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Dass der Pansori wirklich nur ganz großes Theater gewesen war, stellte sich heraus, als Cho Yejin breit lächelnd wieder hinter der Bühne hervorkam, noch immer in ihren traditionellen Hanbok gekleidet, aber ohne ihr Gayageum. Ich fragte mich, wie viele Instrumente sie wohl beherrschte. Die Kinder auf der Bühne hatten jedenfalls zwei verschiedenartige traditionelle Saiteninstrumente und unterschiedliche Trommeln bespielt. Ein einziges, solches Saiteninstrument zu erlernen war bereits ziemlich zeitintensiv.
Es war beeindruckend, wie viel Zeit diese Frau in die Musik investierte, denn etliche Instrumente zu beherrschen und einen solchen Pansori vorstellen zu können, benötigte jeweils allein bereits jahrelange Übung.
Schnell wurde Cho Yejin belagert, besonders von älteren Bewohnern des Dorfes, die scheinbar ihren Dank für die Performance aussprachen, aber auch von den Eltern der Kinder, die zuvor zusammen mit ihr aufgetreten waren. Ein Teil der Bewohner war bereits wieder nach Hause gegangen, ein anderer sah dabei zu, wie sich auf dem Platz ein kleiner Markt ausbreitete und handgemachte Dinge zur Schau gestellt wurden. Außerdem tauchten immer häufiger Menschen mit etwas Essbarem auf und ich merkte, dass auch ich langsam hungrig wurde.
Ich sah mich nach Taehyung um, um ihm vorzuschlagen uns ebenfalls etwas zu Essen zu holen, mit Cho Yejin zu sprechen und dann wieder zu verschwinden, denn die Müdigkeit steckte mir plötzlich wieder tief in den Knochen. Doch Taehyung war weg.

Nach einigem Hin und Her, sah ich, wie er sich zu Cho Yejin gesellt hatte, die nun ansonsten allein war, und sie praktisch umgarnte. Zu meiner Belustigung schien sie das ziemlich kalt zu lassen, denn sie rückte auf Abstand, wenn Taehyung ihre Schulter berühren wollte oder ihr einen Schritt näher kam. Vielleicht sollte man sie von seinen Flirtversuchen befreien und Taehyung ebenfalls von ihr weglotsen, bevor ihr beschützerischer Trommelschlepper dazukam und die ganze Szene falsch interpretierte.
Ich beeilte mich zu den beiden zu gelangen, damit Taehyung sie nicht weiter belästigen konnte und bekam zur Belohnung ein strahlendes Lächeln von Cho Yejin, die vermutlich ahnte, dass ich vorhatte sie von meinem Freund zu befreien.
"Tut mir leid, wenn er Sie bedrängt hat. Taehyung kann sich manchmal nicht zügeln", sagte ich entschuldigend und zog ihn ein Stück von ihr weg.
"Schon in Ordnung. Eigentlich ging es bei diesen 'Annäherungsversuchen' auch nicht um mich, sondern um Informationen, die ich leider selbst nicht habe."
Schnell warf ich Taehyung einen genervten Blick zu.
"Ging es um Astra Black?"
Die Musiklehrerin nickte und ihr freundliches Lächeln wurde nicht schmaler.
"Niemand hier weiß viel über sie, aber vielleicht weiß ich ein kleines bisschen mehr, als manch andere", gab sie zu und Taehyung richtete sich entgeistert auf.
"Warum erzählt sie dir das einfach so und auf meinen Charme geht sie nicht einmal ein?", fragte er beleidigt.
"Weil du nicht für alle ein Charmeur bist. Es sind nicht alle Frauen und Männer so leicht zu haben, wie du es dir vorstellst."

Cho Yejin schien amüsiert über unseren Wortwechsel zu sein, der sich noch ein paar mal hin und her zog, bevor ich derjenige war der Nachgab, obwohl es mich ein wenig Selbstbeherrschung kostete. Allerdings wusste ich, dass Taehyung dieses Spiel den ganzen Abend weiterspielen konnte.
"Also schön, was wissen Sie über Astra Black? Kennen Sie ihren Aufenthaltsort?", fragte ich und Cho Yejin sah sich um.
"Vielleicht sollten wir das nicht hier besprechen, denn Mrs. Lee ist auf dem Weg hierher und wenn sie einen einmal in ein Gespräch verwickelt, hört sie nicht mehr auf. Kommen Sie", sagte sie, raffte ihre Röcke und wir folgten ihr hinter die Bühne, vorbei an einer geöffneten Flügeltür zu einer kleineren, unauffälligeren.
Aus einem kleinen Täschchen an ihrer Taille zog sie einen Schlüsselbund und öffnete die Tür. Danach ging es durch ein schmales Treppenhaus, mit knarrenden Stufen, hinauf in den ersten Stock, zu einem Raum, auf dem Cho Yejins Name stand.
"Sagen Sie nicht, Sie wohnen hier", sagte Taehyung erstaunt und die Musiklehrerin begann zu lachen. Sie schloss die Holztür auf und zum Vorschein kam ein Raum mit Schiefertafel. Er war komplett leer, bis auf die zur Seite geräumten Instrumente, Decken und Sitzkissen.
"Das ist der Raum, in dem die meisten meiner Kurse stattfinden. An Dienstagen und Donnerstagen bin ich dann im Sitzungssaal, da dort der Flügel steht, an dem ich zwei meiner Schülerinnen unterrichte."
Die Musiklehrerin öffnete mit einem weiteren Schlüssel einen der alten Holzschränke und reichte uns jeweils einen Klappstuhl, ehe sie sich ebenfalls einen nahm und vor den geschlossenen Schrank setzte.

Sie richtete die Röcke ihres Hanboks richtig aus und ich fragte mich sofort, wie jemand so elegant auf einem wackeligen Klappstuhl aussehen konnte.
"Also gut, bevor wir beginnen, hören wir endlich auf mit diesem ständigen Siezen. Ich komme mir dann immer vor wie in einer meiner Unterrichtsstunden oder in einem Gespräch mit den Eltern meiner Schülerinnen und Schüler." Sie schaute zur Seite und lächelte ein wenig.
"Zu Astra", fügte sie hinzu, "ich hatte schon von ihr gehört, bevor sie bei Sashi angefangen hat. Ehrlich gesagt war ich sogar diejenige, die es eingefädelt hat, dass Astra nun für Sashi arbeitet."
Sowohl Taehyung, als auch mir fiel die Kinnlade herunter. Nach der ersten Überraschung sah mich Taehyung an, als hätte er von vornerein gesagt, dass sie mehr wusste.
"Wie ist es dazu gekommen?", fragte ich neugierig. Immerhin hatte Cho Yejins Freund gemeint, dass sie nicht viel mit diesem Club und im besonderen mit Astra Black zutun hatte.
"Als ich noch in Seoul gelebt habe, hatte ich Freunde, die sich sehr für Künstler aus dem Untergrund interessiert haben. Einmal konnten sie mich dazu überreden mit ihnen in einen dieser düsteren Clubs zu gehen und es war mir alles eher suspekt, aber eine Künstlerin hatte mich positiv überrascht. Astra Black.
Kurz danach bin ich ins Nachbardorf gezogen und habe hier Räume bekommen, um sowas wie meine eigene Musikschule zu eröffnen. Das war vor vier Jahren, Sashis versteckte Bar hatte schon ein Jahr früher eröffnet und nicht viele kannten sie, was nicht verwunderlich ist, wenn man seine Bar mitten in einem Dorf, unter einer Gastwirtschaft führt.
Das erste mal, als ich dort war, hat mich Jongdae hingeschleppt. Es hat mich an das eine Mal erinnert, als ich in diesem Untergrund Club war und da kam mir die Idee Sashi von Astra Black zu erzählen."

Sie kannte Astra Black also schon seit mehreren Jahren und sie hatte wirklich dafür gesorgt, dass sie nun in dieser Dorfbar arbeitete. Wie hatte sie es geschafft eine Sängerin, die im Untergrund einer Großstadt performte für ein kleines Dorf zu gewinnen?
"Irgendetwas kommt mir komisch vor", überlegte ich und rätselte weiter, wie sie sie hatte davon überzeugen können hier auf zutreten.
Cho Yejin nickte.
"Ich weiß, eine junge Frau, die atemberaubende Texte schreibt und diese im Untergrund einer rasenden Stadt zum Besten gibt, in der Hoffnung, dass vielleicht etwas mehr daraus wird, würde nicht einfach so in einem kleinen Kaff auftreten. Es rentiert sich nicht und der große Erfolg bleibt sowieso aus. Aber sie musste ihre Gründe gehabt haben. Sie war beinahe erleichtert, als ich endlich einen Kontakt zu ihr herstellen und ihr von dem Angebot, ein paar Mal die Woche in Sashis Bar zu performen, erzählt hatte."
"Und du kennst diese Gründe nicht zufällig?", fragte Taehyung und wir betrachteten sie beide Neugierig. Cho Yejin schüttelte bedauernd den Kopf.
"Astra Black ist eine sehr zurückgezogene Person. Ich habe sie das zweite und letzte mal gesehen, als ich sie Sashi vorgestellt habe. Sie wollte, dass ich bei dem Treffen dabei bin. Danach brach sofort mein Kontakt zu ihr ab und ich habe auch nicht sonderlich großes Interesse, diese Bar noch einmal zu besuchen. Das ist einfach nicht meine Welt."

Ich nickte. Damit war also erklärt, wie so eine talentierte Küstlerin an diesen Ort gelangen konnte, doch das Warum fehlte noch. Aber vielleicht gab es eine Person, die uns in dieser Angelegenheit weiterhelfen konnte. Vielleicht wusste der Barbesitzer Sashi etwas über die Frau, die wie aus dem Nichts gekommen und auch wieder in dieses Nichts verschwunden war.
"Darf ich fragen, warum ihr euch so sehr für Astra interessiert? Sie hat viele Fans hier, das ist unbestreitbar, aber bisher hat noch niemand versucht, weiter nachzuhaken."
Ich seufzte.
"Es ist einfach ... sie hat irgendetwas in mir aufgewühlt. Etwas, das vielleicht dazu führen könnte, dass ich meine Kreativität wiederfinde. Ich könnte mir zwar weiter ihre Performances anhören und sehen, ob es ausreicht, aber ... ehrlich gesagt will ich mehr wissen. Was hinter ihren Songs steckt, warum sie sie schreibt, was ihr Antrieb ist."
Cho Yejin nickte mit einem kleinen Lächeln.
"Ich verstehe", sagte sie mit zarter Stimme, "dann wünsche ich dir viel Glück, dass du zurück zu deiner Kreativität findest, ob du nun mit Astra ins Gespräch kommst, oder nicht."
"Danke." Wir lächelten uns an und für einen Moment fühlte es sich so an, als wären wir nicht in diesem hölzernen Raum, sondern auf einem freien Feld. Astra Black war nicht die einzige, die es schaffte, einem die Sinne zu rauben, aber Cho Yejin tat es auf eine so andere Art.
Mir kam es vor, als waren diese beiden Frauen Tag und Nacht. Trauer und Hoffnung, Trauer und Zerstörung. Ihre Musikstile unterschieden sich genauso, wie ihre Persönlichkeiten, aber eines blieb im Allgemeinen gleich: Der Schmerz, der sich durch ihre Gesichter zog, wenn sie glaubten, dass sie ihn für einen Moment gut verbargen.

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt