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Es erleichterte mich, dass Beth irgendwann doch ins Schwitzen kam. Die Luft wurde kälter. Der Hügel steiler. Aber Zach versicherte uns, dass wir bald am Ziel waren.

„Und was ist am Ziel?", murrte Beth, wofür ich sie am liebsten geschlagen hätte, aber Zach ließ sich davon nicht verunsichern.

„Wirst du schon sehen." Er war so überzeugt, dass ich keinerlei Zweifel daran hatte, dass mir tatsächlich gefallen würde, was auch immer mich am Ziel erwarten würde.

„Wehe, er hat nicht vor, uns zu küssen, wenn wir am Ziel sind", meinte Beth an mich gewandt.

„Du wirst ihn nicht küssen!", rief ich. „Ich will ihn küssen!"

„Dich würde kein Mensch küssen", erwiderte sie. „Dazu fehlt dir der nötige Sex-Appeal."

„Fürs küssen braucht man ja wohl kein Sex-Appeal!"

„Und wie. Ohne den Körperkontakt, den ich für dich aufgebaut habe, würde er nicht mal auf die Idee kommen, dass du in ihm mehr als einen Freund siehst. Männer checken es ohne Körperkontakt einfach nicht."

Als wir an der Spitze des kleinen Berges ankamen, blieb Beth nicht mehr wegen der sportlichen Betätigung die Luft weg.

„Wow!", hauchten wir gleichzeitig, weil wir über ganz Chelsea sehen konnten. Die vielen Wälder, die tiefblauen Seen, über uns der mit weißen Wattebauschen ausgefüllte Himmel. Die kleinen Häuschen, die die Landschaft sprenkelten.

„Das war es wirklich Wert...", meinte ich und Beth nickte zustimmend.

„Gefällt es dir?", fragte Zach und trat hinter uns.

„Sag Ja und geh einen Schritt von ihm weg!", flehte ich, aber Beth hatte andere Pläne. Sie sagte zwar Ja, aber statt einen Schritt nach vorne zu tun, lehnte sie sich sanft gegen seine Brust. Er streichelte mit seinen Fingerknöcheln über meinen rechten Arm und hinterließ einen wohligen Schauer, den selbst Beth nicht ignorieren konnte.

„Riechst du das?", fragte sie mich. „Er riecht gut, oder?"

„Das ist nur sein Schweiß", behauptete ich.

„Dann ist es guter Schweiß."

Sie verschränkte die Hand mit seiner.

„Es gefällt mir sogar sehr gut", flüsterte sie und drehte den Kopf.

„Bitte, lass seine Hand los!", knurrte ich, obwohl ich zugeben musste, dass es sich verdammt gut anfühlte, aber wenn der Körperkontakt so schnell auf hundertachtzig schaltete, war es unmöglich, mit der emotionalen noch aufzuholen. Und ich wollte, dass die emotionale Ebene mit der körperlichen mithalten konnte. Und was noch viel wichtiger war: Ich wollte selber Zachs Hand halten und das nicht Beth überlassen!

Ich wollte nicht mit siebzig auf mein Leben zurückschauen und denken: „Damals, mit zwanzig, hätte ich beinahe Zachary Parsons geküsst, wenn an dem Tag nicht meine andere Hälfte aufgewacht wäre."

Aber sein Blick fiel immer wieder auf meine Lippen und das war für Beth die willkommenste Einladung des Jahrhunderts.

„Soll ich ihn küssen?", fragte sie mich schwach und biss sich auf die Unterlippe.

„Nein, sollst du nicht! Ich will ihn küssen und bei dir entwickelt sich ein Kuss immer zu mehr! Denk nur an die Syphilis, die du uns eingebrockt hast! Es hat drei Wochen gejuckt und gebrannt."

„Er hat schon keine Geschlechtskrankheiten. Ich spür doch, wie heiß er dich macht."

„Das bist du!", fauchte ich, ungläubig über ihre Dreistigkeit, ihre Geilheit auf mich abzuschieben. „Er macht dich heiß!"

Gut, okay, es war vielleicht nicht einzig und alleine Beths Vorfreude zuzuschreiben, aber großteils. Und noch bevor ich weitere Einwände aussprechen konnte, drehte Beth sich ganz zu ihm, legte ihm eine Hand in den Nacken und drückte ihre Lippen auf seine. Er hatte weiche Lippen, wie ich feststellen durfte. Er legte seine Hände auf meine Taille und Beth drückte sich näher an ihn. Er streichelte mit seiner Zunge über ihre Lippen und das reichte ihr vollkommen, um den Kuss noch viel inniger werden zu lassen.

In diesem Moment hasste und liebte ich Beth zugleich. Einerseits wusste ich, dass es ohne sie niemals bereits jetzt zu einem Kuss gekommen wäre, und gleichzeitig hasste ich sie, weil sie mir meinen ersten Kuss mit Zach einfach genommen hatte!

Aber obwohl Beth es war, die ihn küsste, fühlte es sich für mich gut an. Sie ließ eine Hand unter sein Shirt gleiten und streichelte über seinen durchtrainierten Bauch.

„Wow...", seufzte sie selig. Er küsste sich von meinem Mund bis zu meinem Hals, an die Stelle, die mir immer eine Gänsehaut über den Körper jagte, wenn sie jemand so zart mit den Lippen berührte, wie Zach es gerade tat. Nicht, dass mich ein Junge schon einmal am Hals geküsst hätte (oder überhaupt), aber Beth wurde oft und gerne am Hals geküsst und ich hatte gelernt, es einfach zu genießen.

Aber in diesem Moment wollte ich Ich sein und Zachs Körper so berühren und ihn so küssen, wie ich es wollte. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als im Beifahrersitz auszuharren und Beth alles so machen zu lassen, wie sie es eben wollte.

Ihre Münder fanden wieder ihren Weg zueinander und als Beth sich gegen ihn drückte, merkte sie, wie erregt er bereits war.

Schweratmend löste sie sich von ihm und biss sich wieder auf die Lippe, während sie ihn anblinzelte, als wäre sie ein ergiebiger Hund. Ich hatte schon bei ihren anderen Freunden gemerkt, dass die meisten auf dieses unterwürfige Verhalten abfuhren, mir war nur nicht ganz ersichtlich, warum das so war.

„Gehen wir zurück zu deinem Auto?", fragte sie, streichelte mit dem Daumen über seine Unterlippe und drückte sich noch ein bisschen näher an ihn.

„Gott, kannst du dich nicht zusammenreißen?!", fauchte ich.

„Du willst es doch auch! Nur kriegst du es nicht hin. Du stotterst zu viel!"

„Schlaf bloß nicht mit ihm, ich warne dich! Du hast mir schon den Kuss geraubt!"

Genervt stöhnte sie auf. „Gott, wach auf, Anna! Er will nur Sex. Sieh ihn an. Die Frauen laufen ihm in Scharen hinterher! Ich wollte es dir nicht so direkt sagen, aber du lässt mir keine Wahl. Du hängst in deiner Traumwelt fest. Nach dem heutigen Tag wird es kein weiteres Treffen geben. Also entweder lässt du mich das jetzt durchziehen, oder du wirst dein Leben lang bereuen, die Gelegenheit gehabt und nicht genutzt zu haben, diesen Mann nackt zu sehen!"

Ich schwieg. Vermutlich hatte sie recht. Was hätte ein Millionärssohn von einer Kellnerin mit Familienproblemen und einer zweiten Person im Körper anzufangen gewusst? Ich war doch ohnehin kein Beziehungsmensch, was hatte ich mir vormachen wollen? Dass Zach sich so schnell an mich rangemacht hatte, bewies doch eigentlich nur, dass er nichts Ernstes wollte, oder?

Also willigte ich widerwillig ein.

„Willst du nicht lieber zu mir nach Hause?", fragte Zach und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Beths Lippen aus.

„Ich hoffe, das eine schließt das andere nicht aus."

AnnabethWo Geschichten leben. Entdecke jetzt