47.Rahmenbedingte Vision

257 18 0
                                    

Ich betrat einen kleinen schmalen Durchgang, der einzig und allein durch das Licht an meinem Zauberstab erhellt wurde. Kaum hatten Samira und ich beide diesen kleinen Raum betreten, hörte ich, wie sich das Portrait hinter uns mit einem leisem Knarzen schloss. Unentschlossen sah ich zu der Rückwand des Gemäldes und dann zu Samira.
,,In Ordnung, und wie soll es nun weiter gehen?", stellte ich mir die Frage laut denkend und sah, wie meine Beschützerin in die andere Richtung, in den Gang hinein, lief und sich ein paar Meter von mir entfernt niederließ. Mit einem Miauen versuchte sie mir mitzuteilen, zu ihr zu kommen. Ohne zu zögern, tat ich dies und bemerkte, dass sie vor einer dunklen, beinahe schwarzen, Holztür saß mit einem silbernen Türknauf. Da ich Elisabeth und vor allem Samira vertraute, umschloss ich mit meiner linken Hand den ungewöhnlich warme Knauf.
,,Seltsam", murmelte ich und drehte diesen, ohne Probleme, gegen den Uhrzeigersinn. Mit einem leisen Klacken öffnete sich das Türschloss. Unentschlossen sah ich noch einmal zu meiner Katze, ehe ich die Tür aufdrückte. Kaum war diese einen Spalt breit offen, empfing mich eine helles jedoch angenehmes, gedämmtes Licht. Vorsichtig verstaute ich meinen Zauberstab wieder an meinen Gürtel.
,,Hellmir steh mir bei.", rief ich überwältigt aus und auch Samira neben mir miaute leise. Vor mir erstreckte sich ein großer quadratischer Raum mit einer hohen Decke, die jedoch mit durchsichtig, bläulichen Stoff so drapiert war, dass sie niedriger wirkte. Überall an den Wänden waren unterschiedliche Rahmen angebracht. Kleine und große, runde und eckige, und alle waren sie so dicht nebeneinander gehangen worden, dass man kaum die cremefarbene Wand dahinter sehen konnte. Ihr Inhalt war jedoch nur ein schwarzer Hintergrund ohne irgendeine Besonderheit.
,,Was ist das bloß für ein Ort?", murmelte ich vor mich hin und ging näher in den Raum. Neugierig drehte ich mich um meine eigene Achse und lief dabei die Wand zu meiner rechten ab.
,,Los fang mich doch!", hörte ich mit einem Male eine Kinderstimme vergnügt rufen. Erschrocken blieb ich stehen und blickte hinter mich, doch da war niemand.
,,Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht!", rief das Kind wieder und kicherte am Ende. Mit dieser Lache bemerkte ich auch, dass mir die Stimme bekannt vorkam.
,,Das kann nicht wahr sein.", flüsterte ich und wandte mich erneut der Wand zu. Aus einer Intuition heraus ging ich auf einen kleinen runden Silberrahmen zu. Und je näher ich diesem kam, desto heller wurde der Inhalt des Bildes bis er ganz weiß wurde und langsam Umrisse preisgab. Mittlerweile stand ich dem Rahmen so nahe, dass mein Atmem vom Bild zurückgeworfen wurde. In dem Moment erlosch die Helligkeit allmählich und gab eine Szenerie preis, die mir nur allzu vertraut war.
Es war der Garten unseres Schlosses, jedoch wackelte das Bild ab und zu und mit einem Schlag drehte sich die Ansicht so, als ob sich jemand umdrehen würde. Erschrocken holte ich Luft. Da waren meine Schwestern, die auf einer Bank zusammen saßen und zu mir blickten. Aber im Mittelpunkt des Bildes lief mein Bruder Alexander. Zitternd streckte ich meine Hand nach ihm aus, doch schnell wurde mir bewusst, dass nicht mehr real war, da meine Fingerspitzen die kühle Oberfläche der Szenerie berührten. Nicht mehr real, weil dies eine Erinnerung war aus meiner Kindheit. Ich konnte mich noch gut an diesen Tag erinnern, da es einer der wenigen Tage war, an dem wir vier alle zusammen etwas unternehmen konnten.
Verblüfft und berührt musterte ich eingehend die Gesichtszüge meines Bruders und spürte, wie mir eine Träne die Wange herunterrollte. Schnell wischte ich sie mit einer zitternden Hand weg und wandte meinen Blick zum daneben liegenden Rahmen. Schweren Herzens löste ich mich von dem lachenden Alexander und wartete beim nächsten Bild, was es mir zeigen würde. Und wieder lichtete sich das strahlende Weiß und zeigte mich mit meinen Schwestern in unserem Trainingsraum, wo sie mich auf meine Aufgabe als Tutor Anima vorbereiteten.
,,Sie zeigen alle Erinnerungen aus meiner Vergangenheit.", meinte ich, so dass es Samira mitbekommen konnte.
,,Wahrscheinlich die, die mich zu dem Menschen machten, der ich heute bin. Die mich prägten."
Als ich diese Worte aussprach traf es mich wie ein Energiestoß. Die Visionen zeigten mich in meinem neun jährigen Selbst. Schnellen Schrittes ging ich ein paar Reihen weiter und blickte in die Erinnerungen meiner Vergangenheit. Nach einigen weiteren schönen  Szenen mit Samira, meinen Eltern und meinen Geschwistern, sowie Leon erreichte ich einen weißen Rahmen.
,,Keine Sorge, Lia. Sei einfach du selbst und denk nicht zu sehr darüber nach. Blende die ganzen Menschen aus und stell dir vor, dass nur du in diesem Saal wärst und sonst niemand, nicht einmal wir. Du schaffst das, da bin ich mir sicher und weißt du auch wieso, weil du das stärkste und klügste Mädchen bist, das ich kenne."
Es war Leons Stimme, die ich als erste wahrnahm, noch bevor die Sicht klarer wurde und ich wusste, dass ich Alex letzten Tag, meine Krönungszeremonie erreicht hatte. Das Bild wurde klarer und zwei strahlende, grüne Augen blickten mein elf jähriges Ich stolz an. Immer mehr Tränen rannen mir aus meinen Augenwinkeln.
,,Alexander.", wisperte ich und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Als ich über den weißen Rahmen blickte, sah ich genau über ihn einen Pechschwarzen. Gerade als ich mich auf dessen Inhalt konzentrieren wollte, hielt mich eine Stimme zurück.
,,Thalia, auch wenn die Versuchung groß ist manche Erinnerungen noch einmal zu erleben, so ist es wichtig nicht zu vergessen, dass alles bereits in der tiefsten Vergangenheit liegt."
Es war Elisabeths Stimme, die scheinbar aus dem Nichts zu mir sprach.
,,Zwar kann ich die Visionen aus den Rahmen nie sehen, aber anhand der Kennzeichnung weiß ich, dass diese Erinnerung eine sehr schlimme für dich ist. Und ich rate dir davon ab, sie noch einmal zu erleben. Nichts und niemand kann die Vergangenheit verändern, zumindest nicht ohne unvorhersehbare Folgen. Was auch immer du an in diesem Moment gesehen hast, es ist es nicht wert den selben Schmerz noch einmal zu durchleben.", redete die junge Frau weiter und als sie fertig war, fühlte es sich an, als ob ihre Präsens den Raum wieder verlassen würde. Verzweifelt sah ich zu dem besagten Rahmen herauf. Ich wusste, dass dies mit die schlimmste Erinnerung in diesem Raum war, da kein Anderer so düster war. Doch war es die letzte Vision, in der ich meinen Bruder noch einmal lebend sehen konnte.
Plötzlich bemerkte ich, wie sich Samira an meine Beine schmiegte, so als wollte sie mir das selbe mitteilen wie Elisabeth. Noch ein letztes Mal sah ich zu dem Rahmen, ehe ich mich ein paar Schritte von der Wand entfernte und alle Inhalte der Rahmen wieder schwarz wurden. Schnurrend und miauend umkreiste meine Beschützerin mich, so als wollte sie mich trösten.
Ich war wie in einem Rausch gewesen. Dadurch, dass ich meine Familie so lange nicht mehr gesehen und meinen Bruder verloren hatte, wollte ich die unbeschwerten Glücksgefühle aus meiner Kindheit noch einmal miterleben. Prüfend blickte ich den Rest der Wände an und wie ich es vermutet hatte, folgten nach dem schwarzen Rahmen etliche graue. Zwar gab es auch ein paar dazwischen die heller waren, doch die Masse wurde von grauen Umrandungen bestimmt. Einzig und allein die letzten zwei Reihen vor der Eingangstür waren heller. Manche von ihnen waren sogar silbern oder weiß, jedoch nicht so intensiv wie die aus meiner Kindheit in Hellmir. Und doch ließen sie mich lächeln, denn sie bedeuteten, dass ich hier in Hogwarts angefangen hatte, wieder einigermaßen normal zu leben. Begonnen hatte wieder fröhliche Erinnerungen zu behalten.
Als ich mir den Raum so ansah, verstand ich, warum Elisabeth die Anweisung erhielt, diesen zu verstecken. Ähnlich wie der Spiegel Nerhegeb, konnte er einem den Verstand rauben wenn man sich in dieser Art der Magie verlor. Erst da viel mir ein, dass Kathie mir ein Stück von Professor Dumbeldore überreicht hatte. Da es aber keine Sitzgelegenheit gab, ließ ich mich auf den kühlen mit Holzparkett bedeckten Boden nieder und zog das besagte Stück aus meiner Umhangtasche hervor. Neugierig schlenderte Samira zu mir und setzte sich selbstverständlicher Weise in meinen Schoß, um das Papier zu mustern. Es war eine längere Nachricht, anders als die letzten, die ich von ihm erhalten hatte.

Engel der Nacht (Harry Potter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt