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Bestimmt merkt Ihr, dass ich mich nicht allzu sehr in Details verliere und versuche, nicht abzuschweifen. Ich bin keine große Schriftstellerin, das hier ist mein erstes und einziges Buch, und ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, meine Geschichte zu vollenden, bevor sie mich finden.

Aber ich muss sie vollenden.

Ich weiß noch, dass ich bei der Abschiedsumarmung eine fünfstellige Zahl in Gedanken gesagt habe. Zach hat sich daran nicht gestört.

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Ich hätte ihn gerne wieder gesehen, aber die Tage darauf hatte Zach doch einiges zu tun, und ich hatte ohnehin die meiste Zeit gearbeitet. Mein Tagesablauf war immer derselbe. Ich stand um sieben auf, joggte ein bisschen in der Gegend herum, aß Müsli, sprang unter die Dusche und ging dann zur Arbeit. Manchmal war es Beth, die diesen Tagesablauf akribisch erfüllen musste, aber sie aß lieber Pop-Tarts zum Frühstück.

Am Samstagabend bekam ich eine Nachricht von Zach. Ziemlich verwundert und mit rasendem Herzen öffnete ich sie. Er fragte, wie es mir ging, und ob ich am Sonntag Zeit und Lust hätte, mich mit ihm zu treffen. Etwa eine Minute lang saß ich wie erstarrt auf der Couch in meine Kuscheldecke gewickelt, mit der Kapuze meines Pullis auf dem Kopf und las die Nachricht wieder und wieder, weil ich glaubte zu träumen. Aber nein.

Morgen... Morgen...

„Hab ich morgen etwas vor?", murmelte ich vor mich hin.

„Selbst wenn", warf Beth ein und hatte damit vollkommen recht. Mit zitternden Fingern gab ich meine Zusage. Er wollte mich bei mir zu Hause abholen, aber um ehrlich zu sein, wollte ich nicht, dass ein praktisch Fremder nach einem Treffen meine Adresse kannte. So reich und gutaussehend hätte dieser Jemand nicht sein können. Naja, gut. Tobey Maguire vielleicht. Aber nur ganz vielleicht.

Deshalb schlug ich vor, dass ich vor dem Biscotti&Cie auf ihn warten würde. Er gab noch einen Kommentar von sich, dass ich meine hohen Schuhe im Schrank lassen sollte, was mich ein bisschen irritiert zurück ließ. Wo zum Geier wollte er mich hinschleppen?

„Strand?", rätselte Beth. „Da würdest du mit den hohen Hacken im Sand stecken blieben."

„Was für ein Strand?", schmunzelte ich. In Chelsea gab es höchstens kleinere Seen in Waldgegenden.

„Privat-Jet?" Beth sagte es, als sei es offensichtlich gewesen.

Den ganzen restlichen Abend verbrachte ich mit Herzflattern und einem immer wieder auftretendem dämlichen Grinsen im Gesicht, das meine Geschwister verwunderte. Es kam nicht allzu oft vor, dass ich sichtbar glücklich war.

Ich hatte nicht wirklich gedacht, jemals wieder etwas von Zach zu hören, zumindest hatte ich mir keine Hoffnungen machen wollen.

Für manche war Hoffnung der einzige Grund, morgens aus dem Bett zu kriechen. Für mich waren Hoffnungen wie Gift, das an meiner Seele nagte.

In den letzten Tagen hatte ich fast alle Gedanken an Zach aus meinem Kopf verbannt, aber jetzt waren sie wieder über die Absperrung geklettert.

Beim Abendessen ließ Brielle beiläufig die Frage fallen, ob ich mich morgen wieder mit dem Typen treffen würde und deshalb so glücklich und zappelig war. Daraufhin durfte ich mir blöde Kommentare meiner Brüder anhören. Von Jedrek war das zu erwarten gewesen, er war fünfzehn. Aber Owen war bald sechsundzwanzig, hatte seit sechs Jahren eine Freundin und benahm sich immer noch wie dreizehn, als er mich stichelte und mit nervigen Fragen löcherte, die aber alle unbeantwortet blieben.

Am nächsten Morgen dann der Schreck.

„Verdammt...", murmelte Beth, als sie aufwachte.

Das darf doch nicht wahr sein! In den letzten Tagen hatte sie zwei Mal die Führung übernommen. Und genau heute beschloss das Glücksrad, sie ans Steuer zu lassen?

AnnabethWo Geschichten leben. Entdecke jetzt