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Ich habe nie Probleme damit gehabt, Blut zu sehen. Ganz im Gegensatz zu Beth. Wenn es nicht ihr eigenes Blut war, wurde ihr sofort übel und schwindelig.

Und auf genau diese rot klebrige Flüssigkeit auf meinen Händen starrte sie voller Entsetzen, sobald sich ihre Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten.

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„Igitt!", rief sie in höchsten Tönen aus und sah an sich herunter. Vorsichtig griff sie nach ihrer Brille und drückte sie sich auf die Nase. „Verdammt, sag mir nicht, dass wir schon wieder unsere Tage-" Sie brach in dem Moment ab, in dem sie an mir herunter sah und bemerkte, dass nur meine Hände voller Blut waren. Widerliches, halbgetrocknetes Blut.

„Igitt", hauchte sie diesmal, und Übelkeit kroch in ihr hoch. Ein Schauer durchfuhr meinen Körper und sie schüttelte sich. „Zach!", rief sie reflexartig durchs ganze Haus.

„Such ihn!", wies ich sie an. „Er ist sicher in seinem Arbeitszimmer, weil er wieder mal nicht schlafen konnte." Mit vor Ekel verzogenem Gesicht und rasendem Herzen befolgte sie meine Anweisung und lief zitternd durchs ganze Haus, während sie mit dem rechten Ellenbogen alle Lichter anschaltete, deren Schalter sie auf dem Weg erreichte und alle fünf Sekunden Zachs Namen rief. Plötzlich blieb sie stehen und starrte auf den Boden.

„Das ist...", brachte Beth hervor und musste beinahe würgen, als sie bemerkte, dass sie einer Blutspur folgte. Es waren nur einzelne Tropfen, mit riesigen Abständen, aber sie waren da. Sie ging an seinem Arbeitszimmer vorbei, da sie weiter vorne am Gang noch einen Tropfen Blut entdeckte. Sie bewegte sich die Treppen hinunter. Ihre Beine waren so stabil wie Gelee, und sie klammerte sich am Geländer fest, wobei sie eine viel deutlichere Blutspur hinterließ, als die kleinen Tröpfchen.

Unten angekommen lugte sie nur um die Ecke, dort, wo die Bluttropfenspur sie hinführte. Sie erblickte das Massaker nur für den Bruchteil einer Sekunde, sog scharf die Luft ein und drückte sich gegen wie Wand.

„Beth!", schrie ich panisch, ohne selbst genau zu wissen, was genau ich mir davon erhoffte. Sie antwortete ohnehin nicht, sondern versuchte lediglich nicht zu hyperventilieren und sich nicht zu übergeben. „Beth, war das Zach?! Du musst zu ihm!"

Während ich sie anschrie und anflehte und fluchte, weil ich nicht die Kontrolle über diesen Körper hatte, blieb sie wie erstarrt stehen, hatte die Augen aufgerissen und wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich stürzte sie kurzerhand nach oben, in Zachs Badezimmer und übergab sich.

„Geh sofort wieder zu ihm! Du musst runtergehen und nachsehen, ob er noch lebt!", weinte ich hysterisch, aber nachdem Beth ihr Erbrochenes hinuntergespült hatte, wusch sie sich hektisch das Blut von den Händen, spülte ihren Mund aus und betrachtete dann schweratmend mein Spiegelbild.

Sie sah buchstäblich mir in die Augen, als ihr Blick binnen Sekunden von verzweifelt und überfordert in eiskalt und entschlossen über wich. Diese abrupte Verwandlung machte mir Angst. Der Blick in ihren Augen machte mir Angst. Die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, was sie vorhatte, machte mir Angst.

Sie stieß sich vom Waschbecken weg, ging zurück in Zachs Zimmer und packte meine Tasche.

„Was machst du da?!", schrie ich wütend und wollte meinen Körper Richtung Wohnzimmer bewegen, aber es war zwecklos. Beth hatte die volle Kontrolle und stopfte Pullover, Jeans und T-Shirt in den Rucksack, zog sich ihre schwarze Jacke über, schlüpfte in ihre Boots, nahm das Handy vom Nachttisch, schulterte die Tasche und polterte die Treppen nach unten. Sie verließ das Haus, ohne dem Grauen auch nur einen einzigen weitern Blick zuzuwerfen, weshalb ich mich kaum noch daran erinnern kann, wie es genau ausgesehen hat.

AnnabethWo Geschichten leben. Entdecke jetzt