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Der Kuss blieb die ganze Zeit über ein Kuss und es reichte aus, war mir aber gleichzeitig viel zu wenig. Ich wusste immer noch nicht, was es war, aber irgendetwas zog mich mehr und mehr zu Mirae hin. Ich wollte sie berühren, wollte sie einatmen, mit ihr verschmelzen und für immer so verweilen. Aber dieses für immer hielt nur für einen kurzen Moment an, bevor sie mich von sich schob und ihr Blick nicht die Zufriedenheit widerspiegelte, die noch immer in letzten Schüben durch meine Adern pulsierte.
"Hören wir auf damit", sagte sie schwer atmend und setzte sich auf, so dass ich zwangsweise zurückweichen musste.
Ich war verwirrt, noch immer erfüllt von dem beflügelnden Gefühl des Kusses und gleichzeitig fühlte ich mich wie an die nächste Wand gefahren.
"War ich zu voreilig? Aber du hast mich auch geküsst. Ich habe mich nach deinem Rhythmus orientiert und der war ganz schön stürmisch."
Mirae rieb sich über die Unterlippe. Ihr Blick wanderte ruhelos durch den Raum und sie sah nun aus, als würde sie das alles bitter bereuen.
"Du wolltest es eigentlich gar nicht", stellte ich fest.
"Ich wollte es und wir wollten es beide aus dem selben Grund und das ist nicht der richtige Grund, für so etwas. Zumindest nicht für mich."

Mirae stand auf und bückte sich zu der Yogamatte hinter mir, um sie aufzuheben und zusammenzurollen. Auch ich erhob mich.
"Und was sollte das für ein Grund gewesen sein? Willst du etwas unverbindliches? Wenn ja, dann bin ich dafür der falsche Ansprechpartner."
"Genau das will ich eben nicht."
"Und was ist dann das Problem? Ich habe dich nicht aus Spaß oder dem reinen Reproduktionstrieb geküsst."
"Aber du kannst mir auch nicht sagen, dass es vor allem die emotionale Anziehungskraft war, die dich dazu getrieben hat. Oder mich.
Ich seufzte entnervt, während Mirae bereits die zweite Yogamatte zusammenrollte und ich einfach nur dort stand, ihr dabei zusah, wie sie um mich herumwuselte und meinen Blick ganz vehement mied.
"Das, was ich vorher gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Dass ich vielleicht etwas gefunden habe, nach dem ich gar nicht gesucht habe."
"Soll das jetzt eine Liebeserklärung an mich sein? Namjoon, dich hat definitiv keine emotionale Anziehungskraft dazu getrieben, mich zu küssen. Menschen verlieben sich nicht so schnell."
Ihre Worte waren harsch und ich wusste, sie meinte es hundertprozentig ernst. Für mich war das ganze wie eine Ohrfeige, denn auch, wenn wir uns nicht ausreichend kannten, spürte ich, dass sich etwas in mir aufbaute, noch ganz im Anfangsstadium und es war nicht bloß irgendeine oberflächliche körperliche Anziehung, die Mirae in mir auslöste.

"Und wenn sie es doch tun?", fragte ich, klang schon beinahe ein bisschen kleinlaut, aber auch ich meinte ernst, was ich fragte.
Vielleicht war das alles überstürzt gewesen, vielleicht war es verwirrend und nicht der bekannten Norm entsprechend, aber es hatte sich richtig angefühlt und ich konnte nicht bestreiten, dass ich anfing etwas für meine Nachbarin zu empfinden, das über eine Nachbarschaft und sogar über eine platonische Freundschaft hinausging.
"Na schön, dann drücke ich es so aus: Von meiner Seite aus, gab es keine emotionale Anziehungskraft. Das war ein Fehler. Ich hätte mich nicht so gehen lassen sollen."
Sie raffte ihre Yogamatten unter den Arm und ging schleunigst zur Tür. Ich folgte ihr, doch da hatte sie die Tür schon geöffnet, war in den hereinscheinenden Sonnenschein getreten und hatte ihn beim Schließen der Tür wieder mit sich nach draußen genommen.
Verschwunden waren das Kribbeln und das Hochgefühl und zurückblieben nur Kälte und Verwirrung. Es hätte mich nicht so treffen sollen, aber das tat es. Es fühlte sich verdammt nochmal scheiße an, wie sie mich einfach hat abblitzen lassen. Dabei hatte sie mich genauso sehr küssen wollen, wie ich sie. Nur bei ihr waren keine Gefühle im Spiel gewesen und das war die größte Ohrfeige, die sie mir hätte verpassen können.
Das war wohl der Preis dafür, dass sie mir wenigstens die Wahrheit gesagt hatte. Man musste ja immer irgendetwas einbüßen, um etwas anderes zu bekommen. Auch wenn mir einen Augenblick zuvor noch der Kuss lieber gewesen wäre, als jede Wahrheit. Möglicherweise wäre er mir auch jetzt noch lieber gewesen.

Aus dem Affekt griff ich nach meiner Jeansjacke, die an dem einzelnen Haken neben der Tür hing, suchte meinen Schlüssel, den ich auf der Couch fand und verließ mit krachender Tür das Haus.
Ich verließ das Dorf, ging Feldwege, steinige Waldwege und noch mehr Feldwege entlang, bis ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wo ich war. Die strahlende Frühlingssonne schien heftig auf meinen Kopf und meine Schultern, als ich einen ungeschützten Weg ziellos entlangstreunte.
Selten kamen mir Autofahrer und noch seltener andere Spaziergänger entgegen und ich war froh darüber, denn so tief, wie ich die meiste Zeit in Gedanken versunken war, hätte ich sowieso niemanden grüßen können.
Meine innere Stimme drehte und wendete die Situation mit Mirae auf alle Seiten. Manchmal überlegte ich sogar, ob ich sie nicht doch zu sehr zu etwas gedrängt hatte, das sie nicht wollte. Nur weil sie mir gesagt hatte, dass sie den Kuss aus eigenem Willen erwidert hatte, musste es nicht heißen, dass das auch wirklich stimmte und dass sie nicht zu schüchtern und überfordert gewesen war, das zu sagen. Aber gleichzeitig war sie eine erwachsene Frau und hatte sich so ernst und abweisend angehört, dass sie es auch so gemeint haben musste.

Ich seufzte schwer, blieb auf dem Weg stehen und drehte mich um.
Wie bereits vermutet, hatte ich mich komplett verlaufen und es gab keinen wirklichen Anhaltspunkt wo ich lang musste, um zurückzukommen, weil erstens alles gleich aussah und ich mir zweitens den Weg, den ich gegangen war, nicht gemerkt hatte.
Ohne ihn zu kennen machte ich mich auf den Weg zurück. Orientierungslos, wie ich war und wie ich mich fühlte.




♫♪

[ich habe dem nicht hinzuzufügen, bin nämlich sad, weil ich meinen job während des studiums nicht weitermachen kann, weil die niemanden mehr brauchen. dabei waren die vorher so zuversichtlich. T__T
wir lesen uns nächste woche. ich gehe darüber nachdenken, welcher job nicht zu stressig neben zwei studienfächern wäre, meh.]

the most painful things  || kim namjoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt