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Ein wenig atemlos öffnete Kim Mirae die Tür. Sie trug die Haare in einem unordentlichen Knoten halb hochgesteckt und war in einen dünnen beigen Pullover, der zwei Nummern zu groß schien, und eine schwarze Leggings gekleidet. Der Verband, der unter dem dunklen Stoff bis zur Mitte des Fußes herausragte war auffällig und dick und ließ nur erahnen, wie schlimm die Verletzung war.
"Hi", sagte ich und lächelte mitfühlend. Meine Nachbarin blies die Luft aus und zuckte die Schultern.
"Hey. Willst du reinkommen?", fragte sie überraschend und öffnete die Tür ein Stückchen mehr. Mit einem Nicken trat ich ein und trat in das sanft beleuchtete Haus.
Kim Miraes Einrichtungsstil war wie ihr Kleidungsstil, schlicht, natürlich, nichts zu übertriebenes, aber auf besondere Weise zusammengewürfelt.
Die Möbel waren aus verschiedenfarbigem Holz, ein paar weiße Orchideen standen an den Fensterbänken und auf einem kleinen hölzernen Couchtisch. Den einzigen Eyecatcher bildete die smaragdgrüne Couch, die sich auch vom Stil von den schlichten Möbeln abhob. Sie wirkte vom Design her alt, aber als Möbelstück relativ unberührt, als würde Kim Mirae kaum darauf sitzen. Oder als wäre sie nagelneu.
"Setz dich ruhig. Willst du was trinken? Ich habe Wasser, Kaffee und Cranberrysaft anzubieten."
Dankend winkte ich ab, setzte mich aber auf die kleine Couch, die auf gemütliche Weise unnachgiebig war. Der grüne Stoff mit Samtoptik war, passend zu der Härte der Polster, kratzig. Vielleicht war diese Couch deswegen so unberührt?

"Ich bin eigentlich nur hier, weil ich mich vergewissern wollte, wie es dir geht. Hast du deinen Knöchel durchchecken lassen?", fragte ich.
Kim Mirae setzte sich auf einen kleinen schwarzen Hocker neben der Couch und ich machte Anstalten aufzustehen, doch sie bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich sitzenbleiben sollte.
"Es ist nichts dramatisches. Ich soll den Knöchel nur für eine Woche ruhig halten und regelmäßig kühlen. Ich muss nur aufpassen, dass mir der Fuß nicht abfriert und ich nicht zu viel Gemüse antaue. So viel Gemüsesuppe, wie ich morgen kochen muss, kann keiner alleine essen."
Ein wenig zweifelnd sah ich meine lächelnde Nachbarin an. Sie hatte sich den Knöchel ziemlich stark umgeknickt und konnte vor Schmerz nicht mehr auftreten. Das sollte nichts dramatisches sein? Ich konnte keine Unehrlichkeit aus ihren Worten heraushören, vermutlich, weil wir uns kaum kannten, aber so eine Verletzung war doch nicht nach einer Woche schon wieder vergessen, oder?
"Und was machen die Schmerzen?", fragte ich also und wieder winkte meine Nachbarin nur ab.
"Ach, nicht der Rede wert. Es ist schon wieder besser." Jetzt war ich mir sicher, dass sie mich anlog. Es war erst ein paar Stunden her, seit sie sich verletzt hatte und in vielen Fällen wurden die Schmerzen durch anschließende Belastung oder eine zusätzliche Schwellung nur noch schlimmer. Zudem sagte ihr fahler werdender Hautton und der Schweiß, der sich auf ihrer glatten Stirn bildete, etwas anderes.
"Na schön, vielleicht sollte ich dich alleine lassen, damit du dich weiter ausruhen kannst."

Ich stand auf, doch im selben Moment sprang Kim Mirae von ihrem Hocker und kam mit dem falschen Fuß auf, so dass sie nun strauchelte und vor Schmerz wimmerte. Sie versuchte die Schmerzen zurückzuhalten, kläglich. Als sie begann zu zittern und sich an der Couchlehne festhalten wollte, half ich ihr auf den von mir freigeräumten Platz und schob den Hocker unter ihren verletzten Fuß.
"Von wegen, es ist schon wieder besser. Ich kann deinen schmerzenden Knöchel beinahe fühlen, wenn ich dich nur ansehe", sagte ich.
"Tut mir leid. Ich habe dir schon genug Umstände damit bereitet, dass ich dich Nacht um Nacht mit meinen Streams wachhalte und jetzt fragst du auch noch nach meinem Wohlergehen?", fragte sie mit ausgelaugter, vor Schmerz wimmernder Stimme und schloss die Augen. Ihr Atem ging schwerer als gewöhnlich und sie fasste sich an die schweißnasse Stirn, seufzte erschöpft.
"Du solltest genervt von mir sein und mich nicht so führsorglich behandeln."
Es war kein Vorwurf in ihrer Stimme zu hören, bloß eine seltsame Verwunderung, die ich mir nicht ganz erklären konnte. Es war doch nichts aufopferungsvolles, sich nach seiner Nachbarin zu erkunden und ihr ein wenig zu helfen. Wenn man das überhaupt schon als Hilfe bezeichnen konnte, was ich für sie getan hatte. Es war wohl eher ein freundliches unter die Arme greifen.
Und dennoch klang Kim Mirae erstaunt und in irgendeiner Art wehmütig.
"Ich bin nicht genervt. Ich habe gestern ein wenig in deinen Stream reingeschaut, weil ich neugierig war."
Mein Geständnis ließ sie hochfahren.

Kim Miraes Gesicht war nun erschreckend blass und leichte Schatten zeigten sich unter ihren Augen. Noch immer atmete sie ein bisschen zu schnell und Schweiß rann ihr die Schläfe hinab.
"Du hast ihn dir angeschaut?" Ihre Stimme war kein bisschen begeistert oder dankbar für die zusätzliche Unterstützung.
"Ja, die erste Hälfte. Ich fand ihn echt gut. Aber jetzt sollten wir uns darum kümmern, dass du dich ausruhst."
Sie ignorierte die ernsthafte Besorgnis in meiner Stimme, schwang den verletzten Fuß vom Hocker und setzte sich aufrecht hin. Mit einer Hand hielt sie sich an der Couchlehne fest, die andere drückte sie in das unnachgiebige Sitzpolster.
"Ich wollte das alles auseinanderhalten. Es hat mir schon gereicht, dass dein Freund mich wiedererkannt hat", sagte sie schwach und sah zu mir, aber ohne mich anzusehen. Sie sah einfach durch mich hindurch.
Aber jetzt verstand ich zumindest, warum sie so negativ überrascht reagiert hatte. Sie hatte sich absichtlich so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit rausgehalten, damit sie ihr Privatleben weiterleben konnte. Deshalb war sie als G-Dee auch so anders, als im echten Leben. Die Streamerin war nur eine Kunstfigur, mit der Kim Mirae ihr Geld verdiente und sie sollte auch nichts weiter sein.
"Hey, mach dir keine Sorgen darum. Es wird keine Information, von Taehyung oder von mir weiterverbreitet werden. Keiner wird erfahren, wo du wohnst, wie du tatsächlich heißt oder wie du sonst aussiehst. Aber wir sollten dich jetzt wirklich ins Bett befördern."

Sie schien einverstanden damit zu sein, nickte träge und ließ die Hand von der Lehne gleiten. Kraftlos versuchte sie sich hochzuhieven, doch schnell knickten ihre Arme weg und sie sackte in sich zusammen.
Ohne weitere Nachfrage stellte ich mich neben sie, half ihr hoch und schlang einen ihrer Arme um mich, während ich einen um sie legte. Halb benommen dirigierte sie mich in ihr Schlafzimmer, das mit weiteren schlichten Holzmöbeln und einem riesigen Himmelbett voller weißer Kissen eingerichtet war und ließ sich so auf ihr Bett fallen, dass sie mich fast mit sich zog.
Wie eine Betrunkene versuchte sie sich ihren Pullover abzustreifen, blieb aber schnell mit dem Ellenbogen in einem Ärmel hängen und gab auf, den Pullover halb über ihren Oberkörper gezogen, so dass der Blick auf ein schwarzes Top und ein wenig nackte Haut frei wurde.
Ich bot ihr zögerlich an, ihr zu helfen, doch sie zog nur ihre Bettdecke unter sich hervor, ohne ihren Fuß zu belasten und versuchte sich zuzudecken. Ich zog die Decke höher, da sie kaum etwas bedeckte und nun noch mehr freie Haut zu sehen war.
"Namjoon, warum hilfst du mir? Du kennst mich doch kaum. Oder ist es weil du nun die berühmte Streamerin G-Dee kennengelernt hast und das ganz schön profitabel werden könnte?", sagte sie mit plötzlich heiserer Stimme, halb im Scherz.
"Für mich bist du nicht G-Dee, sondern Kim Mirae. G-Dee ist doch nur eine Kunstfigur, ein kleiner Teil von dir", entgegnete ich. Auf ihre erste Frage antwortete ich nicht, denn ich konnte nicht in einem Satz erklären, wieso ich ihr ohne jede Umschweife half und nicht einfach gegangen war, noch bevor ich es angekündigt hatte.
"Ach echt? Oft weiß ich selbst nicht, wer ich bin. Manchmal G-Dee, manchmal Kim Mirae, manchmal keine von beiden ..." Die Worte kamen mit einem ungeschickten Lallen über ihre Lippen und wieder versuchte sie sich den Pullover von Oberkörper zu streifen, doch schaffte es einfach nicht.
Ich hockte mich vor das Bett und tastete nach ihrer Stirn. Eindeutig Fieber. Und sie hatte es bestimmt schon eine Weile, so fertig wie sie war.

"Macht es dir etwas aus, wenn ich hier bleibe und auf deiner sehr gemütlichen, weichen Couch schlafe?", fragte ich und hoffte, ihr noch ein Lachen entringen zu können, aber bis auf ein Kopfschütteln und eine kaum erkennbare wegwerfende Bewegung mit der Hand, kam keine Antwort von ihr.
Ich verließ den Raum, suchte die Küche und befeuchtete ein Küchentuch, dass ich auf die Stirn meiner Nachbarin legte. Als ich zurück ins Wohnzimmer ging, ließ ich die Schlafzimmertür offen und legte mich auf das viel zu kleine und schmale Sofa.
Ich schrieb Taehyung, dass ich diese Nacht nicht wieder rüberkommen würde. Das würde eine lange, ungemütliche Nacht werden.
Das hatte ich zumindest erwartet, doch das eigentlich ungemütliche war der Wecker der irgendwo klingelte und mich sofort aus meinem tiefen Schlaf riss. Mein Körper schmerzte gar nicht so sehr, wie ich es von dem Sofa erwartet hatte und es hatte keine Zwischenfälle mit Kim Mirae gegeben, weswegen ich jetzt erstaunlich erholt aufstand, um diesen Wecker ausfindig zu machen und auszustellen.
Als ich ins Schlafzimmer trat hörte das Klingeln gerade auf und meine Nachbarin saß verschlafen und orientierungslos in ihrem Bett. Ihr verwirrter Blick fiel schließlich auf mich und sie begann zu kreischen.




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[hello, wieder ein wenig früher, da ich gleich wieder beim sport bin, hehe. wir lesen uns nächste woche! <3]

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt