Ich glaube, ich muss niemandem ein Bild von dem malen, was bei Conway passiert ist, oder?
Eigentlich hätte ich wissen müssen, was Beth vorhatte, aber ich bin immer noch zu schockiert über die Geschehnisse gewesen. Ich habe geglaubt, dass sie bei Conway Rat und Hilfe suchen würde. Dass sie ihm anvertrauen würde, was geschehen war. Aber ich habe vergessen, dass Beth einfach nur untertauchen wollte, um uns zu schützen. Jedoch nicht, ohne sie gebührend von Conway zu verabschieden.
Was genau bei ihm passiert ist, weiß ich nicht mehr, weil ich nur die Bilder an das Blutbad im Kopf und die unbändigen Schuldgefühle in der Brust gehabt habe.
Ich werde also niederschreiben, woran Beth sich erinnert, was ebenfalls nicht sonderlich viel ist. Wir sind beide unter Schock gestanden. Sie weiß noch, dass Conway ziemlich verschlafen und überrascht die Türe seines Hotelzimmers geöffnet hat. Sie weiß noch, dass sie ihn sofort geküsst hat und ihn in sein recht großes, altmodisch eingerichtetes Apartment zurückgeschoben und sich dabei die Kleider vom Leib gerissen hat. Ich weiß, dass sie mit ihm geschlafen hat, aber ich erinnere mich an keine konkreten Konversationen oder Handlungen und Beth erspart mir zum Glück jegliche Details. Anscheinend soll Conway sie gefragt haben, was los ist und ob ich damit einverstanden war, aber Männern fiel es schwer, Fragen zu stellen, wenn Beth auf ihnen lag und ihnen meine Zunge in den Mund steckte.
Beth hat ihm kein Wort von dem gesagt, was passiert ist, aber ich bin mir sicher, dass er es mittlerweile weiß. Er hat bestimmt in den Nachrichten von Zachs Tod gelesen oder gehört und eins und eins zusammen gezählt.
Conway ist recht schnell nach dem Sex wieder eingeschlafen. Eine Weile ist Beth noch geblieben, hat sein ruhendes Gesicht beobachtet und stumm vor sich hin geweint, bevor sie sich wieder angezogen und aus dem Staub gemacht hat.
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Der schwarze Himmel begann gerade, sich dunkelblau zu färben, als Beth das Hotel wieder verließ. Ich bekam kaum mit, wohin sie mich führte, aber irgendwann erkannte ich die Gegend doch wieder.
„Das kannst du nicht ernst meinen", brachte ich nur heraus, als ich mir ganz sicher war, zu wem sie wollte.
„Und ob. Er ist der Einzige, der uns helfen kann."
„Wie?", rief ich fassungslos aus, aber sie antwortete mir nicht. „Beth, klär mich gefälligst auf! Wie sollte Sebastian uns eher helfen als Conway?!" Sie ging stur weiter. Ein bisschen kam sie mir vor, wie ein Roboter. Sie mied Menschen und hielt ihr Gesicht mit der Kapuze so verdeckt wie möglich. Sie sah kaum nach links und rechts, bog mechanisch in die richtigen Straßen ein und ignorierte die beißende Kälte, die mich hätte zittern lassen, als wäre ich von einem Stromschlag erwischt worden.
Schließlich kam sie an dem kleinen Haus an, lief die wenigen Treppen zur Veranda hinauf und klopfte. Laut und aggressiv. Vielleicht war es auch Verzweiflung oder Angst, die sich in Form von Aggressivität bemerkbar machte.
Sie klopfte so lange gegen das Glas, bis sie einen Schatten sah, der sich der Scheibe näherte. Als Sebastian uns die Türe öffnete sah er irritiert und verunsichert auf uns herab.
„Egal, ob Anna, Beth oder sonst jemand", begann er und rieb sich die Augen. „Es ist viel zu früh."
Verbissen drängte sie sich an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Warme, dicke Luft schlug uns entgegen und Sebastian schloss die Türe hinter uns.
„Du musst uns helfen", sagte Beth und drehte sich zu ihm. Ihre Worte klangen weniger nach einer Bitte, als nach einem Befehl.
„Lass ihn in Ruhe!", flehte ich Beth an. „Er hat damit doch nichts zu tun. Bitte, zieh ihn da nicht mit rein!" Ich hätte mich genauso gut mit einem Schokoriegel unterhalten können.
Sebastian zog die Augenbrauen zusammen. „Um halb sieben Uhr morgens? Was ist los? Habt ihr jemanden umgebracht?"
„Oh Gott", murmelte ich und hätte den Kopf geschüttelt, wenn ich gekonnt hätte. Als wir nicht sofort antworteten, richtete er sich wachsam auf.
Beth nahm ein paar tiefe Atemzüge, bevor sie zu sprechen begann, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Ich glaube, Jamie hat Zach umgebracht, als er schlafgewandelt ist."
Unruhig wartete sie auf eine Antworte, während Sebastian sie nur mit großen Augen und offenem Mund anstarrte und offensichtlich darauf wartete, dass sie das alles als Scherz enttarnen würde. Wir standen ihm bestimmt eine Minute gegenüber, bevor er sich wieder bewegte.
„Ich mach dir erst mal Pop-Tarts."
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Annabeth
Mystery / Thriller„Wenn ich abends einschlafe, dann weiß ich nicht, ob in meinem Körper Anna oder Beth aufwachen wird." -- -- Wann Beth sich in Annas Kopf eingenistet hat, weiß Anna nicht mehr. Sie weiß nur, dass Beth eine Menge schlechter Entscheidungen trifft, die...