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Wenn Ihr das Klischee nicht bemerkt habt, dann tut es mir leid. Vielleicht denkt Ihr bereits, dass ich mir das Ganze nur ausdenke. Aber ich schildere alles genauso, wie ich es in Erinnerung habe. Dabei bin ich mir nicht sicher, wie vertrauenswürdig die Erinnerungen einer Verrückten sind.

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Am darauffolgenden Tag hing ich nach meiner Schicht mit zitternden Händen am Telefon. Zum Glück war ich auch an diesem Tag noch Anna. Beth hätte Zach mit Sicherheit auch angerufen, nur wäre das Treffen dann ganz anders verlaufen. Es hätte bestimmt auf der Rückbank in seinem Wagen geendet. Oder auf den Liegen beim Pool in seiner superschicken Villa. Oder in dem Himmelbett. Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von seinem Haus, auch, wenn ich immer nur die Dachterrasse sehen konnte, wenn ich beim Joggen oder Spazieren dran vorbeikam, weil es von einem hohen, schwarzen Zaun und grünen Hecken umringt war.

„Zachary Parsons." Er klang so formell, und ich musste Schlucken, weil ich einfach nur ich war. Ein bisschen hatte ich gehofft, dass er nicht abheben würde, oder mir eine falsche Nummer gegeben hatte.

„Ähm... Hey. Ich bin's, Anna."

„Oh, hey", er lachte nervös. „Verdammt, ich dachte nicht, dass du wirklich anrufst!"

Ähm...

„Was soll das heißen?", fragte ich ein bisschen irritiert nach und fühlte mich sofort gekränkt und dämlich, dass ich überhaupt angerufen hatte.

„Oh Gott! Versteh das nicht falsch", sagte er schnell. „Ich bin wirklich froh, dass du angerufen hast, aber ich hätte nicht damit gerechnet. Ich bin ein Fremder, der das Geschirr auf deiner Arbeit zertrümmert und dir seine Nummer gegeben hat."

Ich musste lächeln, weil seine Versuche, gerade zu biegen, was ich in den falschen Hals bekommen hatte, ziemlich niedlich waren.

„Hast du Zeit?", fragte er, nachdem ich einige Sekunden nichts mehr gesagt hatte.

„Äh, ja, klar." Ich griff mir an die Stirn. „Deshalb rufe ich an. Ich hoffe, du bist nicht zu beschäftigt. Du scheinst ja wirklich nicht damit gerechnet zu haben, dass ich so dämlich bin, mich mit einem Fremden treffen zu wollen."

„Naja, wenn du Glück hast, lass ich heute mal meine Axt zu Hause." Ich konnte sein Schmunzeln beinahe hören. „Wollen wir uns in einer Stunde im Biscotti&Cie treffen? Wer weiß, vielleicht lasse ich auch das Geschirr diesmal ganz."

Ich musste lachen. „Hoffentlich." Meine Chefin hätte das bestimmt auch begrüßt. „Also, in einer Stunde..."

„Bis dann!"

Ich nickte. „Bis dann."

Er legte auf, und ich bekam Hitzewallungen.

Zachary Parsons.

Ich würde mich mit Zachary Parsons in einer Stunde im Biscotti&Cie treffen! Ich hatte mich noch nie mit einem Jungen getroffen. Zumindest nicht absichtlich. Ich hielt mich generell von Menschen fern. Es war einfacher, als die Tatsache zu verstecken, dass in meinem Körper zwei Personen lebten.

Aber das hier würde eine einmalige Sache werden, also würde ich es auch durchziehen und genießen. Sofern ich nicht vor Nervosität gelähmt sein würde.

Beth hatte ständig Männergeschichten am Laufen. Sie war gut im Flirten, gut im Bett und hatte schon mehrere Freunde gehabt. Deshalb gab sie mir einen Crashkurs, während ich unter der Dusche stand und mich nach ihren Anweisungen rasierte -nur für alle Fälle.

„Schweigepausen sind dein Feind", informierte sie mich. „Überleg dir Dinge, die du ihn Fragen kannst. Und wenn er etwas von sich erzählt, dann frag da am besten auch hin und wieder nach, dann geht der Gesprächsstoff nicht so schnell aus."

Sie schlug vor, meine Haare offen zu tragen, weil Männer das angeblich toll fanden. Ich wusste nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe gab, einen guten Eindruck auf Zach zu machen. Nach dem heutigen Tag würde ich ihn ohnehin nie wieder sehen. Aber vielleicht wollte ich ja genau deshalb einen guten Eindruck hinterlassen.

Ich tuschte meine Wimpern, zog meine Augenbrauen nach und trug einen dezenten roten Lippenstift auf.

Gerade, als ich aus dem Haus gehen wollte, kam meine Schwester die Auffahrt hinauf gelaufen, kam ins Haus und ließ den Schlüssel in die kleine Keramikschale auf dem Tisch neben der Türe gleiten. Sie betrachtete mich überrascht, während ich in meine Jacke schlüpfte und meine Haare noch einmal im Küchenfenster überprüfte.

„Hast du ein Date?", fragte sie irritiert. Natürlich wusste sie, dass ihre kleine Schwester nicht auf Dates ging. Nicht in diesem Leben. Und Beth schlich sich immer nach Mitternacht aus dem Haus und kam vor Sonnenaufgang zurück, sodass niemand etwas mitbekam.

Ich schüttelte den Kopf. „Kein Date. Nur... ein kleines Treffen mit jemandem. Auf einen Kaffee. Unwichtig."

Brielle nickte, streifte die Schuhe ab und band ihre blonden Haare zu einem wirren Knoten zusammen, bevor sie sich auf die Couch fallen ließ und den Fernseher einschaltete.

„Wann kommst du nach Hause?"

„Weiß noch nicht. Wird bestimmt nicht lange dauern... Bis später!" Ich schnappte mir meine Tasche und verschwand.

„Du hättest ihr von Zach erzählen sollen", meinte Beth, als ich über die Grasfläche bis zur Straße marschierte.

„Nein, hätte ich nicht."

Brielle war vor zwei Monaten von ihrem Freund verlassen worden, der nach Alaska gezogen war. Eine Fernbeziehung hatte er nicht gewollt. Meine Schwester hatte sich die ersten zwei Wochen in ihrem Zimmer verschanzt, Vanilleeis gegessen und sich von ihren Freundinnen bemitleiden lassen. Langsam ging es ihr besser, und deshalb wollte ich ihr die Sache mit Zach nicht unter die Nase reiben.

Während ich die Straße entlang ging, fuhr mein Bruder in seinem Auto an mir vorbei und hupte. Ich winkte ihm zu. Er hatte Feierabend und war ebenfalls auf dem Weg nach Hause.

Unser Vater war vor einem halben Jahr gestorben, aber wir wohnten alle noch im selben Haus. Es war nicht unsere erste Wahl gewesen, in diesem Haus wohnen zu blieben, aber es war nicht so leicht, sich etwas Eigenes zu suchen. Zum einen, weil die Wohnungen und Häuser in Chelsea nicht unbedingt billig waren, und zum anderen, hätten die anderen das Haus aufgeben müssen, wenn einer von uns ausgezogen wäre. Es war schon zu dritt schwer genug, für die ganzen Kosten aufzukommen.

Aber ich hätte mir gerne etwas Eigenes gesucht.

Das Biscotti&Cie trat in mein Sichtfeld. Es war ein angenehmer Sommertag, nicht ganz so heiß wie gestern, weshalb das mit den offenen Haaren auch klappte. Die Winter hier konnten zwar so eisig sein, dass meine Wimpern gefroren, aber die Sommer waren oft warm, gerade um die Nachmittagszeit herum.

Als ich das Café betrat, war es nicht mehr so voll, wie bei Ende meiner Schicht. Belinda, meine Kollegin die immer zwei Stunden nach mir begann und auch später aufhörte, sah mich verwundert an, als sie mich -für meine Verhältnisse- aufgetakelt wieder durch die Türe spazieren sah.

„Kannst du nicht genug von deiner Arbeit bekommen?" Doch, und meine Füße brachten mich um. Gerne wäre ich jetzt zu Hause auf der Couch gelegen und hätte mit Brielle eine Talkshow geschaut.

„Ich bin verabredet", winkte ich schnell ab und sah mich um. Zach war noch nicht da, also setzte ich mich vorne an die Fensterfront. So seltsam es auch klingen mag: Ich war in diesem Café noch nie Gast gewesen und erst jetzt fiel mir auf, wie bequem es hier war, wenn man nicht sieben Stunden Essen und Getränke hin und her tragen musste. Auf der einen Seite ging der Blick auf die kaum befahrene Straße und dahinter war fast nur Wald. Das Holz, aus dem die Terrasse gebaut war, war hell und wirkte warm. Von meinem Platz aus, konnte ich alles sehen. Die Holztische, die kleinen Tischdeckchen und die, mit rotem Stoff überzogenen, Stühle waren beinahe ein typisches Indiz für ein Café in Chelsea.

Das Glöckchen über der Türe klingelte, ich hielt die Luft an, als mein Blick zum Eingang schnellte und ich Zachs Statur ausmachen konnte, noch bevor er sich zu mir drehte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er mich sah.

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Falls jemand darauf hofft, dass das klischeehafte Aufeinandertreffen besser wird, kann ich an dieser Stelle direkt sagen: Nein.

Aber die Klischeehaftigkeit am Anfang unsererGeschichte, hat das grauenvolle Ende wohl ausgeglichen. 

AnnabethWo Geschichten leben. Entdecke jetzt