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Wir aßen unser Frühstück beide im Schneckentempo. Der Unterschied zwischen unseren Essweisen war jedoch, dass Mirae generell eine langsame Esserin zu sein schien, ich hingegen versuchte so viel Zeit wie möglich zu schinden, um beschäftigt zu sein, während ich sie heimlich musterte.
Wie immer wirkte die junge Frau müde, aber dieses Mal hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil sie extra für mich zurückgekommen war. Um sich um meinen betrunkenen Arsch zu kümmern.
Ein bisschen peinlich war es mir schon, dass ich mich sturzbesoffen vor ihr Haus gesetzt hatte und sie dafür aufgekommen war. Wie, als wäre es selbstverständlich, hatte sie dafür gesorgt, dass ich ins Bett kam und dann auch noch für ein Frühstück gesorgt.
Schwer seufzte ich.
"Geht es dir nicht gut? Bitte kotz nicht gleich mein ganzes Frühstück wieder aus, ich habe mir Mühe damit gegeben", sagte Mirae und bei dem kleinen Schmollen in ihrem Gesicht, hätte ich am liebsten die Hand gehoben und ihre Wange getätschelt.
"Mir geht es gut, mit diesem Frühstück sogar noch viel besser", sagte ich heiser. Ihr Lächeln machte alles nur noch besser.
"Danke."
"Hör auf, dich zu bedanken, und iss. Es muss alles aufgegessen werden."

Nach dem Frühstück räumten wir gemeinsam ab und ich versuchte, Mirae so wenig machen zu lassen, wie nur möglich. Ich klaute ihr ihre Schüsseln und das Besteck und als wir am Ende gemeinsam nach dem leeren Suppentopf griffen, zankten wir darum, wer ihn in die Spüle stellte.
Niemals hätte ich gedacht, das gemeinsames Spülen und Radio hören so entspannend sein konnte, doch mit einer mich herumkommandierenden Mirae neben mir, die mir ständig Anleitung gab, wie ich meine Töpfe und Schüsseln viel schneller und effektiver Abwaschen konnte, war es die schönste Beschäftigung dieser Welt.
"Hast du vielleicht mal in einer Großküche Geschirr abgewaschen?", fragte ich sie, während sie eine Schüssel abtrocknete und sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen.
"Falsches Thema?" Ich wollte wirklich nicht in ein Fettnäpfchen bei ihr treten.
"So in etwa?", entgegnete Mirae leise und das Lächeln in ihrem Gesicht war traurig und schmerzhaft. Vermutlich hatte sie schon so einige Jobs erledigt, bevor sie eine gutbezahlte Streamerin wurde.
Ich entschied mich, schnell das Thema zu wechseln und hoffte, dass ich mich damit nicht noch tiefer reinritt.
"Darf ich fragen, wie alt du bist?"
Sie stellte die kleine Schüssel vorsichtig auf die Küchenplatte neben der Spüle und nahm sich die nächste Schüssel. Zuerst hatte ich das Gefühl, sie würde nicht auf meine Frage antworten, aber dann nahm sie mir eine Schüssel direkt aus der Hand, die ich schon seit geraumer Zeit spülte und sah mich ernst an.
"Siebenundzwanzig. Noch. In ein paar Wochen nicht mehr."

Auf der einen Seite war ich erstaunt, dass sie bereits siebenundzwanzig war. Ihrem Aussehen nach hätte ich sie viel eher auf zweiundzwanzig, höchstens vierundzwanzig geschätzt. Andererseits wirkte Mirae sehr erfahren und erwachsen und da machte ihre erwähnte Lebenszeit schon Sinn.
"Wie alt bist du, Namjoon?"
"Fünfundzwanzig."
"Gut, dann wissen wir jetzt, wie alt wir sind."
"Du hörst dich an, als würdest du noch mehr wissen wollen", neckte ich sie und reichte ihr grinsend einen schweren Topf. Sie musste ihn in beide Hände nehmen und auf dem Abtropfgitter abstellen, bevor sie ihn abtrocknen konnte.
"Bist du nicht derjenige mit den ganzen Fragen? Du willst mich ja nur dazu bekommen, dass ich dir eine Frage stelle."
"Touché", entgegnete ich.
"Na schön, lass mal sehen."
Mirae schürzte kurz die Lippen und runzelte die Stirn, doch sie überlegte und überlegte und es kam einfach keine Frage. Minutenlang standen wir bloß schweigend nebeneinander und ich hatte mir schon auf jede Frage eine Antwort zurechtgelegt. Nur hätte ich niemals mit der Frage gerechnet, die Mirae mir stellte.
"Vermisst du manchmal ein Leben, das du nie hattest? Immerhin haben dich bis zu diesem Zeitpunkt die Entscheidungen geführt, die du dein Leben lang getroffen hast."
"Das ist eine wirklich schwere Frage."
Ich stellte die Pfanne in das Abtropfgitter und stützte mich an der Spüle ab. Eigentlich dachte ich nicht so wirklich über Miraes Frage nach, sondern warum sie sie mir stellte. Was brachte sie dazu, über so etwas nachzudenken? Diese Frage war so unerwartet gewesen und trotzdem war sie ausgesprochen tiefgründig und auf erschreckende Weise sehnsuchtsvoll. Vermisste sie etwa ein Leben, dass sie nie hatte? Eines, dass sie vielleicht niemals hatte haben können?

Gerade, als Mirae ein Glas abgetrocknet hatte, griff ich nach dem Spültuch in ihrer Hand und trocknete meine Hände ab. Danach wiederholte ich den Vorgang an Miraes sichtbar trockener Hand, aber sie zog sie nicht weg, sondern ließ mich mit einer trockenen Stelle des Tuchs über ihre Finger und ihre Handfläche streichen.
"Nein", sagte ich und betrachtete Miraes zarte Hände mit den schmalen Fingern und sorgfältig gefeilten Nägeln. "Ich vermisse kein anderes Leben, ich bin dankbar für das, was ich habe, für das, was ich dank meiner Entscheidungen geschafft habe, für die Menschen, die ich dank meiner Entscheidungen kennengelernt habe."
"Es gibt wirklich nichts, was du bereust, weil du es nicht früher oder weil du es nie getan hast?"
Wenn ich so darüber nachdachte, gab es vielleicht doch etwas.
"Ich habe lange Zeit die herannahende Erschöpfung ignoriert, die mir jetzt jeden Ideenzweig klaut. Aber es ist nun einmal so, wie es jetzt ist. Auch wenn ich es in letzter Zeit manchmal ein bisschen bereue, habe ich meine Entscheidungen gezielt getroffen und ich bin auch dankbar dafür. Sonst wäre ich niemals hier gelandet."

Mirae schien mit den Gedanken weit weg zu sein, während sie meine Hände betrachtete, die noch immer sanft über ihre strichen. Ich wünschte, sie würde mir sagen, woran sie dachte, was dieses Thema in ihr auslöste, aber ich wusste, dass wir uns noch nicht lange genug kannten, als dass sie mir von einschneidenden Erlebnissen erzählen würde.
Als sie den Blick hob, schmunzelte sie mich verhalten an.
"Und du findest es hier so toll, weil ...?", fragte sie. Im Themenwechseln war sie immerhin ein Profi. Ich hatte im Gefühl, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass sie einem Gesprächsthema aus dem Weg ging.
"Hier konnte ich immerhin den besten Erdbeerkuchen der Welt entdecken."
Ihr Lächeln breitete sich langsam aus.
"Aber es ist nicht nur das, ich glaube, ein paar versteckte Schätze in diesem Dorf, können mir helfen, meiner Kreativität wieder näher zu kommen. Wenn es Meditation schon nicht schafft."
"Du hast dich an Meditation versucht? Hast du es auch richtig gemacht?"
"Richtig? Was kann man bei Meditation schon falsch machen?"
Ganz plötzlich wurde Miraes Ausdruck ernst und sie nahm meine Hände beschwörend in ihre, ehe sie sich etwas vorlehnte und mir tief in die Augen sah.
"So einiges", war das einzige, was sie sagte, ließ von meinen Händen ab und lief zur Küchentür.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich war so verwirrt, dass sie mich einfach stehen ließ, dass kein Wort über meine Lippen kam. Als Mirae sich fröhlich zu mir umdrehte, klappte ich den Mund wieder zu.
"Warte hier kurz auf mich. Ich gehe nur schnell etwas holen."
Sie drehte sich um und ging und ich kam nicht umhin, zum Küchenfenster zu laufen und ihr dabei zuzusehen, wie sie zu ihrem Haus hastete.



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[hello, kapitel kommt jetzt schon (unkorrigiert, weil stress). wurde an einer uni angenommen und weil ich schon so alt bin, hatte ich mega probleme da ein einfaches bild für den bibliotheksausweis undso hochzuladen ... habs dann doch geschafft, hehe. und das kapitel kommt heute früher, weil ich mich jetzt fertig machen muss, da heute abend ein treffen mit meiner ehemaligen klasse stattfindet und davor gehe ich noch mit meiner besten freundin spazieren, wie es sich für omis mit knapp/über zwanzig gehört. xD
wir lesen uns nächste woche! <3]

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt