48.Letzte Bitte

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Abwartend sah ich meinem Lehrer in die müden Augen, welche mich eingehend musterten. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er mir bei diesem Treffen sagen wollte. Aber eines war mir definitiv bewusst: so wie Albus es sagte, würden mir die kommenden Worte nicht gefallen.
,,Thalia, wie du weißt, hat Harry die letzten Wochen und Monate Privatstunden bekommen, als Vorbereitung für den Kampf gegen Voldemort. Ich zeigte ihm, wie das Denkarium funktionierte und gewährte ihm Einblicke in die Vergangenheit von Tom Riddle, Horace und mir. Aber ich kann mir denken, dass du dies bereits von Harry wusstest.", begann Albus mit seiner Erzählung und bei seiner eher rhetorisch gestellten Frage nickte ich langsam.
,,Von daher wird dir der Begriff Horkrux etwas sagen. Abgespaltene Seelenfragmente von Tom Riddle, die ihn vor dem endgültigen Tod bewahren sollen. Und genau um diese schwarzmagischen Artefakte geht es, weswegen ich dich hierher gebeten habe. Zumindest teilweise."
Stirnrunzelnd sah ich zu ihm und versuchte erfolglos zu verstehen, was er mir sagen wollte.
,,Entschuldigung, aber ich verstehe nicht, was Sie mir sagen wollen. Was für eine Rolle könnte ich dabei spielen? Ich sollte mich doch eher aus diesen Angelegenheiten heraushalten."
Schwach lächelnd sah mich mein Schulleiter an und erhob sich mit einem erschöpften Seufzen. Mit scheinbar interessierten Blick ging er auf den Kamin und den darin lodernden Flammen zu.
,,Ich weiß, Thalia. Darum haben mich auch deine Eltern und Schwestern gebeten. Doch ich fürchte, so wie sich die Dinge in den letzten Monaten entwickelt haben, wird dies kaum mehr zu gewähren sein. Thalia, ich muss dich jetzt um etwas bitten und ich hoffe, dass du versuchst mich zu verstehen."
Abwartend blickte ich zu Albus und wurde immer nervöser. Was meinte er damit, dass er das, was sich meine Familie für mich erhofft hatte, nicht mehr länger gewähren könnte?
,,Gemeinsam mit Harry und einigen Nachforschungen meinerseits, habe ich herausgefunden, wo Voldemorts nächster Horkrux versteckt liegt. Den ersten hatte Harry in seinem zweiten Jahr zerstört, den zweiten habe ich letzten Sommer außer Gefecht gesetzt. Das dritte Fragment ist an einem Ort aus seiner Zeit im Waisenhaus. Gemeinsam mit Harry werde ich morgen dahin apparieren und versuchen zu vernichten. Er war bis vor einer viertel Stunde noch bei mir und zusammen haben wir diesen Plan erstellt. Von seinem Auftrag bei Professor Slughorn muss ich dir ja nichts mehr erzählen."
,,Professor, ich verstehe immer noch nicht. Was hat das mit mir zu tun?", unterbrach ich ihn und strich unruhig durch Samiras Rückenfell.
,,Alle Horkruxe waren bisher durch Flüche enormer Größe  geschützt. Ich muss davon ausgehen, dass es bei diesem genauso ist. Thalia, ich werde alles dafür geben, dass Harry lebend von dieser Reise zurück kommt und dass er für den drohenden Krieg vorbereitet ist.", meinte mein Professor kryptisch und doch verstand ich die Bedeutung dahinter. Und das warf mich aus der Bahn.
,,Nein, dass...dass kann nicht wahr sein.", flüsterte ich, denn ich wusste, wenn Albus sein Ableben mit einrechnete, dass dieser Punkt sehr wahrscheinlich eintreten würde. 
Ich bekam zwar mit wie meine Sicht unscharf wurde, doch konnte ich meine Tränen nicht wegwischen.
,,Ich kann nicht noch jemanden verlieren. Das schaffe ich nicht."
,,Thalia, ich weiß, dass ich in diesem Punkt sehr viel von dir verlange und dass ich dich damit konfrontieren muss. Aber ich will, dass du vorbereitet bist, wenn dieser Fall eintritt.", entgegnete mir Albus und kam zu mir, um eine Hand auf meine Schulter zu legen.
,,Doch manchmal muss man Opfer bringen, besonders in diesen Zeiten."
Erst als ich seine Hand auf meiner Schulter spürte, nahm ich wahr wie ebendiese zitterte. Ich konnte, nein, wollte es nicht wahr haben. Albus begleitete mich schon seit Jahren und ist ein guter Mentor und Bekannter für mich. Zudem war er momentan die einzige Verbindung nach Hellmir zu Leons und meiner Familie. Ohne ihn wusste ich nicht, wie es weiter gehen sollte mit uns dreien hier auf der Erde. Wenn Albus sterben sollte, dann wäre ich nahezu schutzlos hier. Denn ER würde einen Weg finden mich aufzuspüren, wenn ER es nicht schon längst wusste, wo ich mich aufhielt. Und es würde ihn nichts aufhalten nach Hogwarts zu kommen und die Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden. Albus war hier auf der Erde der Einzige, der es mit IHM aufnehmen könnte.
,,Aber...was soll danach passieren? Was sollen wir dann machen? Leon und Samira werden mich zwar unterstützen, aber allein? Albus, ich habe Angst.", flüsterte ich mit einem Zittern in der Stimme und sah dabei zu Boden. Ich hörte, wie Albus schwer seufzte, eher er das Wort ergriff.
,,Ich weiß, dass ich deinen Eltern versprochen habe, dich hier zu beschützen. Und es zerfrisst mich, dass ich davor bin es zu brechen. Aber glaube mir, dass ich alles dafür unternehmen werde, dass du, Thalia, und Samira und Leon sicher seid. Falls sich die Situation morgen so entwickeln wird, wie ich es befürchte, will ich, dass du dich zusammen mit deinen Beschützern an Professor McGonagall wendet. Bis ihr drei bei einem Mitglied des Ordens im Sommer untergebracht werden könnt, wird sie sich um euch kümmern. Es tut mir wirklich leid, dass ich so eine Bürde auf dich laden muss, und du musst mir glauben, dass ich das Versprechen dir und deiner Familie gegenüber niemals brechen wollte."
Als mir mein Mentor von seinem Plan erzählte, blieb ich stumm und versuchte mich zu beruhigen. Ich wusste, dass es niemals Albus Absicht war, weswegen ich ihn bei seiner Bitte verständnisvoll ansah.
,,Albus, das weiß ich. Es nur für mich nicht realisierbar, dass wir über solche Pläne reden."
,,Ich wünschte mir, dass dieser Fall nicht eintritt. Aber du musst Bescheid wissen, wie es weitergehen muss, wenn es so kommt.", antwortete er und ließ sich erschöpft wieder in den zweiten Sessel nieder und musterte mich aufmerksam. Ganz so, als wollte er sich Samira auf meinem Schoß und mich im Gedächtnis behalten.
,,Weiß Professor McGonagall schon Bescheid über ihre Aufgabe?", fragte ich ihn leise und musterte ihn ebenfalls. Es war vielleicht die letzte Möglichkeit ihn in seiner altbekannten Ruhe und Gelassenheit zu sehen.
,,Ich habe sie vor wenigen Stunden darüber informiert und sie ist bereit dazu, auch wenn es ihr schwerfiel diese anzunehmen. Thalia, wenn die Zeit gekommen ist im Sommer und ihr zu dem Ordensmitglied wechselt, will ich, dass du dies entweder Remus John Lupin oder Alistor Moody übergibst.", erzählte mein Lehrer weiter und nahm aus seiner Umhangtasche einen Brief. Vorsichtig nahm ich ihn entgegen und bemerkte, dass er mehrere Pergamentblätter enthalten musste. Fragend sah ich zu Albus, der meine stille Aufforderung sofort verstand.
,,Der Brief wird die Situation grob erklären, warum ihr drei mit von der Partie sein werdet. Den genauen Grund und damit die Wahrheit habe ich nicht genannt. Wenn du dir sicher bist und dich bereit fühlst, dann kannst du ihnen von deiner Vergangenheit erzählen. Denn wie ich es dir schon einmal gesagt habe, ist es besser ehrlich zu sein. Und die Wahrheit wird heraus kommen, gerade wenn die Frage nach deiner Herkunft aufkommt und warum du Begleitung brauchst. Doch du brauchst nicht mehr zu sagen als du willst und vor allem ist es deine Entscheidung, wem du dich anvertraust. Doch gebe ich dir den Hinweis, auch wenn er bei dir überflüssig ist, achte darauf wem du was anvertraust. Derjenige muss es noch nicht einmal wollen, doch könnte er unabsichtlich dein Geheimnis unter der Wirkung des Imperius- oder Crutiatus-Fluches ausplaudern. Und du musst unbedingt so lange wie möglich unentdeckt bleiben, denn das steigert eure Chance unversehrter aus der ganzen Sache zu kommen."
,,Und was ist mit den anderen? Harry, Hermine, Ron und Ginny? Sie werden sich wundern, warum ich nun ebenfalls Schutz brauchen werden, außer Hermine.", äußerte ich meine Bedenken. Denn wie ich es mitbekommen hatte, stand Harry unter dem Schutz der Ordensmitgliedern. Und wenn ich dann mit Samira und Leon auf der Türschwelle stehe, würde dies Fragen aufwerfen.
Nachdenklich blickten mich seine müden Augen hinter der halbmondförmigen Brille an, während er seine Hände vor seinem Körper in einander verschränkte.
,,Sei ehrlich zu ihnen, Thalia. So lange du die Zeit noch dazu hast, es ihnen persönlich ohne Druck zu erklären. Und ich weiß, dass Leon und Hermine dir dabei helfen werden. Du und Harry braucht beide so viele Verbündete wie möglich, aber noch mehr den Zusammenhalt eurer Freunde. Ich verstehe, dass du Angst vor ihrer Reaktion hast, aber die Konsequenzen, wenn du es ihnen nicht sagst können viel schlimmer sein."
Verstehend nickte ich mit meinem Kopf und dachte über seine Worte nach. Albus hat es immer geschafft in all den Jahren mich aufzubauen und mir meine Angst zu lindern, wenn es darauf ankam. So wie am Anfang des Schuljahres, als ich verflucht wurde. Sacht berührte ich mit meiner linken Hand mein Medaillon. Ein Schauer durchfuhr mich als ich an die Nacht dachte, als ich mein Verfluchtes das erste und einzige Mal gesehen habe. Zwar habe ich mich nie wieder in diesen schwarzen Engel verwandelt, doch hatte ich Angst, dass ohne Albus Hilfe dies wieder passieren könnte und es schlimme Folgen haben könnte.
,,Thalia, so lange du deinen Talisman bei dir um den Hals trägst, wird dir nichts geschehen. Und erst recht nicht, wenn du Freunde an deiner Seite hast, die dir helfen.", beschwichtigte Albus meine negativen Gedanken und lenkte meine Konzentration wieder voll auf ihn.
,,Ich muss dich noch um einen weiteren Gefallen bitten. Es betrifft den morgigen Abend. Wir werden mit Harry vom Astronomieturm aus disapparieren. Wenn Harry und ich wieder zurückkommen, möchte ich, dass du auf Harry achtest und für ihn da bist. Da ich nicht weiß, wie lange wir für diese Reise benötigen werden, hoffe ich, dass du zusammen, ohne es Leon genau zu sagen, mit ihm den Turm beaufsichtigst."
,,Entschuldige, Albus, wenn ich dich unterbrechen muss, aber warum fragst du Professor Snape oder Professor McGonagall? Ich glaube, dass sie kompetenter sind als Leon und ich."
,,Ich habe Severus und Minerva bereits mit anderen Aufgaben betreut, die sie vom Astronomieturm aus nicht erfüllen können. Bitte vertrau mir, wenn ich dir sage, dass es wichtig ist, wenn du Harry zu diesem Zeitpunkt hilfst. Er ist auf Severus nicht gut zu sprechen, bei Minerva würde er sich auch verschließen und von seinen Freunden bist du die Einzige, die voll und ganz im Bilde ist. Zwar wissen Miss Granger und Mister Weasley auch Bescheid über die Horkruxe doch kennen sie nicht alle Fakten so wie du. Bitte achte auf ihn. Ihr beide habt viele Gemeinsamkeiten, auch wenn sie euch noch nicht auffallen sollten."
Mit diesen Worten erhob sich Albus erneut von dem Sessel, doch dieses Mal tat ich es ihm mit Samira auf dem Arm und dem Brief in der Hand gleich. Behutsam setzte ich meine Beschützerin auf dem Boden ab, um die Nachricht sicher in meinem Umhang zu verstauen. Als dieser verstaut war, sah ich zu meinem Zaubereilehrer. Er hatte mich so vieles gelehrt, sowohl in der irdischen Magie als auch in zwischenmenschlichen Dingen. Jedes Mal, wenn ich ein Problem hatte, fand er die richtigen Worte um mich zu besänftigen. Bei Hellmir, ich wollte es nicht wahr haben, dass dies vielleicht die letzten Stunden mit ihm waren. Albus hatte mir in meiner schwierigen Phase nach Alex Tod geholfen und nun sollte er morgen einfach nicht mehr da sein. Warum taten mir die vier Welten das an?
,,Thalia, ich sehe, dass es dich mitnimmt. Aber du musst manchmal den Dingen einfach ihren Lauf lassen, damit die Zukunft besser werden kann. Vertrau mir, ich habe da ein bisschen mehr Erfahrung.", versuchte mich Albus erneut zu besänftigen.
,,Das verstehe ich, Albus. Doch was haben meine Familie und ich den vier Welten angetan, dass sie uns so sehr bestrafen müssen. Du wirst für immer ein wichtiger Teil unserer Familie sein und wenn du gehst, bricht sie wieder ein wenig mehr auseinander."
Schwach lächelnd über meine Antwort betrachtete mich mein Gegenüber. Wie in diesem Moment, habe ich mir schon gewünscht nachvollziehen zu können, was in Albus Kopf vorging.
,,Dafür bin ich euch auch sehr dankbar. Aber du vergisst, ich bin im Vergleich zu deinem Volk nur ein einfacher Mensch. Ich hätte nicht mehr viele Jahre oder Jahrzehnte weiter gelebt und wäre so oder so bald gestorben. Dagegen hätten nicht einmal deine Schwestern etwas unternehmen können, auch wenn sie großartige Seelenwächter sind. Und ich bin mir sicher, dass du ihrem Beispiel folgen wirst, ob nun mit oder nun ohne meine Unterstützung.", entgegnete er mir und führte mich mit einer Handbewegung zur Tür.
,,Rede mit deinen Freunden, Thalia. Am besten gleich wenn du auf sie triffst. Es wird dir in der Zukunft helfen."
Verstehend nickte ich und sah meinem Lehrer in die Augen. Es war für mich unmöglich zu akzeptieren, dass er ab morgen nicht mehr da sein könnte. Und ehe ich es hätte verhindern können, umarmte ich Albus. Für mich war es zum einen ein "Lebewohl" aber gleichzeitig auch ein "Danke" für all die Zeit, die ich mit ihm erlebt habe. Ich merkte, wie er verzögert diese Geste erwiderte und es wahrscheinlich für ihn dasselbe bedeutete. Nach ein paar Sekunden löste ich mich von ihm und verschwand, ohne ihn noch einmal in das Gesicht zu schauen, mit Samira aus seinem Büro.

Den ganzen Rückweg zum Gemeinschaftsraum dachte ich an das Gespräch, an Albus Bitten und wie ich es den Anderen erklären sollte. Ich begegnete kaum noch Schülern in den Korridoren und auf den magischen Treppen. Und ehe ich zu einem günstigen Schluss gekommen war, hatte ich das Portrait der fetten Dame erreicht. Da sie mich bereits abwartend ansah, entgegnete ich ihr schnell das Passwort und erhielt von ihr den Einlass mit Samira. Der Gemeinschaftsraum der Gryffindors war im Gegensatz zu den Fluren voll von Schülern und ich hatte so meine Bedenken, dass ich ihnen heute noch die Wahrheit erzählen konnte.
,,Da bist du ja Thalia. Wo warst du denn, dass du schon wieder über eine Stunde weg geblieben bist?", lenkte Hermines Stimme mich aus meinen Bedenken. Suchend sah ich mich um und entdeckte die vollzählige Truppe an einem Tisch sitzen. Flink ging ich zu ihnen und setzte mich neben Leon auf den letzten noch freien Stuhl.
,,Es tut mir leid, dass ich euch hab warten lassen. Ich musste mich noch um eine persönliche Sache kümmern und habe dabei die Zeit vergessen."
Zwar meine Ausrede schwach und das sah ich bei Hermines und Leons Gesichtsausdruck ganz deutlich, doch hinterfragte niemand den genauen Grund für meine Abwesenheit.
,,Habe ich etwas verpasst?", fragte ich in die Runde und sah zu Ginny, Harry und Ron. Nachdenklich sah mich Harry an eher er sich vergewisserte, dass uns niemand zu hörte.
,,Ich habe den anderen gesagt, dass ich noch warten will, bis wir die einzigen hier sind. Die Ausgangszeit endet bald und in den Raum der Wünsche zu gehen, wäre zu riskant. Es geht um meinen Auftrag. Ich muss euch dazu etwas sagen."
Verstehend nickte und wusste, dass ich im Anschluss zu ihm auch etwas sagen müsste. Und das gefiel mir bei Hellmir nicht.
,,In Ordnung. Denn ich muss mit euch im Anschluss auch was bereden. Und es ist wichtig, zumindest für mich.", antwortete ich ihm und spürte sofort den überraschten und gleichzeitig verunsicherten Blick von Leon und Hermine auf mir.

Engel der Nacht (Harry Potter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt