36

289 47 2
                                    

„Hör doch auf zu schmollen", brummte Beth, während sie darauf wartete, dass man sie für den PET-Scan abholen würde.

Sie hatte Dr. Conway gestanden, dass Jamie seit dem Anfall immer häufiger an die Oberfläche drang. Dass sie ihn Großteiles durch die Welt, in der er sich nicht auskannte, leiten konnte, um Schaden zu vermeiden. Schaden vermeiden. Dabei hätte ich fast gelacht, als ich an meine Kopfverletzung denken musste.

„Was war mit den drei Tagen, in denen ich verschwunden bin?", fragte ich wütend. „Warst du die ganze Zeit da? Hast du alles mitbekommen, was er gemacht hat?"

„Ja", seufzte sie und verdrehte die Augen. „Er wollte weg. Jamie wollte nicht nach Hause. Er hatte Angst. Ich hab ihm vorgeschlagen, zu Zach zu gehen, aber als ich ihm erzählt habe, dass er dein Freund ist, wollte er auch nicht zu ihm."

In mir tat sich ein Verdacht auf, der mir ganz und gar nicht gefiel. Aber Beth erriet ihn natürlich, auch ohne, dass ich ihn ihr mitteilte. „Ja, wir waren bei Sebastian", seufzte sie und ich stieß einen ungläubigen, wütenden Laut, anstelle eines Schimpfwortes aus.

„Drei Tage?!" Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich sie erwürgt.

„Anna, er weiß es", seufzte Beth und ließ ihrem Blick über die kargen Wände gleiten. „Jamie hat ihm die Wahrheit gesagt."

„Und er hat ihm geglaubt?"

Beth nickte. „Er hat... Erfahrung damit, wie sich herausgestellt hat. Außerdem fällt es auf, wenn ein traumatisierter, verschreckter Achtjähriger im Körper einer Zwanzigjährigen steckt. Sowas kann man nicht faken, glaub mir. Jedenfalls waren wir am dritten Tag in der Stadt und sind da rumgelaufen, weil Jamie ziemlich viel Energie hat, und plötzlich habt ihr beide wieder gewechselt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte."

„Du hättest den Mund aufmachen und mir die Scheißwahrheit sagen sollen!", fauchte ich. „Weißt du, was für eine Scheißangst ich hatte?"

Sie seufzte und begann auf dem Flur auf und ab zu gehen.

„Es tut mir leid, dass du Angst hattest. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was du durchmachen würdest, wenn du wüsstest, was Jamie von dir abschirmt." Sie blieb an einem der Fenster stehen und sah in den Innenhof. „Lass es gut sein, Anna. Glaub mir. Es gibt Gründe, warum... Warum wir dir nichts sagen. Und du hast doch ein tolles Leben. Wozu dieses Leben kaputt machen?"

Ich wollte verdammt nochmal wissen, was passiert war, sonst würde ich niemals mehr in Frieden leben können. Und das wusste Beth.

„Bitte lass Jamie in Ruhe", sagte sie daher noch einmal. „Er ist total leicht zu manipulieren und schnell verängstigt. Natürlich würde er dir sagen was du wissen willst, aber glaub mir: Du willst es nicht wissen."

„Damit ich das richtig verstehe", knurrte ich angespannt. „Du hast die ganze Zeit so getan, als wüsstest du von nichts? Du bist auch bei dem Flashback dagewesen und hast getan, als wärst du weg, nur damit ich keine Fragen stelle? Du bist wirklich die größte Heuchlerin, die mir je untergekommen ist! Ich bin durch die Hölle gegangen!"

„Beth." Dr. Conway kam auf sie zu und sie stieß sich vom Fenster ab. Damit war unser Streit wohl beendet. Gerne hätte ich sie weiter beschimpft und auf sie eingeredet, aber das musste warten, auch wenn ich die Wut noch deutlich spüren konnte. Und Beth konnte das auch. Dr. Conway führte uns nach unten und in einen Raum, in dem eine große, weiße Röhre stand.

„Ich wollte schon immer mal in einer Klopapierrolle schlafen", rief sie Dr. Conway zu, während sie sich einen dieses hässlichen Krankenhausoutfits anzog, weil die Metallknöpfe ihrer Jeans sich in dem Gestell erhitzen würden.

„Sie und Anna haben wirklich einen eigenartigen Humor", bemerkte er und ich konnte sein Schmunzeln heraushören.

Beth kam hinter den hohen, verschiebbaren Trennwänden hervor und sah an sich herunter. „Können Sie mir sagen, wie man sich in so einer Kleidung wohlfühlen soll?"

„Ich glaube, Sie könnte man in einen Müllsack stecken, und Sie würden-" Er brach ab und sah fast schon schuldbewusst zurück auf das Klemmbrett, das er in der Hand hielt.

„Warum beendet er seinen Satz nicht?", fragte Beth mich gekränkt, weil sie nichts dagegen gehabt hätte, ein paar Komplimente abzustauben.

„Weil du in gewisser Weise seine Patientin bist. Außerdem ist es mein Körper, dem er ein Kompliment gemacht hätte. Und ich habe einen Freund."

„Gut, aber im Moment stecke ich in dem Körper und ich habe keinen Freund", erwiderte sie, ging entschlossen auf Dr. Conway zu, legte eine Hand in seinen Nacken, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

„Das auch noch", murrte ich, als er das Klemmbrett sinken ließ und den Kuss erwiderte.

„Halt die Klappe, ich sehe ihn nach dem heutigen Tag bestimmt nie wieder."

„Er ist sicher über fünfundzwanzig."

„Und ich bin vierundzwanzig, lass mich in Ruhe."

Und obwohl Beth es verdient hätte, wenn ich ihr diesen Kuss mit Gemecker ruiniert hätte, ließ ich die beiden in Ruhe. Es dauerte ohnehin nicht lange, bis sich jemand unmissverständlich räusperte und Dr. Conway sich augenblicklich von Beth löste, die sich an Zuschauern kein Bisschen gestört hätte. Dr. Cromwall schickte Conway nach draußen und Beth sah ihm fast sehnsüchtig nach.

„Stell dich nicht so an", knurrte ich. „Wäre ohnehin nichts draus geworden."

Dr. Cromwall erklärte, dass hinter der Glasscheibe die Monitore waren, auf denen sie verändernde Gehirnaktivitäten feststellen konnten. Hinter der Glasscheibe hatten sich alle Ärzte, Psychologen, Psychiater und Professoren versammelt, die wir auch am ersten Tag kennengelernt hatten.

„Muss ich irgendwas Besonderes machen?", fragte Beth, während sie sich auf die Tragfläche legte und es sich so bequem wie möglich machte.

„Sie dürfen sich nicht bewegen." Eine Krankenschwester spritzte Beth das Schlafmittel in den Arm. Sie hatte noch nie Probleme mit Spritzen gehabt und zuckte daher nicht einmal zusammen.

„Wenn ich schlafe, kann ich meine Bewegungen nicht wirklich kontrollieren", murmelte Beth. Das konnte ich bestätigen. Wenn sie schlief, drehte sie sich manchmal im Uhrzeigersinn im Bett.

Dr. Cromwall und die Krankenschwester verließen den Raum und Beth wurde in die Röhre gefahren.

„Das ist unheimlich", meinte sie. „Zum Glück bin ich nicht klaustrophobisch."

„Toll, ich bin es", murmelte ich.

„Echt? Seit wann?"

„Seit wir in einer Klopapierrolle liegen."

Das Schlafmittel tat seinen Job wirklich gut, denn Beth war innerhalb von fünf Minuten eingenickt.

AnnabethWo Geschichten leben. Entdecke jetzt