleichtun sollte und als ich ihn öffnete, legte sie das Stück Schokolade auf meine Zunge und streifte dabei meine Unterlippe. Bevor sie ihre Hand wieder wegziehen konnte, hatte ich nach ihrem Handgelenk gegriffen und sie sachte zu mir gezogen. Nicht drängend, so dass sie sich jederzeit von mir lösen konnte, doch das tat sie nicht. Sie kam näher und ich dirigierte sie, mit meiner anderen Hand an ihrer Taille, zu meinem Schoß, damit wir auf einer Augenhöhe waren. Mirae legte ihre Hand auf meinen Unterarm und strich von dort aus hinauf zu meinem Oberarm. Ihr Blick war wie hypnotisiert und gleichzeitig hypnotisierte sie mich.

Während die Schokolade in meinem Mund schmolz, schmolz mein Herz bei Miraes Anblick dahin. Plötzlich war wieder alles andere in den Hintergrund gerückt und ich konnte nur ihn Miraes Augen sehen, die mich unter leicht geschlossenen Lidern musterten, ehe mein Blick zu ihren leicht geöffneten, zarten rosa Lippen gezogen wurde. Ich sah zurück in ihre Augen, die mich noch immer musterten, dieses mal wieder besorgt und voller Mitgefühl.
"Willst du mir beim Backen helfen? Ich sehe, du könntest etwas Ablenkung gut gebrauchen."
"Ich bin nicht so gut."
Mirae schmunzelte, dann setzte sie sich so auf, dass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war.
"Und ich bin nicht gut im Ukulele spielen, aber ich probiere es weiter. Übung macht den Meister. Außerdem erkläre ich dir alles." Sie wirkte so überzeugt, dass das klappen könnte, dass ich es ihr wirklich abkaufte und schließlich nickte.
"Gut, dann werden wir uns jetzt zuerst um den Brandteig kümmern."
Sie stand auf, zog mich hoch und zur Küchenarbeitsplatte, auf der schon fast alle benötigten Zutaten bereitstanden und erklärte mir dann, das Eclairs zwar nicht das einfachste Gebäck waren, aber dass sie doch sehr leicht zu backen waren, wenn man das richtige Rezept hatte. Und das hatte Mirae scheinbar in ihrem Kopf abgespeichert.

Wir befolgten eine Reihe Arbeitsschritte und ich war so konzentriert darauf, den Teig so zuzubereiten, wie Mirae es mir erklärte, dass die Wolken sich in meinem Kopf immer weiter lösten und schließlich verschwanden. Es machte Spaß, mit Mirae zu backen. Sie war geduldig mit mir und schien sich ernsthaft zu freuen, wenn ich sie etwas fragte.
Am Ende spritzten wir gemeinsam mit einem improvisierten Spritzbeutel die Eclairs auf das mit Backpapier ausgelegte Backblech und zogen anschließend vorsichtig Linien in den Brandteig. Es war alles ein bisschen improvisiert, aber Mirae befand am Ende, dass das bisherige Ergebnis gar nicht so schlecht aussah.
Während die Eclairs im Backofen vor sich hin backten, begannen wir eine Vanille- und eine Erdbeercreme zu machen. Mirae hatte sogar richtige Vanilleschoten eingekauft, da die Creme ihrer Meinung nach gerne etwas stärker nach Vanille schmecken durfte. Klassisch war die Eclair Creme nämlich weniger süß und dafür umso vanilliger. Für die Erdbeercreme galt nach Mirae das selbe.
Nach fünfundzwanzig Minuten war der Teig fertig gebacken und auch wenn wir ein wenig improvisiert hatten, sahen die Eclairs knusprig und fluffig zugleich aus. Genauso, wie sie sein sollten, laut Mirae. Wir ließen sie auskühlen, befüllten sie mit den Cremes und schmolzen dann die Schokolade, von der nicht gerade ein geringer Teil vorher in unseren Mündern landete. Als die Eclairs mit Schokolade überzogen waren, stellten wie sie in den Kühlschrank, damit die Schokolade schneller fest wurde. Dann ging es ans Aufräumen, was uns die nervöse Wartezeit ersparte und am Ende saßen wir geschafft vom Backen und Aufräumen vor einem riesigen Berg Gebäck.

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt