Am selben Tag meldete ich mich bei der Arbeit krank und verkroch mich in meinem Zimmer.
Ich war sauer auf Mr. Parsons.
Ich war sauer auf die blauen Vorhänge.
Ich war sauer auf Zach.
Ich war sauer auf die braunen Flecken auf meiner Frühstücksbanane.
Ich war sauer auf Beth.
Ich war sauer auf den Wind, der mich beim Joggen gebremst hatte.
Aber in erster Linie war ich sauer auf mich.
Trotzdem klebten meine Gedanken weitestgehend an gestern Nacht fest. Die Dinge, die Zach mir (oder Beth) ins Ohr geflüstert hatte. Unsere warmen Körper so dicht aneinandergepresst, dass kein Blatt Papier mehr dazwischen gepasst hätte. Seine fluffig weiche Bettdecke und die Matratze, die einen das Gefühl haben ließ, auf Wolken zu schlafen. Jede Berührung, die mich tatsächlich auf Wolken hatte schweben lassen.
Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, dass all das keine Rolle mehr spielte. Ich würde Zach nicht wieder sehen und das wollte ich auch nicht. Punkt. Also machte es gar keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Als Owen an meiner offenen Zimmertüre vorbeikam, blieb er stehen.
„Warum bist du nicht bei der Arbeit?", fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Krank."
„Du siehst nicht sehr krank aus."
„Du bist auch nicht bei der Arbeit."
„Ich hab frei", entgegnete er in seinem überheblichen erwachsenen Tonfall, dabei war er nur ein paar Jahre älter als ich. „Hey, hattest du gestern nicht dein Date? Wie war's? Ich hab dich gar nicht mehr nach Hause kommen hören."
Ich drehte mich zum Fenster und starrte auf die blauen Vorhänge, auf die ich heute so wütend war. „War ganz okay."
„Jed hat übrigens Hausarrest."
„Okay."
„Willst du nicht wissen, was er angestellt hat?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaub dir auch so, dass er Mist gebaut hat. Wie lange hat er Hausarrest?"
„Eine Woche."
„Okay."
Ich hörte, dass sich seine Schritte von meinem Zimmer entfernten, aber dann kamen sie wieder zurück. „Geht's dir gut?"
„Ja."
„Ist was passiert?"
Ich seufzte genervt. „Nein. Lass mich bitte in Ruhe, okay?"
Owen und ich hatten nie ein richtiges Bruder-Schwester-Verhältnis zueinander gehabt. Wenn ich ehrlich war, kannte ich den Kerl kaum. Ich wusste, dass er wie Jed gerne Spagetti aß. Ich wusste, dass Rot seine Lieblingsfarbe war. Ich wusste, dass er Klassenbester gewesen war. Ich wusste, wo er arbeitete und was er im Monat verdiente. Ich wusste, an welchen Wochentagen er fürs Einkaufen, Aufräumen, Abspülen, Wäschewaschen oder Müllentsorgen dran war. Und ich wusste, dass er längst zu seiner Freundin in die USA gezogen wäre, wenn er sich -als der Älteste- nicht für uns verantwortlich gefühlt hätte. Vielleicht war das der Grund, warum ich seit dem Tod unseres Vaters nicht mehr wirklich mit ihm zurechtkam und ein bisschen den Respekt vor ihm verloren hatte.
Weil es pures Pflichtgefühl war, das ihn bei uns hielt.
-
Die darauffolgenden Tage versuchte Zach -zu meiner großen Überraschung- oft, mich anzurufen, aber ich ignorierte ihn. Warum genau, wusste ich nicht einmal. Vielleicht, weil ich keine Lust darauf hatte, seine Nutte auf Knopfdruck zu werden. Weil ich nicht von ihm benutzt werden wollte, um seinem Vater eins auszuwischen.
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Annabeth
Mystery / Thriller„Wenn ich abends einschlafe, dann weiß ich nicht, ob in meinem Körper Anna oder Beth aufwachen wird." -- -- Wann Beth sich in Annas Kopf eingenistet hat, weiß Anna nicht mehr. Sie weiß nur, dass Beth eine Menge schlechter Entscheidungen trifft, die...